Interview mit IW-Chef zum Handel„Wir müssen China heute anders bewerten“
- Welche Schlüsse sollten die deutsche Wirtschaftspolitik und der internationale Handel aus den derzeitigen Großkrisen ziehen?
- Hermann Steveker sprach mit dem Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther.
Herr Hüther, Deutschland hat lange vom globalen Handel profitiert. Nun legen ein Krieg in Europa mit seinen Folgen für die Energiemärkte sowie fragile Lieferketten Verwundbarkeiten offen. Zudem erleben wir eine neue Debatte über die Werteorientierung unseres Handels. Muss Deutschland sein Geschäftsmodell überdenken?
Unser Geschäftsmodell beruht auf verantwortlichem unternehmerischem Handeln und der Haftung für die damit verbundenen Risiken. Dieses Handeln hatte auch bisher schon eine Wertekomponente in sich, das spüren Unternehmen nicht erst jetzt. Die derzeit geführten Debatten werden nicht das Ende, vielleicht aber eine partielle Neusortierung einer möglicherweise etwas erschöpften Globalisierung einleiten. Dabei werden neue Perspektiven und neue Partner eine Rolle spielen. Letztlich wird die deutsche Wirtschaft eine international hochvernetzte Wirtschaft bleiben.
Zur Neusortierung gehört, dass Deutschland und Europa sich unabhängig machen vom russischen Energiemarkt, dies schon jetzt mit erheblichen Preiseffekten. Wird uns dieser Weg über Jahre hinweg Wohlstand kosten?
Zur Person
Prof. Michael Hüther ist seit 2004 Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Das arbeitgebernahe Institut mit Sitz in Köln wird von Verbänden und Unternehmen finanziert. Hüther, der unter anderem in den neunziger Jahren Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweise“) war, gilt als einer der renommiertesten Ökonomen und Politikberater Deutschlands. (hs)
Das wird der Fall sein. Ökologisch betrachtet und unter Kostengesichtspunkten war es in der Vergangenheit ja richtig, Gas aus Russland zu beziehen. Durch den jetzt politisch forcierten Kurswechsel infolge der russischen Aggression wird die Beschaffung von Ressourcen aus der Welt auf lange Sicht verteuert. Dies wird in einer Übergangsphase, bis die Erneuerbaren Energien einen deutlich höheren Anteil am Angebotsmix erreicht haben, unseren Wohlstand tangieren.
Ab wann kann Deutschland auf russisches Gas verzichten?
Es wird eine Kraftanstrengung bedeuten, die notwendige Infrastruktur für die Ersatzbeschaffung zügig zu errichten. Dazu gehören der Bau von LNG-Gas-Terminals und Pipeline-Netzen gemeinsam mit alternativen Partnerländern sowie die Erweiterung von LNG-Förderkapazitäten etwa in den USA. Die im Energiesicherheitsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums genannte Prognose von zwei Jahren sehe ich als optimistische Untergrenze. Ab zwei Jahren wird es realistisch.
Zur Entschärfung könnte eine Förderausweitung von LNG im Inland beitragen, die aus Umweltschutzgründen bisher eine Nebenrolle spielt. Halten Sie das für konsistent?
Das ist nicht nur inkonsistent, ich halte es auch aus moralischen Gründen für fragwürdig, dieses Thema weitgehend andere Staaten der Welt für uns lösen zu lassen. Wir haben zwar in Deutschland einige wenige Förderregionen, aber es ist nicht schlüssig, die LNG-Förderung ansonsten im Wesentlichen zu externalisieren. Deutschland sollte verstärkt eigene Quellen nutzen. Dieser Widerspruch reiht sich ein in andere Inkonsistenzen der Energiepolitik, etwa der Tatsache, dass wir ausgerechnet aus der C02-emissionsarmen Atomenergie ausgestiegen sind.
Ein Blick nach China. Teile der deutschen Wirtschaft geraten wegen ihres dortigen Engagements unter Druck. Erstmals hat nun die Bundesregierung eine Investitionsbürgschaft für ein VW-Werk in der Region Xinjiang mit Verweis auf die dortige Menschenrechtslage nicht verlängert. Wie bewerten Sie dieses Signal?
Ich halte diese Entscheidung für schlüssig. Die Bundesregierung kann nicht Investitionen begründet absichern, die sie selbst aus politischen Gründen für falsch hält. Sicher lässt sich hinterfragen, welche Optionen VW für die Menschen in der dortigen Region als Arbeitgeber bietet. Auf der anderen Seite geht mit einem solchen Engagement zweifellos eine Unterstützung des chinesischen Regimes einher. Im Ergebnis ist es plausibel, dass die Politik derartige unternehmerische Risiken dort nicht mehr abfedert. VW muss sich nun der ganzen Realität unverzerrt stellen.
VW-Chef Herbert Diess sagt, er könne es sich nicht leisten, in China einen Gang zurückzuschalten. BDI-Präsident Siegfried Russwurm stellt fest, man könne nicht nur in liberalen Demokratien Geschäfte machen. Das Problembewusstsein wirkt überschaubar
Besorgen würde mich eine Diskussion darüber, dass wir die Globalisierung schon deshalb gänzlich neu denken müssten, weil andernorts abweichende Arbeits- und Umweltschutzbedingungen vorherrschen oder Rechtssysteme different gestaltet sind. Schließlich importieren wir beispielsweise auch Metalle aus dem Kongo oder künftig, weil wir es brauchen, LNG-Gas aus Katar. Dennoch müssen wir China politisch und auch im Hinblick auf unternehmerische Entscheidungen heute anders bewerten. Dies allerdings nicht erst ab jetzt, sondern diese Notwendigkeit besteht seit der Machtübernahme durch Staatspräsident Xi Jingping.
Inwiefern?
Die ideologische Repression wird seit einigen Jahren zunehmend greifbar, das muss auch politisch adressiert werden. Unter nüchternen ökonomischen Aspekten kommt in China eine Arbeitskostendynamik hinzu, die den Standort immer weiter relativiert. Das Land wirft mittlerweile nicht mehr nur das Licht eines dynamischen Absatzmarktes, sondern auch viel Schatten. Aber man wird einen Staat mit 1,4 Milliarden Menschen nicht als Handelspartner ausschließen können.
Die Teuerung belastet viele Menschen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) plant nun mit den Sozialpartnern eine konzertierte Aktion gegen die Inflation. Kann das zielführend sein?
Im Kern muss es allen Akteuren darum gehen, eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern. Wir erleben gegenwärtig einen enormen Preisimpuls von außen, der auch in vielen inneren Segmenten der Wirtschaft bereits angekommen ist. Eine weiter gehende Überwälzung und damit Problemverschärfung würde nun im Wesentlichen an der Lohnpolitik hängen. Bisher hat die Bundesregierung eine Reihe an gezielten Kompensationen vorgenommen und vor allem durch Entlastungspakete für die Bürger versucht, die Situation zu entkrampfen. Sie hat es damit der Lohnpolitik leichter gemacht, eine ebensolche Überwälzung zu verhindern. Ich halte ein derartiges Format nun für den sinnvollen Versuch einer Verständigung darüber, welchen Beitrag alle Seiten zur weiteren Stabilisierung leisten können.
Warum sollten Gewerkschaften einen Beitrag leisten, der Reallohneinbuße heißt? Überhaupt lehnt der DGB Tarifverhandlungen an einem Tisch des Kanzleramtes ab.
Es kann hier nicht um ein formal Beschluss fassendes Gremium gehen, sondern um eine Art Konsensfindung für die generelle Rollenverteilung der zentralen Akteure. Wenn im Rahmen einer solchen Verständigung zum Beispiel die Finanzpolitik durch eine nochmalige Entlastung in den niedrigen Einkommenssegmenten der Haushalte einen Akzeptanzraum für Lohnsteigerungen unterhalb der Inflationsrate schaffen würde, wäre das eine sinnvolle Rollenzuweisung, durch die im Übrigen auch ordnungspolitisch nichts verwischt würde. Konkret kann es zielführend sein, dass der Staat etwa noch einmal durch ein Energiegeld einen Kaufkraftentzug der Haushalte kompensiert. Andererseits geht es um eine Stabilisierung der Unternehmen, für die aus den gestiegenen Energiekosten Existenzrisiken resultieren.
Sie sagen, das sei ordnungspolitisch unkritisch. Aber würden so nicht Finanzpolitik und Sozialpartner Versäumnisse der Europäischen Zentralbank (EZB) ausbaden?
Die Kernaufgabe der EZB, die Wahrung von Preisstabilität, bleibt ihr ja weiterhin unbenommen, doch sollte ihr das Geschäft unter den derzeitigen Bedingungen nicht noch durch eine Lohn-Preis-Spirale erschwert werden. Ein solcher Effekt würde den Druck auf die Notenbank erhöhen, in nächster Zeit derart massiv gegensteuern zu müssen, dass die Gefahr der rezessiven Verschärfung der gesamtwirtschaftlichen Lage steigt.
Hat die EZB zu sehr mit einem Kurswechsel gezögert? Schnellere Zinserhöhungen hätten etwa den Euro stärken und so Druck von den Importpreisen nehmen können.
Ja, sie hätte vor allem den Negativzins deutlich früher bereinigen müssen. Insgesamt hat die EZB zu lange an ihrem expansiven Kurs festgehalten. Eine frühzeitigere Kursänderung hätte die Lage sicher auch mit Blick auf die Wechselkurse abgefedert.
Für Juli hat die EZB eine Zinserhöhung angedeutet. Womit rechnen Sie?
Ich erwarte eine Erhöhung des Leitzinses um 0,5 Prozentpunkte und hielte dies auch für angemessen. Mit einer solchen Maßnahme würde die EZB auch signalisieren, dass sie den Mut besitzt, ihre bisherige Position zu korrigieren.
Nach der Einführung des so genannten Tankrabattes wird diskutiert, ob die Steuernachlässe bei den Endkunden ankommen. Welche Möglichkeiten sähen Sie beim Kartellamt?
Ich halte die temporäre Senkung der Benzin- und Dieselsteuer für verteilungspolitisch ineffektiv, in erster Linie ging es hier um ein politisches Signal zur Beruhigung der Gemüter. Jetzt, nach der Umsetzung, hat die Wettbewerbspolitik aus meiner Sicht wenige Mittel der Sanktionierung in der Hand, da sich die Frage, ob Preisentwicklungen etwa auf abgestimmtem Anbieterverhalten oder auf Marktdruck beruhen, in einem derart engen Oligopol-Markt nicht leicht beantworten lässt. Letztlich sind die Anbieter auch nicht verpflichtet, den gewährten Steuerrabatt weiter zu reichen, sie können ihn zur eigenen Ertragsstärkung nutzen.