Lebensmittel sind im Supermarkt so teuer wie noch nie. Wann wird sich das ändern? Bauernpräsident Joachim Rukwied hat keine guten Nachrichten für die Verbraucher. Warum, verrät er im Interview mit Dirk Fisser.
Interview mit Bauernpräsident„Die Spargel- und Erdbeerproduktion könnte in Deutschland verschwinden“
Herr Rukwied, die Lebensmittelpreise sind im Zuge der Energiekrise und des Ukraine-Krieges so stark gestiegen wie nie. Nun wird Energie wieder billiger. Wann ziehen die Lebensmittel nach?
Ich sehe da kurzfristig kein Signal der Entspannung. Lebensmittel herzustellen ist nach wie vor sehr teuer. Das betrifft den gesamten Prozess in der Kette. Dünger beispielsweise ist im Vergleich zum Vorkriegsniveau immer noch 3,5-mal so teuer, Sprit schlägt mit dem Faktor 2 zu Buche. Daher gehe ich nicht davon aus, dass in diesem Jahr die Lebensmittelpreise im Supermarkt sinken. Die Landwirte brauchen die höheren Preise, um die nächste Ernte vorfinanzieren zu können.
Nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges wackelte unmittelbar die Versorgung mit Düngemitteln in Deutschland. Es wurde vor deutlichen Ernteeinbußen gewarnt. Ist dieses Szenario abgewendet?
Nein. Die Düngerversorgung steht nach wie vor auf sehr fragilen Füßen. Das Angebot ist knapp, der Preis immer noch sehr hoch.
Braucht es eine nationale Düngerreserve, wie bereits gefordert wurde?
Wenn wir über Versorgungssicherheit sprechen, gehören Düngemittel dazu. Der Staat sollte da eine Reserve anlegen, ähnlich wie beim Öl. Für den Fall der Fälle sollte Deutschland besser gerüstet sein als bislang.
Wo lohnt sich die Produktion für Landwirte denn nicht mehr? In den Niederlanden bleiben Gewächshäuser beispielsweise einfach leer. Passiert das auch in Deutschland?
Das passiert auch hierzulande. Es bleiben manche Gewächshäuser leer, weil sich die Produktion aufgrund der exorbitant gestiegenen Energiekosten schlicht nicht mehr lohnt. Das beschäftigt die Branche gerade sehr, und das wird mittelfristig dann auch im Supermarkt zu spüren sein, weil heimisches Obst und Gemüse fehlen. Auf den Feldern belastet auch der gestiegene Mindestlohn von 12 Euro, dort, wo Erntehelfer benötigt werden.
Welche Kulturen stehen vor dem Aus?
Viele Bauern fragen sich gerade: Kann ich zukünftig noch Erdbeeren oder Spargel anbauen? Vergangenes Jahr wurden Erdbeer- und Spargelflächen gar nicht mehr abgeerntet. Im Supermarkt lag dann Spargel aus Italien für drei Euro das Kilogramm. Für so einen Preis können Sie bei uns nicht stechen. Es ist eine reelle Gefahr, dass in Deutschland die Spargel- und Erdbeerproduktion verschwindet.
Eine Warnung, die auch bezüglich der Tierhaltung zu hören ist. Ist das nicht übertrieben?
Die Zahlen sind da sehr deutlich: Die Schweinehaltung geht weiter massiv zurück. Binnen eines Jahres haben 1900 Bauern ihre Schweineställe geschlossen. Es gibt noch 16900 Betriebe mit Schweinen in Deutschland. Als Vergleich: In meinem Heimat-Bundesland Baden-Württemberg gab es Jahr 2000 noch 20000 Betriebe mit Schweinen.
Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Tierhaltung zukunftsfest aufzustellen.
Wir Bauern wollen die Tierhaltung in Deutschland weiterentwickeln. Aber das können wir nicht allein leisten. Das, was die Bundesregierung und Minister Özdemir da planen, ist kein Zukunftsprogramm für die Tierhaltung, das ist ein Abbauprogramm. Es bietet den Bauern keine echte Perspektive. Es ist weder geklärt, wie der Umbau finanziert werden soll, noch sind die Vorgaben für die Ställe praxistauglich. Es fehlt an vielem.
Keine Erdbeeren, keine Schweine – aber Energie! Die Ausbaupläne der Regierung für Erneuerbare sind für Sie doch ein Segen. Windräder und Solaranlagen brauchen Platz. Den haben Landwirte …
Ja, die erneuerbaren Energien sind eine Chance für einen Teil der Landwirte. Aber der Ausbau birgt auch Risiken: Um die Energieziele der Bundesregierung umzusetzen, werden 80000 Hektar Fläche benötigt. Die fallen dann im Zweifelsfall weg für die landwirtschaftliche Produktion. Schon jetzt geht jeden Tag 52 Hektar landwirtschaftliche Fläche verloren, etwa weil Straßen oder Häuser gebaut werden. Wir brauchen jeden Hektar, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten.
Also keine Solaranlage auf dem Acker?
Solaranlagen gehören zunächst einmal aufs Dach. Da ist noch sehr viel Platz. Im nächsten Schritt bieten sich Flächen wie Parkplätze an. Und erst an dritter oder vierter Stelle sollten landwirtschaftliche Flächen in Betracht gezogen werden, aber nur solche mit schlechter Bodenqualität.
Ob es so kommt? Investorengeld ist im Zweifelsfall verlockender als die mühsame Feldarbeit…
In Teilen wird das wohl so sein. Das ist ein großes Thema in der Landwirtschaft. Was man nicht vergessen darf: Viele Landwirte haben das Land, das sie bearbeiten, nur gepachtet. Das gehört also jemand anderem. Kann der Bauer seinem Verpächter den Preis zahlen, den Solar-Investoren bieten, um an die Flächen zu kommen? Im Zweifel nicht und dem Bauern wird die Existenzgrundlage entzogen. Auf manchen Betrieben geht da regelrecht die Angst um.
Zur Person
Joachim Rukwied (61) ist Landwirt, Agraringenieur und seit mehr als zehn Jahren Präsident des Deutschen Bauernverbandes, der größten landwirtschaftlichen Berufsvertretung der Republik. Der DBV ist die Dachorganisation der 18 Landesbauernverbände, über die etwa 90 Prozent der gut 300000 Landwirte in Deutschland organisiert sind. (EB)