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Handwerkskammerpräsident Dittrich im Interview„Die Hilfen müssen endlich kommen!“

Lesezeit 7 Minuten
ARCHIV - 18.01.2023, Berlin: Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), steht bei einem Interview mit der Deutschen Presse Agentur dpa auf der Dachterrasse des Hauses des Deutschen Handwerks.

Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH),

Der Handwerkskammerpräsident mahnt zugesagte Härtefallregelung für energieintensive Betriebe an. Im Interview spricht er über die großen Herausforderungen der Betriebe.

Jörg Dittrich ist der erste Ostdeutsche an der Spitze des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Im Interview mit Rena Lehmann erklärt er, was ihn geprägt hat – und vor welchen Herausforderungen er die eine Million Betriebe sieht, für die er nun spricht.

Herr Dittrich, Sie sind der erste Ostdeutsche an der Spitze einer der wichtigsten Wirtschaftsverbände. Was werden Sie anders machen?

Es geht weniger darum, als Ostdeutscher per se etwas anders zu machen. Aber sicher kann ich aufgrund meiner Herkunft und Sozialisation andere Erfahrungen einbringen. Ich sehe es als Vorteil, zwei Gesellschafts- und Wirtschaftsformen zu kennen. Ich weiß um den Einschnitt, den die Wiedervereinigung für viele Millionen Menschen in der DDR bedeutet hat. Daraus lässt sich auch einiges an Schlüssen ziehen für die jetzt allgemein und im Handwerk anstehenden Transformationsprozesse, etwa was Innovationsfähigkeit, Flexibilität und Anpassungen an veränderte Umstände betrifft.

Was hat sie besonders geprägt in Ihrem Leben?

Für mich ist die 1989 errungene Freiheit ein Wunder. Dieses Gefühl für das „Wunder der Freiheit“, das habe ich immer noch, das geht nicht weg. Und es betrübt mich zu sehen, dass viele offenbar schon wieder vergessen haben, wie es in der Diktatur war. Als Kind musste ich miterleben, wie mein Vater immer wieder Enteignungsversuche unseres Familienbetriebes abwehren musste. Meine eigene Geschichte macht mich zu einem Optimisten.

Zuletzt haben sich einzelne Kreishandwerkerschaften zum Krieg in der Ukraine positioniert, die AfD reklamiert für sich, die Partei des Handwerks zu sein. Wie gehen Sie damit um?

Das Handwerk steht fest in der Mitte der Gesellschaft und ist parteipolitisch neutral. Wir werden uns von keiner Partei vereinnahmen lassen. Wir müssen uns um die Themen und das kümmern, was die Handwerksbetriebe und ihre Beschäftigten bewegt. Darauf kommt es an.

Der Kanzler und seine Ampel wollen ein neues Deutschland-Tempo beim Planen und Bauen. Was müsste passieren, damit das klappt?

Der Reformstau erinnert mich an die 2000er-Jahre, als Deutschland als kranker Mann Europas galt. Wir sind aktuell zu langsam, zu wenig digital, wir brauchen mehr Fachkräfte. Es wurden bürokratische Hürden aufgebaut, die kaum noch zu bewältigen sind. Wir Handwerker sind sehr für ein neues Deutschland-Tempo – nicht nur bei einem LNG-Terminal, sondern wir brauchen das generell. Aber noch kann ich nicht erkennen, dass dafür der Knoten durchschlagen wird.

Wie könnte er denn durchschlagen werden?

Alle Verfahren zur Planung, Genehmigung und Umsetzung müssen beschleunigt werden: von großen Verkehrsinfrastrukturen über die Planung von Stromtrassen und Wohnungsbauvorhaben bis hin zu Windkraftanlagen. Hier hakt es überall. Bei vielen Vorhaben würde es erheblich helfen und auch für die Betriebe schneller Planungssicherheit schaffen, wenn – wie es beim LNG-Terminal der Fall war – Beteiligungsprozesse und Gerichtsverfahren gestrafft würden und auf bestimmte Planungsschritte teilweise verzichtet würde. Aber es sind nicht ausschließlich gesetzliche Vorgaben, die zu Verzögerungen führen.

Sondern?

Das kommt oft auch dadurch, dass die Planungs- und Genehmigungsbehörden personell nur unzureichend ausgestattet sind und es dort oft intern an Effizienz fehlt. Da wartet man als Betrieb dann schon einmal unnötig lange, ehe man die Baugenehmigung in Händen hält. Das wäre für die Betriebe sicherlich schneller und einfacher möglich, wenn endlich durchgreifend entbürokratisiert, die Verwaltungsvorgänge digitalisiert und vor allem auch auf zusätzliche Belastungen verzichtet würde.

Die Energiepreisbremsen für Unternehmen gelten schon seit Januar. Was hören Sie aus den Betrieben? Reichen die Hilfen aus?

Die Preisbremsen waren der richtige Weg, um besonders den energieintensiven Betrieben durch die Krise zu helfen. Schon jetzt ist abzusehen, dass dadurch vielen Betrieben so unter die Arme gegriffen werden konnte, dass sie weitermachen und nicht schließen. Ein Problem ist aber, dass die Härtefallhilfen an besonders betroffene energieintensive Betriebe noch immer nicht ausgezahlt werden. Dabei waren die genau dafür gedacht, Betriebe im Januar und Februar zu unterstützen, also in den Monaten, in denen sie die Energiekosten vorfinanzieren müssen, weil die Bremsen erst rückwirkend greifen.

Und nun?

Jetzt sind wir bereits im Februar und noch sind keinerlei Mittel geflossen. Dabei drängt die Zeit. Die Abschlagsrechnungen liegen längst in den Briefkästen. Und die Liquiditätsreserven bei vielen energieintensiven Betrieben – wie Bäckereien, Konditoreien, Metzgereien, Brauereien, aber auch den Textilreinigern und Karosserie- und Fahrzeugbauern – sind inzwischen stark angegriffen oder sogar aufgezehrt. Da müssen die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern jetzt endlich schnell Klarheit schaffen. Die Härtefallhilfen müssen jetzt endlich kommen!

Sie haben kürzlich beschrieben, dass Handwerksleistungen immer teurer werden. Wo ist beim Kunden die Schmerzgrenze?

Handwerksleistungen sind zuletzt teurer geworden, weil es viele Kostenschübe bei Material, Energie, Personal, aber auch den Sozialabgaben gegeben hat. Alles Kostenblöcke, die die Betriebe nicht selbst beeinflussen können. Wenn sie jedoch wirtschaftlich arbeiten wollen, kommen sie nicht umhin, diese Kosten auch über die Preise weiterzugeben. Wir müssen jedoch aufpassen, dass die Summe dieser Teuerungen nicht zu Verkaufspreisen führt, die sich dann nur noch Teile dieser Gesellschaft leisten können. Es liegt nicht im Interesse des Handwerks, wenn sich der eine die Handwerksleistung noch leisten kann, der andere aber nicht. Da kommt das Geschäftsmodell dann an seine Grenzen.

Handwerksbetriebe haben vor allem Personalkosten. Wo sehen Sie die Grenze bei den Sozialabgaben erreicht?

Schon seit Jahren pochen wir darauf, dass die Lohnzusatzkosten nicht über 40 Prozent als absoluter Schmerzgrenze für Betriebe und Beschäftigte steigen dürfen. Und jetzt machen wir einen Sprung über diese Grenze. Die Politik muss endlich die Finanzierung der Sozialsysteme reformieren. Immer mehr Menschen sind länger im Rentenbezug und brauchen dann auch mehr Leistungen des Gesundheitssystems. Es kann nicht dabei bleiben, dies vor allem über Beiträge zu finanzieren, die an den Faktor Arbeit gekoppelt sind. Das schwächt die Wettbewerbsfähigkeit lohnintensiver Bereiche wie des Handwerks. Ich kann es als Präsident des Handwerks nicht hinnehmen, dass die lohnintensiven Handwerksbetriebe dies schultern sollen und dieser Nachteil immer größer wird. Der Faktor Arbeit muss entlastet werden, und darüber müssen wir sprechen.

Plötzlich ist der Fachkräftemangel da, vor dem insbesondere das Handwerk seit Jahren warnt. Warum sind die Betriebe nicht erfolgreicher beim Rekrutieren von Nachwuchs?

Die Bildungspolitik hat in den vergangenen Jahrzehnten die universitäre Bildung in den Vordergrund gestellt, Abitur und Studium wurden als Königsweg für beruflichen Aufstieg gepriesen. Immer mehr Schüler machten Abitur, aber ein zu geringer Anteil von ihnen entschied sich dann für die berufliche Bildung, auch weil die Berufsberatung an den Gymnasien überwiegend nur Studienberatung war und leider oft noch ist. Nicht zuletzt hat das Handwerk lange selbst nicht selbstbewusst genug über sich gesprochen. Dabei können wir als Handwerkerinnen und Handwerker mit Fug und Recht sagen, dass wir unverzichtbar sind, damit unsere Gesellschaft, Wirtschaft, ja unser Land funktioniert. Nur mit dem Handwerk wird die Zukunft zu „machen“ sein.

125 000 Betriebe suchen in den nächsten fünf Jahren Nachfolger. Wird der Übergang gelingen?

Es ist unser Auftrag, möglichst viele erfolgreiche Betriebsnachfolgen hinzubekommen. Ein durchschnittlicher Handwerksbetrieb hat fünf bis sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es geht also um viel – die Zukunft von rund 750 000 Arbeitsplätzen. Wenig hilfreich ist, dass Selbstständigkeit und Unternehmertum in großen Teilen der Gesellschaft mit einem gewissen Vorbehalt betrachtet werden. Wir müssen unbedingt wieder wertschätzend über die Selbstständigkeit sprechen. Es muss aufhorchen lassen, wenn Jugendliche heute als Berufswunsch angeben, auch aus Gründen der Sicherheit in den öffentlichen Dienst zu wollen, und berufliche Selbstständigkeit kaum mehr in Betracht ziehen.

Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?

Unser Staat wird nach meinem Empfinden immer fürsorglicher. Er bietet überspitzt gesagt „betreutes Leben“ an. Wenn wir als Gesellschaft Work-Life-Balance nur als Balance zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit verstehen, aber nicht mehr die Frage nach der Balance von Sinnhaftigkeit und Unsinn stellen, ist das doch ein Problem. Wem das, was er tut, Freude bereitet, der empfindet es nicht als Zumutung. Hunderttausende Handwerker lieben ihren Beruf.