1. Interessenvertretung von fast 35. 000 Handwerksbetrieben in der Region war am Dienstag durch eine Finanzaffäre in die Schlagzeilen geraten.
2. Die Institution trennte sich überraschend von ihrem Hauptgeschäftsführer Ortwin Weltrich und seinem Stellvertreter Peter Panzer.
3. Was ist vorgefallen? Ein Bericht von Delphine Sachsenröder

Köln – In ihrem Sitzungssaal im vierten Stock berichtet die Handwerkskammer zu Köln in der Regel über Probleme wie den Nachwuchsmangel bei Fliesenlegern oder beschwert sich über städtische Baustellen, die ihren Mitgliedsfirmen durch Staus die Zeit rauben. Überraschungen sind selten, das Interesse der Journalisten hält sich im Rahmen.

Am Mittwochmittag dagegen bemühten sich schon vor Beginn der Pressekonferenz mehrere Kamerateams um eine neue Perspektive auf den Zweckbau der Kammer am Rande des Heumarkts. Im Sitzungssaal gab es nur noch Stehplätze. Schließlich war die Interessenvertretung von fast 35. 000 Handwerksbetrieben in der Region bereits am Dienstag durch eine Finanzaffäre in die Schlagzeilen geraten.

Die Institution trennte sich überraschend von ihrem Hauptgeschäftsführer Ortwin Weltrich und seinem Stellvertreter Peter Panzer. Es geht um Geld, aber keiner nennt die genauen Summen. Es geht um bestenfalls schludrige Abrechnungsmethoden, die seit Jahrzehnten in der Kammer gang und gäbe waren. Und es geht um den Ruf der Kölner Institution, die sich aus den Pflichtbeiträgen der Betriebe mitfinanziert. Es geht außerdem um Schuldzuweisungen, bei denen es nach bewährtem kölschen System keiner wirklich gewesen sein will.

Die grundlegenden Tatsachen, die Kammerpräsident Hans Peter Wollseifer am Mittwoch vor Journalisten an Seite des Rechtsanwaltes, ehemaligen Kölner Bürgermeisters (CDU) und in der Domstadt bekannten Strippenziehers Rolf Bietmann vorstellte, sind weitgehend unstrittig: Die Handwerkskammer zu Köln bringt ihr Wissen in Projekte der Entwicklungszusammenarbeit ein. Diese Projekte sind in eine eigene Gesellschaft, die Bildungs- und Beratungs-GmbH der Handwerkskammer zu Köln, ausgelagert. In dieser GmbH waren Ortwin Weltrich und Peter Panzer, genau wie in der Kammer, Hauptgeschäftsführer und Stellvertreter.

Schaden an zwei Stellen entstanden

Da Entwicklungshilfe nicht zu den eigentlichen Aufgaben der Kammer zählt, wird die Arbeit der GmbH unter anderem aus staatlichen Zuschüssen finanziert. Wenn Mitarbeiter der Kammer für die GmbH arbeiten, müssten die Personalkostenzuschüsse an die Kammer weitergereicht werden. Das ist in Köln seit Gründung der GmbH 1995 nicht, oder nur unzureichend geschehen. Die Folge: Die Gewinne der GmbH fielen höher aus, da die Personalzuschüsse des Bundes nicht weitergereicht wurden.

Dadurch ist an zwei Stellen Schaden entstanden: Zum einen stiegen die an den Gewinn der GmbH gekoppelten Zusatzzahlungen für die Geschäftsführer Weltrich und Panzer stärker als sie es eigentlich gedurft hätten. Zum zweiten musste die GmbH in einigen Jahren Steuern für Gewinne zahlen, die künstlich hochgerechnet waren. Kammerpräsident Wollseifer spricht in diesem Zusammenhang von „Verstößen gegen die Vermögensbetreuungspflicht“ und von „Sachverhalten, die uns betroffen machen“. Die Kammer werde „die Situation bis ins kleinste Detail ermitteln und offenlegen und Schadensersatz einfordern“, sagte Wollseifer am Mittwoch.

Höhe des Schadens ist unklar

Um welche Schadenshöhe es geht, blieb jedoch weitgehend unklar. Anwalt Bietmann wollte sich nicht weiter festlegen als „eine größere sechsstellige Summe“. Weltrich sieht einen Schaden von rund 120 000 Euro, der durch die mangelnde Weiterleitung der Kostenerstattung an die Kammer entstanden sei. Er nennt den, erst ab dem Jahr 2015 entstandenen, Steuerschaden einen „groben Fehler“, für den er als Hauptgeschäftsführer die Verantwortung übernehme, obwohl der von dem Sachverhalt erst vor kurzem erfahren habe.

Den Vorwurf, er habe sich durch die mit falschen Abrechnungen entstandenen höheren GmbH-Gewinne und damit höheren Zusatzzahlungen für die Geschäftsführer bereichern wollen, weist der 63-jährige Weltrich dagegen zurück. Seit seinem Antritt im Jahr 2007 als GmbH-Geschäftsführer habe er rund 45 000 Euro an Tantiemen erhalten. Neben einem niedrigen GmbH-Geschäftsführergehalt hält Weltrich das für keine zu hohe Summe. Im Vergleich: Sein Geschäftsführerposten bei der Kammer ist mit rund 190 000 Euro Grundgehalt im Jahr dotiert. Für seinen Stellvertreter Panzer galt ein anderes Vergütungssystem. Er war am Mittwoch nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Was war mit den Kontrollgremien?

Offen bleibt die Frage, warum neben Geschäftsführer und Stellvertreter auch die Kontrollgremien innerhalb der Kammer in den 24 Jahren seit GmbH-Gründung nie über die fehlerhafte Buchung der Personalkosten gestolpert sind. „Das ist aus den Bilanzen kaum herauszulesen und gerade für Ehrenamtler nicht nachvollziehbar“, entschuldigt Anwalt Bietmann die Kammer-Verantwortlichen neben der Geschäftsführung. Zudem sei ein Schaden ohnehin erst ab dem Jahr 2015 entstanden, denn vorher habe die GmbH kaum Gewinne erwirtschaftet und daher auch so gut wie keine Steuern zahlen müssen.

Auch bei den Geldgebern stellte man offenbar über Jahrzehnte hinweg lieber nicht zu viele Fragen über die Verwendung. Die Bonner gemeinnützige GmbH Sequa (75 Mitarbeiter, knapp 40 Millionen Euro Jahresumsatz) ist dafür zuständig, die Bundesmittel für Entwicklungshilfe an die Untergesellschaft der Handwerkskammer weiterzureichen. Gestern wollte sich die Gesellschaft auf Anfrage nicht zu dem Fall äußern.

Rechtsanwalt Bietmann lobte Kammerpräsident Wollseifer für die „ungewöhnlich konsequente“ und schnelle Aufklärung des Falls. Wollseifer ist neben seiner Position in Köln seit 2014 auch Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks und steht damit auch in Berlin im Fokus der Öffentlichkeit.

Weltrich und Panzer überrascht

Für Weltrich und Panzer kam die plötzliche Trennung dagegen offenbar eher überraschend. Etwa seit Jahresanfang ist das Problem nach übereinstimmenden Angaben bei der Kammer bekannt gewesen und diskutiert worden. Weltrich sagt, er habe selber auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Abläufe zu ändern.

Laut Wollseifer war es ein neuer Abteilungsleiter, der auf die Unstimmigkeit hinwies. „Dieses Problem ist seit Mitte Februar angewachsen“, so der Kammerpräsident. So sei es am Montag nach Vorlage eines Gutachtens durch Bietmann zu einer Vorstandssitzung „bis spät in die Nacht gekommen“, bei der man sich einstimmig darauf geeinigt habe, die Dienstverhältnisse mit Weltrich und Panzer zu beenden.

Die Konsequenzen bei der Kammer sollen jedoch noch weiter gehen: Wollseifer kündigte neben den personellen auch strukturelle Konsequenzen in der Handwerkskammer an. Da der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Panzer ohnehin wenig später in den Ruhestand gegangen wäre, steht seine Nachfolgerin bereit. Die Stelle des Hauptgeschäftsführers will die Kammer öffentlich ausschreiben und rechnet mit „zahlreichen interessanten Bewerbungen“, so Wollseifer. Bei der nächsten Vorstandssitzung am 9. April wollen die Handwerksvertreter weitere Schritte dazu unternehmen. Die Entwicklungshilfe solle „unbedingt weitergeführt werden“.

Anwalt Bietmann, bekannt unter anderem durch die Vertretung des Unternehmers Hellmut Trienekens im Kölner Müllskandal und durch umstrittene Beraterverträge mit der Sparkasse Köln Bonn, will sich derweil um das Geld der Handwerker kümmern. Für die unnötigen Steuerzahlungen kommt voraussichtlich die Versicherung auf, hofft er.

Hintergrund zur Handwerkskammer zu Köln

Die Handwerkskammer zu Köln vertritt knapp 35 000 Mitgliedsunternehmen und ist damit bundesweit die viertgrößte Handwerkskammer. Zum Kammerbezirkt gehört die gesamt Region Köln/Bonn. Die Institution finanziert sich neben selbst erwirtschafteteten Mitteln aus den Mitgliedsbeiträgen, zu deren Zahlung Handwerksbetriebe verpflichtet sind. Insgesamt beschäftigt die Kammer rund 260 Mitarbeiter, die meisten am Hauptsitz in Köln, einen Teil in Bonn.

Das oberste Organ der Handwerkskammer ist die Vollversammlung, mit 54 Mitgliedern aus allen Handwerksgruppen, davon zwei Drittel als Vertreter des selbstständigen Handwerks und ein Drittel als Vertreter der Arbeitnehmer. Getragen wird die Kammer von zahlreichen Ehrenamtlern.

Die Handwerkskammer setzt sich auch politisch für die Belange ihrer Mitglieder ein: „Wir nehmen Stellung zur Bauleitplanung, zum Beispiel bei der Ausweisung von Gewerbegebieten und beziehen bei der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsunternehmen, bei der Ausschreibung und Vergabe kommunaler Aufträge ebenso Position für das örtliche Handwerk, wie bei der Festlegung kommunaler Gebühren“, heißt es in der Selbstdarstellung der Institution im Internet.

Außerdem kümmert sich die Kammer um viele Belange bei der Ausbildung, Weiterbildung und Betriebsführung von Handwerkern. Existenzgründer können sich beispielsweise in speziellen Beratungszentren der Kammer bei ihrem Vorhaben unterstützen lassen. Auch Sachverständige im Handwerk – zur Zeit sind es etwa 180 Personen – werden durch die Kammer bestellt und vermittelt. Entwicklungshilfeprojekte unterhält die Kammer unter anderem in Uganda, Palästina und Togo.

Das Handwerk beschäftigt im Kammerbezirk insgesamt rund 1,3 Millionen Menschen und setzt im Jahr nach Schätzungen der Interessenvertreter etwa 18 Milliarden Euro um.