Ist das Greenwashing oder beruht es auf Fakten? Eine Behörde hinterfragt die Lidl-Studie zum CO2-Abdruck bei Einwegflaschen.
Greenwashing beim Discounter?Warum Lidl mit Plastikflaschen „aus Liebe zur Natur“ wirbt – Jauch in der Kritik
Wer die Natur liebt, kauft keine Einwegflaschen. Das dürften selbst diejenigen denken, die es aus Bequemlichkeit dann trotzdem tun. Lidl hält das für falsch. Unter dem Motto „Aus Liebe zur Natur“ wirbt der Discounter jetzt für Plastikflaschen. Die, so die Botschaft, können in der Klimawirkung Mehrwegsystemen ebenbürtig sein.
Das Gesicht der Kampagne ist Günther Jauch. Und auch er kann kaum glauben, was er da sagt: Ausgerechnet die Plastikflasche soll „eine der ökologischsten“ überhaupt sein, fragt Jauch im Lidl-Spot – und erklärt es dann selbst: Lidls „Kreislaufflaschen“ bestehen aus recyceltem Plastik; einmal geleert, werden sie gepresst, sodass für den Transport weniger Lkw-Fahrten nötig sind als für sperrige Mehrweg-Kästen. Lidl hat dazu eine Studie beim Ifeu-Institut beauftragt. Der CO2-Fußabdruck seiner 1,5-Liter-PET-Flasche liegt demnach um beinah 50 Prozent unter dem einer 0,7-Liter-Mehrwegflasche aus Glas.
„Vor den Karren gespannt“
Nicht alle sind überzeugt. „Wer ,nachhaltig‘ auf eine Plastikflasche schreibt, betreibt Greenwashing“, sagt die Greenpeace-Aktivistin Viola Wohlgemuth unserer Redaktion. „Es ist erschreckend, dass Günther Jauch sich vor den Karren einer Einwegfirma spannen lässt, die den Wandel zum Mehrweg boykottiert.“ Die Expertin für Kreislaufwirtschaft wertet die Lidl-Kampagne als Angriff auf das demnächst anstehende Verpackungsgesetz: „Die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl gehört, boykottiert den politischen Prozess zur Vermeidung von Plastikmüll.“
Jauch weist das zurück: „Der Vorwurf trifft nicht, weil die Daten darauf hinweisen, dass die Kreislaufflasche ein zukunftsweisendes Modell ist“, teilt er uns mit. „Diese Kreislaufflasche ist ein innovatives und ökologisches System und das Gegenteil von Greenwashing.“ Auch der Discounter wehrt sich gegen den Vorwurf ökologischer Scheinbotschaften. Er verweist auf die „strengen, international gültigen Regeln“ für Ökobilanzen, denen seine Studie folgt. „Dadurch wird Greenwashing ausgeschlossen.“
Das Umweltbundesamt (UBA) sieht das anders. Die Discounter-Studie genüge „nicht den Mindestanforderungen des UBA“, teilt uns der Verpackungsexperte Gerhard Kotschik mit. Und erklärt, wieso Lidls Vergleich seiner PET-Flaschen mit handelsüblichen Glasflaschen hinkt. Den Werten seines tatsächlich guten, „sehr stark durchoptimierten Systems“, so Kotschik, stelle das Unternehmen die Zahlen durchschnittlicher Mehrwegsysteme gegenüber. Der Klassenbeste unter den Plastikflaschen misst sich also am Durchschnitt der Mehrweg-Flaschen. Außerdem spare die Lidl-Kampagne die „erheblichen Verbesserungspotenziale“ beim Mehrweg aus. Um diese auszuschöpfen, fehle es allerdings seit Jahren an Investitionen.
Noch ein Versprechen stößt auf Kritik. „Kein Neuplastik“ geht laut Lidl in die „Kreislaufflasche“. Dazu sagt Greenpeace-Expertin Wohlgemuth: „Es ist quasi unmöglich, eine Flasche komplett aus recyceltem PET herzustellen; es wird immer neues Öl gebraucht.“ Damit konfrontiert, antwortet Jauch, er spreche nur von Lidls „Kreislaufflasche“: „Deren Vorzug besteht gerade darin, dass sie tatsächlich kein Neuplastik benötigt.“ Auch hier widerspricht das Umweltbundesamt: „Das gerechnete PET-Einweg-System ist für den Betrieb immer auf Input von Neumaterial bzw. Recyclingmaterial von außen angewiesen.“
Bundesamt sieht Denkfehler
Dass kein Neuplastik nötig sei, hält das UBA für einen Denkfehler: Um Verluste im Kreislauf auszugleichen, sei der Discounter auf fremde Flaschen angewiesen. Lidl komme nur deshalb auf so gute Zahlen, „weil die Belastungen durch Neumaterial teilweise außerhalb der Systemgrenzen der Berechnung anfallen“. Lidl beteuert dagegen, auch „eventuelle Aufnahmen und Verluste“ seien in der Bilanz berücksichtigt. Das Umweltbundesamt sagt dennoch: „Wir sehen aufgrund der Studie oder der Kampagne bisher keine Veranlassung, von unserer Empfehlung, Mehrwegflaschen aus der Region zu bevorzugen, abzuweichen.“
Auch Greenpeace fordert Mehrweg, und zwar vom Online-Handel bis zum Supermarkt. Aktivistin Viola Wohlgemuth nennt Daten: Nur neun Prozent des weltweit produzierten Plastiks würden wiederverwertet. Ein Großteil gehe in neue Produktionsströme wie die Textilindustrie und diesem offenen System werde ständig neues Öl zugeführt.
Was Lidl betreibe, seien „letzte Zuckungen“ im Kampf gegen das Verpackungsgesetz, sagt Wohlgemuth. Aber: „Das Gesetz wird kommen, es wird härter werden und es wird Abgaben für jeden bringen, der Plastik in den Verkehr bringt.“
Lidl betont, man wolle „die Debatte versachlichen und einen fairen Wettbewerb der Systeme“. Und Jauch, der Werbeeinnahmen eigenen Angaben zufolge „ohne jeden Abzug in gemeinnützige Projekte“ steckt, spricht von Aufklärungsbedarf: „Jeder sollte es begrüßen, wenn ökologische Stoffkreisläufe im Lebensmittel-Einzelhandel vorangebracht werden. Und Lidl hat sich diesen Fortschritt mehr als 100 Millionen Euro kosten lassen“, teilt er mit.
Die Greenpeace-Vertreterin hat dafür nur Spott übrig: „Mit falschen Werbeversprechen kennt Jauch sich aus“, sagt sie und erinnert an seine einstige Artenschutz-Kampagne für das Krombacher-Bier: „Damals wurde das Motto dann übersetzt in: ,Saufen für den Regenwald‘. Das hat auch nicht funktioniert, obwohl das Bier wenigstens in Glasflaschen verkauft wurde.“ Fürs Erste lädt sie Jauch ein, sich mit Greenpeace eine Müllhalde in Kenia oder Tansania anzugucken: „Als guter Journalist kann er sich dort informieren, wie nachhaltig seine Plastik-Flaschen sind.“