Ex-Telekom-ChefRené Obermann über die Einsamkeit an der Spitze

René Obermann, ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Telekom AG, ist auch heute noch gefragter Gast bei Diskussionen.
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Der frühere Vorstandschef der Telekom war bei dem Bonner Konzern von 2006 bis 2013 in stürmischen Zeiten unterwegs. Radikal musste er Kosten senken und Besitzstände kappen. Mit René Obermann sprach Helge Matthiesen.
Herr Obermann, der Start in Ihre erfolgreiche Karriere war eine Lehre. Ist das nicht ungewöhnlich für Topmanager?
Ich hatte den innigen Wunsch, Medizin zu studieren. Das klappte aber nicht. Dann habe ich nach einer Alternative gesucht, um mich erst mal zu orientieren. Über ein Berufspraktikum bin ich auf die Idee gekommen, mich bei BMW als Industriekaufmann zu bewerben. Diese Ausbildung war phantastisch. Daran habe ich ganz dankbare Erinnerungen. Aus dieser Ausbildung hat sich meine spätere Berufstätigkeit ergeben, denn mit dem Wissen daraus habe ich mich selbständig gemacht.
Sie sind Studienabbrecher und haben heute eine Professur in Düsseldorf, die Sie gelegentlich wahrnehmen. Kann man es den jungen Leuten empfehlen, das Studium abzubrechen?
Das war eine Gastprofessur für ein Semester. Ich frage mich eher, ob man eine Professur empfehlen kann. Scherz beiseite, auf keinen Fall abbrechen, eine gute Ausbildung ist extrem wichtig.
Ein Studium bricht man ja nicht einfach so ab. War das eine schwere Entscheidung?
Ich würde es jedenfalls heute anders machen! Aber das kam, weil mein kleiner Betrieb nach einem Jahr acht Menschen beschäftigte. Es ging einfach nicht mehr, beides unter einen Hut zu bringen. Das hätte aber auch alles scheitern können. Wenn ich mir heute überlege, welche Risiken wir eingegangen sind, ohne groß nachzudenken, ist es pures Glück, dass ich hier heute sitze.
Kommen Sie selbst aus einer Akademikerfamilie?
Meine Mutter hat Kunst studiert. Aber ich bin im Wesentlichen bei meinen Großeltern aufgewachsen und mein Großvater war Handwerker.
Heute wird oft beklagt, dass Kinder aus solchen Familien es beim Aufstieg schwer haben. Muss man als Chef auch den krummen Lebenswegen Beachtung schenken?
Ja, das denke ich. Wir haben bei der Telekom vielen jungen Menschen, die durchs schulische und gesellschaftliche Rost gefallen waren, eine zweite Chance gegeben, ihnen Praktika oder eine Lehre ermöglicht. Sie sollten sich zurück ins Arbeitsleben tasten. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Viele von diesen Mitarbeitern haben eine gute Ausbildung gemacht, und manche gehörten später sogar zu den Jahrgangsbesten. Als Verantwortungsträger müssen wir uns unbedingt dafür einsetzen, dass jedes Kind eine Chance bekommt und wo nötig auch eine zweite.
Sie haben mal von einem Kulturschock gesprochen, den Sie bei ihrem Eintritt in die Telekom erlebt haben. Worin bestand der?
Ich kam aus meiner mittelständischen Firma, in der wir jeden Cent umgedreht haben, bevor er ausgegeben wurde. Am Anfang bei der Telekom hatte ich tatsächlich einen enormen Kulturschock, weil Geld oder Kosten scheinbar keine Rolle spielten. Das Problem war damals, dass die Telekom in der Frühphase der Liberalisierung noch immer extrem viel Geld verdiente. Wenn so viele Mittel da sind, geht der Blick für das Unternehmerische, für die eigentliche Leistung verloren. Das ist den einzelnen Mitarbeitern gar nicht vorzuwerfen. Die Telekom hat in der Monopolzeit viele Dinge aufgebaut und angehäuft, die sie eigentlich nicht brauchte. Als der Wettbewerb schärfer wurde, war das eine bedrohliche Last. Das dann zurückzuführen, hat viele Jahre gebraucht. Ich glaube, das ist mittlerweile gut gelungen.
2006 haben Sie den Vorstandsvorsitz der Telekom übernommen, einen Job, den man damals als einen der schwierigsten in der deutschen Wirtschaft bezeichnet hat. Wenn man so ein Angebot bekommt, denkt man da zweimal nach?
Die Situation war 2006 sehr schwierig. Als ich 1998 zur Telekom kam, gab es einen sehr visionären Chef, Ron Sommer, der wegen des Aktienkurses später sehr geschmäht wurde. Im Saldo war er aber der Grund, warum die Telekom heute so international aufgestellt und damit erfolgreich ist. Dann, im Jahr 2000, platzte die Internetblase. Wir hatten plötzlich mit einer großen Verschuldung zu tun. Dann kam Kai Ricke, der unter anderem viel für den Schuldenabbau getan hat. In dieser Phase konnten wir aber viele Dinge nicht mehr machen, die wir eigentlich hätten machen müssen. Es fehlte das Geld. Dann kam meine Zeit. Das Unternehmen hatte, als ich Vorstandschef wurde, einen ganz schlechten Ruf am Markt. Es gab zum Beispiel ein Buch, das hieß „Der Telekom-Hasser„“. Das, so sagten viele, war eigentlich ein Job, den man nicht freiwillig annehmen sollte. Aber die Alternative wäre gewesen, dass ein sogenannter Sanierer von außen kommt. So einer hätte die Telekom in ihrer Struktur vielleicht nicht erhalten. Und ehrlich gesagt: Ich habe auch gedacht, ich finde einen Weg, wie es geht. Das hat dann über Nacht mein Leben verändert.
Sie waren plötzlich Chef von 240 000 Menschen. Ist das ein tolles Gefühl, so viel Macht zu haben, oder war es eine Last?
Über Nacht wurde ich von einem Manager, der im Vorstands-Team ist, zum kritisch beäugten Konzern-Chef. Sie sind von heute auf morgen ganz alleine. Ich erinnere mich gut, wie mir der damalige Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel sinngemäß gesagt hat: Wenn Sie das machen, dann müssen Sie wissen, wenn etwas schiefgeht, dann ist das immer nur Ihr Thema. Da denkt man zuerst, das kriege ich doch hin. Aber dann kommt tatsächlich der erste große Massenprotest und Sie spüren den Druck unmittelbar. Wenn Sie nicht genügend Lebenserfahrung haben, nicht gefestigt genug sind – ich war 43 und eigentlich zu jung –, ist die erste Zeit schwierig. Es hat auch bei uns zu Hause Spuren hinterlassen.
Auch die Medien haben Sie nicht besonders sanft behandelt. „Obermann – Dobermann“, der „Bulldozer“. Haben Sie das ernsthaft zur Kenntnis genommen?
Manche Kritik war ja auch berechtigt. Die Dobermann-Kritik hat mich aber sehr getroffen. Ich glaube, auch damals schon, trotz des brutalen Kostendrucks begriffen zu haben, dass man ein Unternehmen nicht gegen die Interessen der Belegschaft und der Menschen führen darf. Sicher war ich getragen von der Überzeugung, dass wenn wir nicht jetzt hart einsteigen, Standorte und Arbeitsplätze abbauen, Besitzstände kappen, dann schaffen wir es nicht, dann ist die Firma in absehbarer Zeit komplett aus dem Markt und erledigt. Mit dieser Überzeugung bin ich losmarschiert und habe nicht ausreichend bedacht, dass auch eine Gewerkschaft nach innen und nach außen Erfolge zeigen muss. Wir hatten einen der härtesten Streiks in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Ich hätte früher auf die andere Seite zugehen und das Gespräch im kleinen Kreis suchen müssen. Das war die Unerfahrenheit. Daher war einige Kritik auch berechtigt.
Die Führung des Konzerns war anfangs eine Grenzerfahrung?
Man trägt eben für alles persönlich die Verantwortung in der Öffentlichkeit. Im Radsport Team Telekom gab es die Dopingaffäre zum Beispiel. Oder es kam ein Bespitzelungsskandal hoch. Der fing klein an und entwickelte sich dann groß. Dann kam noch eine lange zurückliegende Korruptionsaffäre in Osteuropa dazu. Mit solchen Themen sind Sie immer Titelstory in Medien. Damit umzugehen, fand ich schwierig. Ich habe mich phasenweise sehr geschämt.
Alleine an der Spitze – aber so ein Konzern ist ja nicht alleine zu führen. Wo haben Sie die Menschen gefunden, die dennoch halfen, das Problem zu lösen?
Stimmt, ohne sie schafft man das nicht. Es sei denn, man ist aus Beton. Die Menschen habe ich hier im Rheinviertel gefunden. Tim Höttges kam 2000 zu T-Mobile, wir hatten jahrelang als Team ein schönes Wachstum und ein großartiges Berufsleben. Wir haben seither eng miteinander gearbeitet, viel diskutiert und auch munter gestritten, und wir wurden enge Freunde, sind es bis heute. Außerdem gab es viele Kollegen im Büro, wie meine Assistentin oder meinen Büroleiter zum Beispiel. Da konnte ich mich auch manchmal ausheulen. Sie müssen ja auch Platz haben für ihre Emotionen. Wir hatten trotz allem Druck eine gute Atmosphäre im Büro. Die Telekom hat ganz, ganz großartige Leute. Nach der anfänglichen Schockwelle wegen der Restrukturierung und der Aufarbeitung von Altlasten verbesserte sich auch der innere Zusammenhalt zwischen Management und Mitarbeiter/innen.
Als die Krise der Telekom vorbei war, die Kosten um fünf Milliarden gesenkt und der Konzern wieder wettbewerbsfähig war, haben Sie gesagt, jetzt gehe ich. Warum haben Sie sich nicht einfach zurückgelehnt und weitergemacht?
Ein Aufsichtsrat hat mir gesagt, bleiben Sie doch bis zur Ernte. Ich finde säen aber spannender. Ich war 16 Jahre bei der Telekom. Und es ist gut für die Firma und es ist auch gut für einen selbst, wenn es nach so langer Zeit einen Wechsel gibt. Ich war 48, als ich den Entschluss gefasst und mir gesagt habe, wenn Du 50 bist, musst Du Dich neu erfinden, musst dazulernen, einen neuen Weg gehen. Das konnte ich nur tun, weil ich das Gefühl hatte, die Firma ist auf einem guten Weg. Wir hatten viel erreicht, und mein Nachfolger Tim Höttges ist einfach ein exzellenter Manager. Es passte alles.
Ist man danach wieder freier?
Das habe ich am Anfang auch gedacht. Ich ging nach Holland in ein kleineres Unternehmen, um wieder näher an den Kunden und an den Produkten zu sein. Holland ist so herrlich unhierarchisch. Da sind Sie nur Bürger und müssen sich neu beweisen. Ob Sie vorher Präsident waren, spielt keine Rolle. Das habe ich als frei empfunden. Ich konnte das normale Leben führen, das jeder Mensch leben kann. Im Laufe der letzten vier Jahre hat sich das dann doch wieder verändert. Jetzt habe ich wieder ziemlich viel Verantwortung. Das mit der Freiheit ist so eine Sache – wenn man sie hat, nimmt man sie schnell für selbstverständlich.
Aber was fehlt einem denn, wenn man ganz oben auf einem Chefsessel angekommen ist?
Die Zeit, um sich in konkrete Sachfragen einzuarbeiten. Es gibt immer mehr, vor allem Technologie getriebene Themen, die mich brennend interessieren. Aber der Arbeitstag hat nur 16 Stunden. Der Kalender ist immer voll, dazu stehen Sie dreimal am Tag auf einer Bühne. Ich wollte jedenfalls wieder näher an den Maschinenraum.
Man sieht Sie auf roten Teppichen und mit prominenten Menschen
Das gehört zum Spiel.
Macht das eigentlich immer Spaß?
Ich gebe zu, dass es am Anfang schon aufregend war. Es pinselt natürlich auch die Eitelkeit, wenn Sie mit den großen Namen dieser Welt zu tun haben. Das macht schon etwas mit einem. Da muss man aufpassen, dass man die Rolle nicht mit sich selbst verwechselt.