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EU gegen dicke LuftTausende Europäer sterben aufgrund von Luftverschmutzung früher

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Autos, LKW und Lieferfahrzeuge fahren auf dem Kaiserdamm in Berlin stadteinwärts.

Autos, LKW und Lieferfahrzeuge fahren auf dem Kaiserdamm in Berlin stadteinwärts.

Es hat sich einiges getan, doch noch immer nicht genug. Eine EU-Umweltagentur schätzt die Zahl der Todesopfer auf 300.000 – seit 2019.

Es ist noch nicht lange her, als ein erbitterter Kampf um die Luftqualität in Europas Städten tobte. Der Dieselskandal sorgte in Deutschland für Dauer-Schlagzeilen. Regelmäßiger Ozon-Alarm hielt die Menschen noch in den 90er-Jahren an heißen, sonnigen Tagen vom Freibad-Besuch ab. Gerichte entschieden regelmäßig, dass die Behörden für eine bessere Luft sorgen müssten. Und einige Politiker hätten häufig am liebsten Messstellen verlegt, weil besonders von Schadstoffen verpestete Städte und Gebiete zu hohen Strafzahlungen verdonnert wurden.

Mittlerweile ist es um das Thema ruhiger geworden, was auch daran liegt, dass die Luft in Europa seit Jahren sauberer wird. Doch sie ist laut Experten noch immer nicht gut genug. Die EU-Umweltagentur EEA schätzt, dass 2019 mehr als 300.000 Menschen in der Gemeinschaft vorzeitig durch die Belastung ihrer Umgebungsluft mit Feinstaub starben. Deshalb will die EU mit strengeren Grenz- und Zielwerten für verschiedene Schadstoffe, vorneweg Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon, dagegen angehen.

EU stimmt über Richtlinien ab

An diesem Mittwoch stimmen die Abgeordneten des EU-Parlaments über ihre Position zur Überarbeitung der Richtlinie ab, die sich auf Wunsch des zuständigen Umweltausschusses sogar noch näher an den strikten, von der Weltgesundheitsorganisation WHO vorgeschlagenen Leitlinien orientieren sollte als von der Kommission bei der Präsentation des Vorschlags im Herbst 2022 vorgesehen. „Frische Luft sollte kein Luxus sein, sie sollte als grundlegendes Menschenrecht betrachtet werden“, hatte EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius damals gesagt. Demnach soll die Belastung durch Feinstaub mit einer Partikelgröße von bis zu 2,5 Mikrometer im Jahr 2030 um mehr als die Hälfte reduziert werden, von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel auf zehn Mikrogramm.

Wir sollten auf dem einge- schlagenen Weg weitergehen, aber wir haben keine Lage, wo wir mit extremen oder unverhältnismäßigen Maßnahmen eingreifen müssten.
Norbert Lins (CDU), Abgeordneter im Europaparlament

Besonders die Feinstaubbelastung spiele „eine entscheidende Rolle und reduziert die Lebenserwartung erheblich“, sagte der EU-Abgeordnete Tiemo Wölken (SPD) – „mit drastischen Effekten vor allem für finanziell Schwächere, die sich teuren Wohnraum im Grünen nicht leisten können“. Um gleichwertige Lebensbedingungen herzustellen, seien „weitere gesetzgeberische Maßnahmen nötig“.

In Sachen Stickstoffdioxid soll auf Wunsch der Brüsseler Behörde die Belastung ab 2030 bei 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen, bisher sind es im Jahresmittelgrenzwert 40 Mikrogramm. Die WHO empfiehlt sogar nur zehn Mikrogramm.

Fahrverbote und stillgelegte Industrie?

Kommt es bald zu Fahrverboten, einer Stilllegung von Industrieanlagen und der Schließung von Baustellen, wie Kritiker, darunter der Zentralverband des Deutschen Handwerks, befürchten? Den Christdemokraten und Konservativen im Hohen Haus Europas gehen die vom Umweltausschuss formulierten Zielwerte jedenfalls zu weit. Natürlich könne man noch mehr tun, sagte der CDU-Europaparlamentarier Peter Liese. „Aber wir haben viel erreicht, und es gibt keinen Anlass für Panik und Aktionen, die noch mal drastische Konsequenzen nach sich ziehen.“ Sein Kollege Norbert Lins (CDU) sieht das ähnlich. Er plädierte für „realistischere Grenzwerte“, insbesondere bei Stickoxiden. Hier verlangen die Vertreter der Europäischen Volkspartei (EVP) bei der Annäherung an die WHO-Richtwerte mehr Zeit. Statt 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft fordern sie einen Grenzwert von 30 Mikrogramm ab dem Jahr 2030.

Reicht das, damit die EU ihr Ziel erreicht, bis zum Jahr 2050 die Luftverschmutzung auf Null zu bringen? Der Kommissionsvorschlag war mit keinen spezifischen Maßnahmen versehen, sondern legte nur verpflichtende Standards fest. Das Wie ist Aufgabe der 27 Mitgliedstaaten, sobald sich Parlament und Rat, also das Gremium der EU-Länder, auf einen Kompromiss geeinigt haben.

„Wir kommen zunehmend in den Bereich, dass Städte und Gemeinden immer weniger in der Lage sein werden, durch eigene Maßnahmen im lokalen Umfeld Verbesserungen zu erreichen“, sagte CDU-Mann Lins und verwies auf Einflüsse von außen, die zu einer entsprechenden Belastung beitragen. Beispielsweise seien Industrieanlagen in Polen relevant für das Feinstaub-Aufkommen in Teilen Deutschlands.

Hinter den Kulissen rechnen auch Mitglieder anderer Parteien diese Woche mit einer hitzigen Debatte zur Umsetzbarkeit der strengen Vorgaben. „Extreme Einschnitte“ befürchtete etwa eine Grüne hinter vorgehaltener Hand.