Esoterik und fragwürdige RitualeWarum Demeter nicht unbedingt das „bessere Bio“ ist

Als „Kackehörnchen“ bezeichnet Demeter-Landwirt Robert Kasperan die mit Dung gefüllten vergrabenen Kuhhörner.
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Köln – Die kleine Fotoserie mutete seltsam an, die Robert Kasperan Mitte September auf Twitter teilte. Sie zeigte einen Teil seiner Arbeit als Demeter-Landwirt: Kasperan hatte einen Haufen Kuhhörner, gefüllt mit Dung, in der Erde vergraben.
Hier sollen sie „kosmische Strahlung“ aufnehmen, wie es in den Demeter-Richtlinien heißt. Kasperan wird die Hörner in einigen Monaten wieder ausgraben, den Inhalt tausendfach in Wasser verdünnen und dann als homöopathischen Dünger einsetzen. So sollen die Pflanzen „für die kosmischen und geistigen Kräfte“ geöffnet werden. Auch das steht so in den Richtlinien des Anbauverbandes; das Kuhhorn als Antenne zu überirdischen Kräften.
Landwirt Kasperan schrieb selbst von „Kackehörnchen“ und von Hokuspokus. Er mache das, weil Demeter es so vorschreibe. Kasperan weiß um die Kritik an dieser Praxis, von Demeter auch „biodynamische Landwirtschaft“ genannt. Wie selbstverständlich wird der Begriff mittlerweile verwendet. Supermärkte wie Kaufland, Edeka oder Rewe werben offensiv für „biodynamische Produkte“ als das bessere Bio.
„Okkulte Präparate“
Was genau dahintersteckt, sagen sie indes nicht. Dabei ist der ideologische Überbau gleichsam umstritten wie wissenschaftlich unbelegt. Einer, der immer wieder darauf hinweist, ist der Blogger Oliver Rautenberg. Seit Jahren klärt er über die Hintergründe der sogenannten Anthroposophie auf. Demeter ist Teil dieser pseudowissenschaftlichen Ausrichtung.
Biologisch-dynamische Landwirtschaft

Rudolf Steiner
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Das Konzept der biologisch-dynamischen Landwirtschaft geht zurück auf Rudolf Steiner (Foto), den Begründer der Anthroposophie. Als Gründungsdatum gilt eine Tagung im Jahr 1924 im schlesischen Koberwitz nahe Breslau, bei der Steiner eine Reihe von Vorträgen zur Landwirtschaft hielt, deren Mitschriften später als Gründungsurkunde verstanden wurden. Ein Auszug: „Der tierische Organismus lebt im ganzen Haushalt der Natur darin. Von der Schnauze gegen das Herz zu hat es die Saturn-, Jupiter-, Marswirkungen, in dem Herz die Sonnenwirkung, dahinter gegen den Schwanz zu die Venus-, Merkur- und Mondwirkung.“
Das war die Geburtsstunde der Demeter-Idee. Unter dem Namen der griechischen Fruchtbarkeitsgöttin gründeten anthroposophische Landwirte bereits 1930 einen Anbauverband für biodynamische Produkte. Den heutigen Demeter-Bund gibt es seit 1954, einen internationalen Dachverband seit 1997. (df/nba)
Die „Kackehörnchen“, wie Landwirt Kasperan schrieb, sind Rautenberg wohl bekannt: „Ein Kernelement oder – wie Demeter es nennt – das Herzstück der Methode sind eben diese esoterisch-okkulten Präparate, die man verwendet, quasi homöopathischer Dünger“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Rautenberg umschreibt das, was Demeter von seinen Landwirten fordert, als „Esoterik“. Der homöopathisch verdünnte Kuhmist ist ein Beispiel dafür. Das Werben mit den Kräften des Mondes ein anderes.
Geistiger Vater der Bewegung ist der Österreicher Rudolf Steiner (1861-1925). Der Begründer der Anthroposophie glaubte an das sogenannte „Kali Yuga“, ein Zeitalter aus dem Hinduismus, das als das Zeitalter des Verfalls und Verderbens gilt. Steiner ging davon aus, dass der böse Dämon Kali alle Pflanzen zerstören wolle und es deshalb eine neue Form der Landwirtschaft brauche. Die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die angeblich „heilsame“ Produkte erzeugen soll, war geboren.
Auch heute noch werden diese Annahmen Steiners weiterverbreitet, etwa in einem Demeter-Newsletter aus dem Jahr 2019. Darin heißt es: „Steiner beschreibt, dass mit Ablauf des Kali Yuga Ende des 19. Jh. die Menschheit über die Schwelle gegangen ist – wenn auch größtenteils unbewusst (durch u.a. den 2. Weltkrieg).“
Das habe zur Folge, so die Verfasser des Newsletters, dass sich die „Leiblichkeit, die Konfiguration der Wesensglieder der Menschen grundlegend“ verändere. Und „eine starke Zunahme der Hochsensibilität und Hellsichtigkeit oder Hellfühligkeit der Kinder“ könne als eine Folge davon gesehen werden. Eine Lösung wird auch direkt angeboten: eine andere Ernährung – und zwar durch biodynamische Landwirtschaft.
Steiner hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass es in der Anthroposophie – und damit eben auch in der anthroposophischen Landwirtschaft – um spirituelle und damit wissenschaftlich nicht belegbare Methoden geht. Steiner selbst bezeichnete sich schließlich als Okkultist und Hellseher.
Verbindliche Richtlinien
Für Demeter-Landwirte gut 100 Jahre später bedeutet das: Sie müssen sich an Vorgaben halten, im besten Fall in dem Glauben, dass sie irgendwie wirken. Die Demeter-Richtlinien schreiben es verbindlich vor. Kontrolleure überprüfen das. Auch das Vergraben der „kosmischen Antennen“, über das Bauer Kasperan sprach, ist fester Bestandteil der Richtlinien. Wissenschaftliche Beweise zur Wirksamkeit oder Wirkungsweise all dieser Präparate gibt es nicht.
Nichtsdestotrotz erfreuen sich Demeter-Produkte einer großen Beliebtheit, kaum ein Bioladen kommt ohne sie aus. Demeter boomt und wirbt für sich damit, dass biodynamische Landwirtschaft noch besser sei als Bio-Landwirtschaft.
„Mondscheinkäse“
Und immer mehr wollen mitmachen. Demeter sei als „internationale Bio-Marke auf allen Kontinenten vertreten“, schreibt der Verband auf Anfrage unserer Redaktion. In Deutschland produzieren 1740 Bauern unter dem Label Demeter. Hinzu kommen zahlreiche Verarbeiter wie Saftproduzenten oder Käsehersteller, die beispielsweise „Mondscheinkäse“ produzieren.
Den Umsatz mit entsprechenden Produkten beziffert der Dachverband auf fast eine Milliarde Euro im vergangenen Jahr. „Das durchschnittliche Jahreswachstum in den letzten drei Jahren betrug 33,3 Prozent.“ Nische ist der Anbauverband mit seinen Produkten eigentlich längst nicht mehr. Große Supermarktketten haben Demeter-Ware in den Regalen.

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Kaufland zum Beispiel ist selbst Mitglied im Verband. „Damit setzen wir ein weiteres Zeichen für mehr Bio, mehr Nachhaltigkeit und mehr Unterstützung von Umwelt und Natur“, schreibt das Handelsunternehmen auf seiner Internetseite. Und weiter: „Als Mitglied von Demeter können wir noch besser dazu beitragen, dass die biodynamische Landwirtschaft weiter wächst.“
Was diese Form der Landwirtschaft indes genau bedeutet, verschweigt Kaufland weitgehend. Auch auf explizite Nachfrage unserer Redaktion geht man nicht auf „kosmische Antennen“, „Mondkalender“ oder Spiritualität ein. Vielmehr wird betont, die biodynamische Anbauweise gewährleiste „authentischen Geschmack“.
Auch Demeter selbst geht auf seiner Verbandsseite eher spärlich mit Informationen dazu um, wirbt aber dafür, dass die eigenen Vorgaben weit über die EU-Öko-Verordnung hinausgehen. Das stimmt. Entsprechend teurer sind die Produkte im Vergleich zur restlichen Bio-Konkurrenz, etwa von Bioland und anderen Anbauverbänden.
Versteckspiel der Ideale
Glaubt man Blogger Oliver Rautenberg, ist dieses Versteckspiel der überirdischen Ideale hinter Demeter durchaus gewollt, um niemanden zu verprellen. Viele Kunden wüssten gar nicht, was sie da genau einkauften. Es fehle an Aufklärung.
Rautenberg findet: Wer vorgebe, bessere Lebensmittel mit okkultistischen Ritualen herzustellen oder durch homöopathischen Dünger, der müsse das belegen. „Starke Aussagen erfordern starke Belege.“ Doch diese Beweise fehlten eben seit Jahrzehnten. „Vielleicht ist es keine böse Absicht, aber die Kunden werden schon über die Qualität der Produkte getäuscht.“
Viele dächten, mit dem Kauf dieser Produkte etwas Gutes zu tun. Eine Yougov-Umfrage 2020 scheint das zu bestätigen: Demeter, so gaben die Befragten an, sei die nachhaltigste Bio-Marke hierzulande. Mit Blick auf die Tierhaltung sei das durchaus richtig, so Blogger Rautenberg. Demeter habe hier die strengsten Regeln und stehe tatsächlich für eine schonende Landwirtschaft, weil Pestizide oder künstlicher Dünger komplett weggelassen würden.
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„Man darf aber nicht vergessen, dass man darüber hinaus mit dem hohen Preis auch Esoterik und Okkultismus mit einkauft“, gibt Rautenberg zu bedenken. „Und es ist eben nicht so, dass Demeter das bessere Bio ist. Denn mit keiner wissenschaftlichen Methode kann man die biodynamischen Produkte von normalen Bio-Produkten unterscheiden.“
Fans und Pragmatiker
Landwirt Kasperan ist sich dessen bewusst. Er weiß aber auch: Von allen Bio-Anbauverbänden bietet Demeter mit die besten ökonomischen Bedingungen. Auch das mag ein Grund sein, warum immer mehr Bauern zu Demeter wechseln.
Ihn hätten die hohen Ansprüche an Nachhaltigkeit, das Zusammendenken von Menschen, Tieren, Pflanzen und Böden überzeugt. Kasperan formuliert es so: Die Demeter-Spiritualität sei für ihn höchstens Beiwerk und Unterscheidungsmerkmal zu anderen Anbauverbänden. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehe das aber nicht.
Es gebe da aber durchaus unterschiedliche Sichtweisen im Verband, berichtet er. „Da sind solche, die es sehr genau nehmen mit der Lehre Steiners. Und dann gibt es solche, die eher pragmatisch unterwegs sind.“ Hier würde er sich auch selbst einordnen. „Egal, wie spirituell ich bin, egal, wie viele Kuhhörner ich vergrabe: Am Ende muss der Hof wirtschaftlich sein und der Bauer sein Geld verdienen.“