Monika Schnitzer, die die Bundesregierung in Wirtschaftsfragen berät, hat klare Ideen zum Ankurbeln der Konjunktur. Wird die Ampel den Mut dazu haben?
Deutsche WirtschaftChefin der „Wirtschaftsweisen“ mahnt Entscheidungen an
Frau Schnitzer, der Bundeskanzler sagt, die Energiewende werde gut gelingen. Teilen Sie seinen Optimismus?
Wenn nicht einmal der Bundeskanzler zuversichtlich wäre, der die nötigen Gesetzesvorhaben in der Hand hat, dann könnte es ja niemand mehr sein.
Ökonomen wie Hans-Werner Sinn warnen vor dem Ruin der deutschen Industrie durch die Energiewende…
Hans-Werner Sinn neigt ja zu deutlichen Worten. Aber was er beschreibt, ist nicht das wahrscheinliche Szenario. Wir haben auch die Ölkrise in den 70er-Jahren überwunden, damals hat die Wirtschaft sich neu aufgestellt. Wir hatten bereits vor dieser Energiekrise durch den Angriffskrieg in der Ukraine höhere Energiepreise als in den USA. Das hat unsere Industrie auch nicht in die Knie gezwungen.
Die Energiewende steht aber erst noch bevor…
Wir werden einen Strukturwandel hin zu weniger energieintensiver Industrie in Deutschland erleben. Aber der hat schon vor der Krise eingesetzt, er verstärkt sich nun. Das bedeutet nicht das Ende des Industriestandorts Deutschland.
Der Chemiekonzern BASF will Tausende Stellen ins Ausland verlagern. Ist das nicht ein klares Warnsignal, auf das die Politik reagieren muss?
Nein. BASF hat angekündigt, eine ältere Ammoniak-Anlage von zweien zuzumachen. Deutschland muss nicht selbst Grundchemikalien wie Ammoniak produzieren. Wir sollten uns auf hochwertige Produkte mit hohen Margen konzentrieren. Das ist es doch, was Deutschland gut kann.
Zum Beispiel?
Wir müssen auf Hochtechnologieprodukte setzen, nicht auf Massenware, bei denen wir in Konkurrenz mit Nicht-EU-Anbietern stehen, die viel niedrigere Energiekosten haben. Das gilt auch für die Chemie, wo wir in Deutschland nach wie vor viel Potenzial haben. Auch in der Pharmazie, siehe Biontech, das den Corona-Impfstoff entwickelt hat. In der Automobilwirtschaft wird es besonders darauf ankommen, die richtige Software für die Autos zu entwickeln, um konkurrenzfähig zu bleiben. Überhaupt wird der Erfolg des Wirtschaftsstandorts künftig davon abhängen, ob es gelingt, neue und digitale Technologien hervorzubringen.
Beim Aus für den Verbrennermotor 2035 stellt sich die FDP quer. Hat sie da mit Blick auf die Zukunft der deutschen Autoindustrie einen Punkt?
Nein, die Autoindustrie braucht dringend Planungssicherheit für die Elektromobilität, um ihre Investitionen darauf ausrichten zu können. Weiter alle möglichen Wege offen halten zu wollen heißt im Klartext, weiter keine Lösung des Koordinationsproblems zu haben: Ohne ausreichende Ladeinfrastruktur nicht genügend Nachfrage für Elektroautos und ohne Elektroautos nicht genügend Investition in Ladeinfrastruktur. Da hilft eine klare Ansage der EU.
Standpunkt
- Der Autobauer Porsche verteidigt seinen Einsatz für die umstrittenen synthetischen Kraftstoffe (E-Fuels). „Mit Blick auf Verbrenner-Fahrzeuge sind E-Fuels eine sinnvolle Ergänzung – im Bestand und in der Nische“, sagte Porsche-Chef Oliver Blume, der zugleich den VW-Konzern leitet.
- Die Autoindustrie sei „mitten in der Transformation“ und benötige Planungssicherheit. „Daher würdigen wir ausdrücklich, dass die Bundesregierung jetzt die entsprechenden Schritte unternimmt.“ (afp)
Was spricht für Elektromobilität, was gegen E-Fuels?
Für die Produktion von E-Fuels braucht man die fünffache Menge an Energie wie für Batterieantrieb. E-Fuels werden wir dringend für Flugzeuge und Schiffe brauchen, wo man keine Batterien einsetzen kann. Wir haben aber auf absehbare Zeit nicht genug erneuerbare Energie, um beliebig viel grünen Strom für die Herstellung von E-Fuels aufzuwenden, sodass es auch noch für Autos reicht. Deshalb ist es wichtig, dass die Autoindustrie jetzt ein klares Signal aus Brüssel bekommt. Auch mit Blick auf die Arbeitskräfte: Diejenigen, die nicht mehr für die Herstellung von Verbrennermotoren zum Einsatz kommen, werden dringend in anderen Firmen gebraucht, etwa für die Batterieherstellung. Wir sollten jetzt schon damit beginnen, Fachkräfte umzuschulen.
Mit welcher wirtschaftlichen Gesamtentwicklung rechnen Sie für 2023?
Ich gehe für die nächsten Monate weiter von einer leichten Rezession aus. Mit einem deutlichen Wachstum rechne ich für dieses Jahr noch nicht, es könnte auf ein leichtes Plus oder eine schwarze Null hinauslaufen. Wir könnten Ende des Jahres etwa bei dem Niveau von vor der Pandemie liegen. Das wären dann vier Jahre ohne Wachstum. Das ist natürlich nicht gut für die Gesamtentwicklung.
Um den Bundeshaushalt wird derzeit hinter den Kulissen hart gerungen. Wird die Koalition auf neue Sozialprojekte wie die Kindergrundsicherung verzichten müssen?
Die Kindergrundsicherung hat die Chance, zum Paradebeispiel für eine erfolgreiche Digitalisierung der Verwaltung zu werden. Wenn es gelingt, die unübersichtlichen und teils kompliziert zu beantragenden Familienleistungen digital zu administrieren und auszuzahlen, wäre das ein Meilenstein. Es geht ja in erster Linie darum, die schon bestehenden Sozialleistungen so zu bündeln und transparent zu machen, dass sie endlich auch bei den Berechtigten ankommen. Es könnte ein entscheidender Schritt zur digitalen und serviceorientierten Verwaltung werden, die Deutschland dringend braucht. Darauf sollte die Koalition auf keinen Fall verzichten.
Der Ampel wird ja nicht zu Unrecht vorgeworfen, zu oft nach dem Prinzip Gießkanne zu verfahren, wenn sie sich nicht einig ist. Was müsste jetzt Priorität haben?
Sowohl vom Tankrabatt im vergangenen Sommer als auch jetzt von den Energiepreisbremsen profitieren alle – die hohen Einkommen sogar besonders stark. Maßnahmen müssten viel zielgenauer sein, und wo das technisch noch nicht geht wie bei der Gaspreisbremse, muss man dafür sorgen, dass das künftig möglich ist. Wir haben als Sachverständigenrat zudem schon mehrfach darauf hingewiesen, dass klimaschädliche Steuervergünstigungen gestrichen werden könnten, zum Beispiel für Kerosin, internationale Flüge, Diesel oder für das Dienstwagenprivileg. Da könnte der Staat gut 23 Milliarden Euro einsparen. Auch für die abgesenkte Mehrwertsteuer in der Gastronomie gibt es keine Begründung mehr.
Zur Person
Monika Schnitzer (61) ist seit 1996 Inhaberin des Lehrstuhls für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie hat in Köln studiert und sich in Bonn habilitiert. 2020 wurde sie in den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berufen und hat seit Oktober 2022 dessen Vorsitz inne. (EB)