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Geboren, um zu sterbenDas Kükenschreddern geht weiter – wie auch NRW mitmischt

Lesezeit 4 Minuten
Ein männliches Hühner-Küken sitzt auf einer Hand.

Ein männliches Hühner-Küken sitzt auf einer Hand.

Das Kükenschreddern sollte durch das Verbot beendet werden. Was nun jedoch in der Folge passiert, ist keinesfalls im Sinne des Tierwohls. Denn das Töten geht weiter. Die Hälfte der Brütereien lassen das Schreddern nun woanders stattfinden.

Am 1. Januar 2023 feierte das Verbot des Kükentötens in Deutschland seinen ersten Geburtstag. Gute Stimmung herrscht bei der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch trotzdem nicht. Dass männliche Küken nun nicht mehr geschreddert oder vergast werden dürfen, sei „herumdoktern an Symptomen eines kranken Systems“, bemängelt Foodwatch-Geschäftsführer Chris Methmann. Und legt nach. Fast neun Millionen männliche Küken seien in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 geschlüpft, „und niemand weiß oder will wissen, was mit den Tieren passiert“.

Was Methmann damit meint, ist der Export von männlichen Küken ins EU-Ausland. Dort dürfen die sogenannten Eintagsküken nach wie vor geschreddert werden. Der Vorwurf: Brütereien exportieren ihre Küken ins Ausland, um sie dort töten zu lassen. Das ist nicht verboten, solange die Tiere entsprechend der Tierschutzverordnung transportiert werden, überwacht von den Veterinärbehörden.

Die Hälfte der Brütereien in NRW exportieren ihre männlichen Küken

Drei der sechs Brütereien in Nordrhein-Westfalen nutzen diese Möglichkeit, sagt Matthias Kowalski, Sprecher des Ministeriums für Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW. Das entspricht ungefähr 330.000 männlichen Küken. Eine der Brütereien gibt offen an, dass die Eintagsküken im EU-Ausland getötet werden. Die übrigen drei Betriebe ziehen die männlichen Küken auf, als „Bruderhähne“. Die heißen so, weil sie die Brüder der Legehennen sind.

Dem Eindruck, dass niemand wissen wolle, was mit den Tieren passiert, widerspricht Kowalski. „Der Verbleib von Tieren kann im Nachhinein über die sogenannte TRACES-Datenbank nachvollzogen werden. Sie erfasst europaweit grenzüberschreitende Tierbewegungen.“ Trotzdem: Aus Sicht des Ministeriums ist die aktuelle Regelung bei weitem nicht ausreichend. Kowalski: „Trotz nationalem Kükentötungsverbot werden europaweit männliche Eintagsküken aus Legerassen rechtskonform getötet. Nur ein europaweites Kükentötungsverbot, verbunden mit europaweit geltenden Haltungsanforderungen für die Aufzucht und Mast von Bruderhähnen, ist eine tierwohlkonforme Lösung.“ NRW werde sich daher weiter für ein europaweites Kükentötungsverbot einsetzen, betonte der Behördensprecher.

Bruderhähne verbrauchen mehr Futter und wachsen langsamer

Warum wollen die Brütereien die männlichen Küken überhaupt loswerden? Das hängt mit dem „Job“ der weiblichen Küken zusammen. Sie setzen als Legehennen nur sehr langsam Fleisch an, legen aber ungefähr 300 Eier im Jahr. Die Branche spricht von „Hochleistungshennen“. Entsprechend lange brauchen auch die Bruderhähne, um schlachtreif zu werden. Sie benötigen obendrein noch mehr Futter als die zur Mast gezüchteten Tiere. Die Eintagsküken zum Schreddern ins Ausland zu exportieren, macht für die Brütereien also wirtschaftlich Sinn.

Es gibt aber Forschungsprojekte, die dieses Problem lösen wollen. „Zum einen wird versucht, schon im Ei erkennen zu können, welches Geschlecht das Tier haben wird“, sagt Wilhelm Deitermann, Sprecher des Landesamts für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz (Lanuv). So könnten die entsprechenden Eier entsorgt werden, bevor ein lebendes Tier daraus entsteht.

Konzept „Zweitnutzungshuhn“

Ein anderer Ansatz ist das „Zweinutzungshuhn“. Hennen dieser Rasse legen 60 bis 70 Eier weniger pro Jahr, setzen aber schneller Fleisch an – so auch die Bruderhähne. Fleisch und Eier würden dadurch teurer, so Deitermann, aber dem Kükenschreddern werde entgegengewirkt.

Burkhard Brinkschulte, Vorsitzender des Geflügelwirtschaftsverbands NRW, ist von diesem Konzept nicht überzeugt. „Die Idee ist gut, aber nicht zielführend.“ In der wirtschaftlichen Realität der Branche sei das Fleisch nur ein Nebenprodukt, auf die Eier komme es an. „Besonders Hahnenfleisch hat keinen Wert. Die Leute kennen es nicht, und würden es auch nicht kaufen.“

Den Vorwurf von Foodwatch bewertet Brinkschulte ähnlich wie das Ministerium. „Von einem Verschwinden kann keine Rede sein“, sagt er mit Blick auf die männlichen Küken. „Wir sind beruflich für das Leben zuständig. Wir bringen kein Küken auf die Welt, um es zu töten.“ Deshalb findet er die Regelung zum Kükenschreddern gut, nicht aber die Art und Weise, wie sie den Züchtern und Brütereien aufgedrückt wurde. „Landwirte sind nicht dafür geeignet, ethische Probleme zu lösen“, erklärt er. Er wünscht sich mehr Forschung zur Geschlechterbestimmung der Tiere im Ei, „aber strukturiert und mit Fördermitteln.“

Und was möchte Foodwatch? Das Kükenschredderverbot in Deutschland sei nicht ausreichend, sagt Foodwatch-Kampagnerin Annemarie Botzki, es müsse europaweit kommen. Neben der Umstellung auf das Zweinutzungshuhn fordert die Organisation auch bessere Haltungsbedingungen mit weniger Tieren. Kurz: „Wir brauchen einen wirklichen Systemumbau.“