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Bundesweite LieferengpässeAuch in Köln wird Salzsäure zur Abwasserreinigung knapp

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In Klärwerken werden sogenannte Fällmittel eingesetzt, die Phosphat im Abwasser binden.

Köln – Den Klärwerken in Deutschland gehen notwendige Chemikalien zur Reinigung der Abwässer aus. Auf Anfrage unserer Redaktion bestätigte der Verband kommunaler Unternehmen (VKU): „Die Lieferengpässe bei Fällmitteln und Flockungsmitteln [...] spitzen sich weiter zu.“

Die europaweite Produktion der Mittel sei infolge der Energiekrise um mehr als 50 Prozent gesunken. „Eine Ersatzbeschaffung von Fällmitteln ist kurzfristig weder im europäischen noch im sonstigen Ausland realistisch.“

Sensible Ökosysteme sind von Phosphat bedroht

Sogenannte Fällmittel sind in der Regel Salze, die als Nebenprodukt bei der Herstellung von Farben und Lacken anfallen. Aufgrund der multiplen Krise ist die Produktion allerdings deutlich zurückgefahren worden. In Klärwerken werden die Mittel eingesetzt, um Phosphat im Abwasser zu binden. Es sinkt zu Boden und wird Teil des Klärschlamms, statt mit dem gereinigten Abwasser in die Umwelt zu gelangen. Hier kann zu viel Phosphat quasi wie ein Dünger wirken und Algenwachstum in Flüssen oder dem Meer begünstigen. Sensible Ökosysteme sind davon bedroht.

Trinkwasserversorgung betroffen

Laut VKU haben aber nicht nur Klärwerke Probleme, an notwendige Chemikalien zu gelangen. Auch Trinkwasserversorger seien betroffen, vor allem solche, die ihr Wasser etwa aus Talsperren gewinnen. Dieses muss mithilfe von sogenannten Flockungsmitteln von Schwebstoffen befreit werden. Aber auch jene sind knapp. „Im schlimmsten Fall“ käme es ohne Flockungsmittel zu einer Trübung des Wassers, „was die Abgabe als Trinkwasser nicht mehr möglich machen würde“.

Engpässe in der Stadt Köln

Den Stadtentwässerungsbetrieben der Stadt Köln (Steb) geht es nicht anders als anderen Klärwerksbetreibern in Deutschland. Sie müssen haushalten. Vor allem mit Salzsäure.

„Die Herstellung der Säure ist energieintensiv. Einige Hersteller haben die Produktion eingeschränkt, andere haben sie gar eingestellt“, erläutert eine Sprecherin. Teilweise seien die Preise um das Vier- bis Fünffache gestiegen.

Aus der Salzsäure werden so genannte Fällmittel hergestellt, die unabdingbar sind für das Herauslösen von Phosphorverbindungen aus dem Wasser. Ersetzt werden kann die Salzsäure nicht. „Wir versuchen die Prozesse zu optimieren“, zeigt die Steb-Sprecherin die einzig verbleibende Möglichkeit auf. Noch sei das möglich.

Was aber, wenn Salzsäure noch knapper wird, das Abwasser aber unvermindert ansteht? „Dieses Szenario ist nicht zu unterschätzen“, warnt die Sprecherin. (EB)

Aus dem Bundesumweltministerium hieß es, man sei in Gesprächen mit der Wirtschaft sowie den Behörden der Länder. Es werde derzeit an einer Übersicht gearbeitet, wie hoch der Bedarf an Fällmitteln überhaupt ist.

Zudem würden Szenarien entwickelt, um noch vorhandene Mittel zu verteilen und alternative Quellen zu erschließen. „Die Beratungen laufen, einen Zwischenstand können wir derzeit nicht geben“, so ein Sprecher des Umweltministeriums. Ein Sprecher des VKU erklärte: „Hier ist mehr Eile geboten, selbst wenn erste Schritte dafür getan sind.“

Umweltministerium von NRW drängt auf Einhaltung der Grenzwerte

Auf Ebene mancher Bundesländer sind derweil bereits Erlasse zu der Problematik herausgegeben worden. So hat das Umweltministerium in NRW darin darauf hingewiesen, dass die Überwachungswerte für Phosphat nach Möglichkeit eingehalten werden sollten. Dafür seien alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Aufgeführt sind unter anderem die Optimierung der Fällmitteldosierung oder die Umstellung auf andere Mittel. Auch verfahrenstechnische Maßnahmen zur Reduzierung des Phosphat-Eintrags, etwa zusätzliche Filteranlagen, sollten von den Klärwerksbetreibern geprüft werden.

Sollten Grenzwerte trotz aller Maßnahmen nicht eingehalten werden können, seien die zuständigen Behörden in Kenntnis zu setzen. Die Betreiber der Kläranlagen müssten dann zudem begründen, warum die Grenzwerte nicht eingehalten werden könnten.

Umweltministerien andernorts erlauben Grenzwertüberschreitung

Damit lässt die NRW-Landesregierung den Klärwerksbetreibern weniger Spielraum als andere Bundesländer: Mancherorts sind bereits Maßnahmen getroffen worden, um einen erhöhten Phosphat-Eintrag ausnahmsweise zu erlauben. Das Umweltministerium in Schleswig-Holstein hatte bereits vor einem Monat den Weg für die Einleitung höherer Phosphat-Werte in Ausnahmen frei gemacht.

Ein Sprecher teilte auf Anfrage unserer Redaktion mit: Bislang „können die Kläranlagen die Grenzwerte für Phosphor [...] größtenteils einhalten.“ Grenzwertüberschreitungen seien dem Ministerium bislang noch nicht gemeldet worden. Bleibe die Versorgungslage mit Fällmitteln aber weiter derart angespannt, könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich das ändert.

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Ähnliches meldet auch das Umweltministerium in Niedersachsen auf Anfrage. „Bisher gibt es hier nur Ankündigungen, dass die Fällmittel ausgehen und es dann zu Überschreitung kommen könnte“, teilte eine Sprecherin mit. Auch die Regierung in Hannover hatte vor gut einem Monat einen entsprechenden Erlass herausgegeben.