Arbeitnehmer-RechteKann ich Urlaubstage an meine Kollegen spenden?

In Frankreich gibt es ein Gesetz, das die Weitergabe von Urlaubstagen regelt. In Deutschland gibt es keine entsprechende Regelung, deswegen ist es nicht so einfach, Urlaub zu verschenken.
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Steffen Sünder aus Aschersleben (Sachsen-Anhalt) hat viel Glück mit seinen Kollegen aus dem Autohaus: Damit der 33-Jährige seine krebskranke Frau pflegen kann, spendeten die Mitarbeiter 74 bezahlte Urlaubstage und Überstunden.
Vorbild war eine Geschichte aus Frankreich: Der Vater des krebskranken, fünfjährigen Mädchens Louann hatte seinen Chef um unbezahlten Sonderurlaub gebeten, damit er sich um sein Kind kümmern konnte. Dann wurde er von seinen Kollegen überrascht, sie spendeten 262 Urlaubstage. Insgesamt konnte der Vater ohne Geldsorgen mehr als ein Jahr mit seiner Tochter verbringen.
Steffen Sünder hatte Glück mit solidarischen Kollegen und einer großzügigen Chefin. Aber wie sieht es in anderen Unternehmen hierzulande aus?
Ist es in Deutschland grundsätzlich immer möglich, dass Arbeitnehmer ihren Kollegen Urlaubstage spenden?
Hier muss man unterscheiden: Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf 20 Tage gesetzlichen Mindesurlaub bei einer Fünf-Tage-Woche. „Alles, was darüber hinaus geht, können Arbeitnehmer prinzipiell spenden“, sagt Martin Eckstein, Referent der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Allerdings muss der Arbeitgeber seine Zustimmung geben: „Nicht jeder Mitarbeiter ist einfach so ersetzbar“, sagt Eckstein.
Zudem solle der Urlaub schließlich in erster Linie der Erholung dienen. Auch für die Pflege von Angehörigen kann gespendeter Urlaub genutzt werden, wenn der Arbeitgeber mit der Spende einverstanden ist.„Ziel sollte es aber sein, den Urlaub in natura zu nehmen und Zeit für sich zu haben“, sagt Eckstein.
Dürfen Arbeitnehmer Urlaubstage gegen Geld an Kollegen abgeben?
Ähnliche Modelle gibt es bereits in den USA. In Deutschland müsste der Chef zustimmen, wenn Mitarbeiter ihre Urlaubstage verkaufen. Allerdings hält der Arbeitgeberverband eine derartige Übereinkunft ohnehin nicht für sinnvoll: „Das ist eine schwierige Sache“, sagt BDA-Referent Eckstein.
Halten Arbeitgeber ein Solidaritätsmodell wie in Frankreich für sinnvoll?
Arbeitnehmer in Frankreich können laut Gesetz einen Teil ihrer freien Tage an Kollegen weitergeben, die ihr krankes Kind pflegen müssen. Deutsche Arbeitgeber setzen lieber auf die individuelle Vereinbarung zwischen Angestellten und Chef: „Wir finden eine Einzelfallentscheidung besser als noch mehr gesetzliche Regulierungen“, sagt Eckstein.
Das Kind oder die Schwiegereltern sind krank – und nun? Muss ich (unbezahlten) Urlaub nehmen? Alle Fragen rund um die Pflege von Angehörigen beantworten wir auf der nächsten Seite.
Welchen Anspruch haben Arbeitnehmer generell, für die Pflege von Angehörigen freigestellt zu werden?
Es gibt zwei Möglichkeiten: „Zum einen eine sechsmonatige Pflegezeit, bei der man komplett aus dem Job aussteigen kann“, erklärt Kerstin Plack, Referentin bei der BDA, „zum anderen die Familienpflegezeit.“ Hier können Arbeitnehmer bis zu zwei Jahre teilweise frei machen, allerdings müssen sie mindestens 15 Stunden pro Woche weiterhin arbeiten. Voraussetzung sei eine gesetzliche Pflegestufe des Angehörigen.
Das Gehalt wird in der Regel nicht weiter gezahlt, weiß Plack. Dafür stehe für die Pflegefreitstellung ein zinsloses Darlehen von im Einzellfall bis zu 23.000 Euro zur Verfügung, um finanzielle Belastungen aufzufangen. Beantragt wird das Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA). In Härtefällen soll Betroffenen die Rückzahlung erspart bleiben und der Staat einspringen – etwa wenn der Pflegende selbst zum Pflegefall wird.
Seit 1. Januar 2015 gilt zudem: Wer berufstätig ist und akut die Pflege eines Angehörigen organisieren muss, kann sich ab Jahresbeginn zehn Tage lang vom Arbeitgeber freistellen lassen, ohne Gehalt einzubüßen. Bislang waren die zehn Tage unbezahlt.
Das Kind ist ein paar Tage krank – und nun?
Urlaub zu nehmen, ist hier nicht immer nötig: „Jeder Arbeitnehmer hat ein Recht darauf, von der Arbeit freigestellt zu werden, wenn sein Kind krank ist“, sagt Michael Henn vom Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte in Stuttgart. Den rechtlichen Rahmen dafür geben Paragraf 616 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und Paragraf 45 des Sozialgesetzbuchs V. Der erste, Paragraf 616, sieht vor, dass jeder Arbeitnehmer, der unverschuldet fehlt – und dazu gehört auch die Erkrankung eines Kindes – Anspruch auf Lohnfortzahlung hat. „Und zwar bis zu fünf Tage im Jahr.“
Allerdings schließe nicht jeder Arbeits- und Tarifvertrag diesen Paragrafen ein, sagt Henn. „Falls nicht, greift automatisch Artikel 45 des Sozialgesetzbuches.“ Dieser besagt, dass jeder Elternteil von pflegebedürftigen Kindern unter zwölf Jahren sich zehn Tage pro Jahr für die Betreuung freinehmen darf, bei Alleinerziehenden sind es 20 Tage. „Hier gibt es dann aber keine Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber, sondern Kinderkrankengeld von der gesetzlichen Krankenkasse.“
Wäre es auch eine Option, sich selbst krank zu melden?
„Das ist Betrug und kann zur fristlosen Kündigung führen“, warnt Henn. Im Notfall, zum Beispiel wenn bereits alle Krankentage aufgebraucht sind, sei unbezahlter Urlaub eine bessere Überbrückungsmöglichkeit.
Was gilt bei einer Eltern-Kind-Kur?
Verordnet ein Arzt eine Kur mit Kind, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer freistellen. Dabei muss der Chef das volle Gehalt zahlen (Paragraf 9 Entgeltfortzahlungsgesetz). Denn eine Kur ist rechtlich ähnlich zu bewerten wie ein Krankenhausaufenthalt.
Bekommt man für eine Sterbebegleitung frei?
Auch hier gibt es einen Anspruch: „Arbeitnehmer können sich für eine Sterbebegleitung drei Monat voll freistellen lassen“, erklärt Plack. (mit dpa-Material)