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Winnetou-Bücher rassistisch?Apachen-Häuptling: „Karl May hat uns ein Denkmal gesetzt“

Lesezeit 6 Minuten
29.06.2024, Schleswig-Holstein, Bad Segeberg: Der Schauspieler Alexander Klaws als Winnetou steht während der Premiere von «Winnetou II - Ribanna und Old Firehand» auf der Bühne der Karl-May-Spiele im Freilichttheater am Kalkberg. Die Saison 2024 läuft vom 29. Juni bis zum 8. September. Foto: Georg Wendt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Darf der das? Der Schauspieler Alexander Klaws spielt in Bad Segeberg den Winnetou. Der oberste Vertreter der Apachen in den USA findet das auch in Ordnung.

In einem Interview verrät Manceis „Moses“ Hernandez, oberster Häuptling des „Apache Council of Texas“, dem Dachverband der texanischen Apachen-Stämme, wie er über die Bücher denkt.

Um die Winnetou-Bücher von Karl May gibt es seit einiger Zeit eine kontroverse Debatte. Manceis „Moses“ Hernandez ist oberster Häuptling des „Apache Council of Texas“, dem Dachverband der texanischen Apachen-Stämme. Und er hat kein Problem mit dem Rummel um Karl May.

Herr Hernandez, kennen Sie Karl May und Winnetou?

Ich habe mal davon gehört, aber es ist nicht wirklich ein Begriff für mich.

In Deutschland sind diese Bücher sehr berühmt, aber mit der echten Apachen-Kultur haben sie nichts zu tun.

Darf ich ein bisschen ausholen?

Deswegen sprechen wir.

Wir Apachen kommen ursprünglich aus Kanada und sind vor Jahrtausenden in den heutigen Süden der USA nach Arizona und New Mexiko immigriert. Auch nach Süd-Texas, wo ich lebe. Sie haben sich dort mit anderen Stämmen bekriegt und viele Leute sind gestorben. Als die Europäer kamen, haben wir Probleme mit ihren Regierungen bekommen. Sie haben uns bestenfalls wie Bürger zweiter Klasse und schlimmstenfalls wie Ungeziefer, das es auszurotten galt, behandelt. Sie haben uns aus unserer Heimat vertrieben und so viele von uns getötet wie möglich. Wir sind ein friedliches Volk, aber auch wir müssen uns irgendwann wehren, wenn man uns in die Ecke treibt. Es ist doch schön, dass wenigstens die Deutschen sich für unsere Kultur interessieren.

Oder zumindest das, was sie dafür halten.

Selbst wir Apachen sind uns nicht immer hundertprozentig einig, was zu unserer Kultur gehört und was nicht. Wenn wir unsere Stammesveranstaltungen organisieren, wird sich bitterlich gestritten, welche Farben und Trachten man tragen darf und welche nicht. Ich finde es aber gar nicht so wichtig, dass jedes Detail stimmt, solange die Seele da ist. Auch unsere Kultur hat sich in den letzten Jahrhunderten sehr stark verändert. Ich lebe auch nicht mehr als halbnomadischer Büffeljäger in der Prärie, sondern arbeite als Zimmermann in Alice Texas. Das haben die Leute selbst hier in Amerika noch nicht alle verstanden.

Und ich werde erstaunlich oft gefragt, was wir eigentlich essen, wo alle Büffel tot sind. Das gleiche wie alle anderen auch natürlich: Tacos und Rindfleisch.
Häuptling Hernandez über die Lebensweise heutiger Apachen.

Dass Sie nicht mehr leben, wie Ihre Vorfahren von einst?

Genau! Ich werde gelegentlich eingeladen, um unsere Kultur in Schulen oder anderen Einrichtungen vorzustellen. Und ich werde erstaunlich oft gefragt, was wir eigentlich essen, wo alle Büffel tot sind. Das gleiche wie alle anderen auch natürlich: Tacos und Rindfleisch. Ich lebe hier ein ganz normales Leben und befolge die gleichen Gesetze wie alle anderen auch. Wir müssen aufhören, in der Vergangenheit zu leben und uns an die Lebensweise unserer Ur-Ur-Großväter zu klammern.

Karl-May-Bücher und Festivals gehören aber wohl nicht zu dieser Lebensweise. Stößt es Ihnen sauer auf, dass unser Bild von ihrer Kultur durch einen Autor gefiltert ist, der sie gar nicht kennt?

Ich finde es super, dass Karl May uns so ein Denkmal gesetzt hat, dass deutsche Journalisten wie Sie sich auch noch hundert Jahre später für uns interessieren. Es ist gerade für diese Zeit nicht selbstverständlich, dass er die Apachen als eine eigene Volksgruppe darstellt. In amerikanischen Westernfilmen und Büchern aus dieser Zeit existieren wir Ureinwohner fast ausschließlich als Antagonist für die Weißen. Von einer eigenen Identität oder Kultur ist dabei nichts zu spüren. Die Frage ist, was wir Apachen mit dieser Aufmerksamkeit machen, die Karl May uns geschenkt hat. Wir müssen unsere Kultur und Wurzeln schon selbst repräsentieren. Und das tun wir auch überall, wo wir hingehen, ob wir das wollen oder nicht. Genauso wie Sie als Deutscher überall wo Sie hingehen Deutschland repräsentieren. Wenn jemand falsch über unsere Kultur informiert ist, ändert sich daran nichts.

Stört es Sie eigentlich, dass amerikanische Ureinwohner in Deutschland noch immer als Indianer bezeichnet werden? In den USA hat das Wort mittlerweile einen rassistischen Unterton.

Man sollte nicht vergessen, dass es kein einzelnes Volk gibt, sondern viele unterschiedliche Nationen. Ich bin zum Beispiel Teil der Apache-Nation, so wie Sie Teil der deutschen Nation sind. Innerhalb dieser Nation gehöre ich zum Laipan-Stamm, das ist so wie bei Ihnen die Bayern oder Hamburger. Und zusätzlich hat mich der Dachverband der Apachen in Texas auch noch zum Repräsentanten für den ganzen Staat gemacht. Indianer, oder „Native Americans“, wie wir hier sagen, ist ein sehr weiter Überbegriff. Das ist so ähnlich, wie wenn ich Sie als Europäer bezeichnen würde. Nicht falsch, aber in den meisten Fällen auch nicht besonders nützlich.

Es ist wundervoll, dass ihr in Deutschland an uns denkt und uns in euren Festivals darstellt. Auch wenn Ihr keine Ureinwohner seid.
Häuptling Hernandez über die Karl-May-Festspiele

Bei unseren Karl-May-Festspielen spielen amerikanische Ureinwohner kaum eine Rolle.

Es ist uns sehr wichtig, dass unsere Kultur überhaupt erstmal stattfindet, damit unsere Geschichte nicht vergessen wird, wie es vielen anderen Völkern, die vor den Europäern hier waren passiert ist. Es ist wundervoll, dass ihr in Deutschland an uns denkt und uns in euren Festivals darstellt. Auch wenn Ihr keine Ureinwohner seid.

Selbst wenn die Repräsentation in den Büchern von Karl May nur wenig mit der wahren Kultur zu tun hat?

Auch wenn unsere Kultur falsch dargestellt wird, wird sie überhaupt erst mal dargestellt. Selbst wenn es dabei zu Fehlern kommt, nehmen wir euch das nicht übel. Natürlich wäre es noch schöner, wenn man darauf achten würde, dass alles stimmt oder wenigstens das Interesse nutzt, um unsere wahre Kultur zu repräsentieren. Man könnte uns zum Beispiel einladen, bei euren Festspielen mitzumachen und unsere echte Kultur als Teil des Programms darzustellen. Oder wenigstens beratend tätig zu werden.

Ist das Bild von Winnetou, als edler Reiter in einer befransten Wildlederjacke und langen Haaren, der im Einklang mit der Natur lebt, halbwegs akkurat?

Pferde waren damals sehr wichtig für unseren halbnomadischen Lebensstil. Die meisten Apachen hatten damals lange glatte Haare und ja: Viele haben auch befranste Lederjacken getragen. Heute ist das natürlich alles ein wenig anders. In jeder Generation geht ein Stück von unserer ursprünglichen Kultur verloren. Die wenigsten können heute zum Beispiel noch unsere Sprache sprechen oder verstehen.

Jeder darf sich so verkleiden, wie er es für richtig hält.
Häuptling Hernandez über Indianerkostüme an Karneval

Wie finden Sie es zum Beispiel, dass deutsche Kinder sich an Karneval als Indianer verkleiden?

Ich finde das nicht schlimm, wenn es nicht in Respektlosigkeiten ausartet, oder dazu dient uns zu verspotten. Jeder darf sich so verkleiden, wie er es für richtig hält.

Wie geht es den Apache-Stämmen heutzutage? Das meiste, was man über sie liest, ist über 100 Jahre alt.

Es ist eine Herausforderung. Für viele junge Menschen heute spielt unsere Kultur von damals nur noch eine geringe Rolle. Das können wir nur durch Dialog ändern. Viele Häuptlinge vergessen die kleinen Leute, wenn sie einmal im Amt sind und nehmen sich viel zu wichtig. Aber für das Stammesleben spielen sie nur eine untergeordnete Rolle. Vom großen Hai bis zum kleinen Fisch sind alle für unsere Gemeinschaft wichtig und jeder hat dabei seine Rolle zu spielen. Wenn wir nicht im Dialog bleiben, hören wir auf, eine Gemeinschaft zu sein. Und wenn wir aufhören, eine Gemeinschaft zu sein, werden wir früher oder später vergessen.