Wieder mehr FamilienessenWie Corona unser Essverhalten verändert hat
- Die Corona-Krise verändert in vielen Bereichen unsere Gewohnheiten.
- Viele geben an, nun mehr selbst zu kochen und viele tafeln nun auch häufiger mit der Familie.
- Unser Autor wirft einen Blick auf unser verändertes Essverhalten.
Düsseldorf – „Und – wie war es in der Schule?“ Diese Frage war extrem nervig. Wie sollte es schon gewesen sein? Öde, wie immer! Aber sie wurde gestellt, jedes Mal, wenn man sich nach Hause an den Mittagstisch geschleppt hatte. Bis zum Nachtisch aber war in der Regel eine erstaunliche Wende eingetreten. Das Ritual der gemeinsamen Mahlzeit hatte seine Wirkung entfaltet: Man fühlte sich nicht nur satt, sondern auch – versöhnt.
Nun sind die Zeiten lange vorbei, in denen es statt Kantinen Schulbrote gab, und mittags Futtern bei Muttern angesagt war. Der Anteil der Sechs- bis 14-Jährigen, die mittags mit mindestens einem Familienmitglied essen, betrug zwar Anfang 2020 bundesweit noch 45 Prozent, bei älteren Jugendlichen dürfte er niedriger sein. Weit mehr als die Hälfte der Väter und Mütter räumt ein, dass sie nicht zur selben Zeit wie die Kinder zu Hause ist. Corona jedoch hat das vielerorts geändert: Man traf sich wieder öfter am Esstisch – notgedrungen, nicht ohne Aufwand, aber oft mit Gewinn.
30 Prozent kochen jetzt öfters selbst
Laut einer Untersuchung des Bundesministeriums für Ernährung bereiten 30 Prozent der Befragten jetzt häufiger Speisen selbst zu als vor Beginn der Pandemie, 21 Prozent kochen öfter gemeinsam mit anderen. Das Kölner Rheingold-Institut für Marktforschung spricht von einer „Reaktivierung des Familientischs“, die ungeachtet der Lockerungen anhalte. Gerade in der Krise habe das gemeinsame Essen bewiesen, welchen Stimmungswandel es herbeiführen könne: Abwechslung, Unterhaltung, Beruhigung, Tröstung, Belohnung, Entdeckungen.
Dass bei der Nahrungsaufnahme in vertrauter Gemeinschaft viel mehr passiert als Beißen, Kauen, Schlucken, ahnten die Menschen vermutlich schon, als sie noch in Höhlen lebten. Forscher der Humboldt-Universität Berlin haben herausgefunden, dass beim gemeinsamen Essen die Aufmerksamkeit für negative Emotionen anderer deutlich steigt. Beim Essen zeigt sich, ob jemand bedrückt ist – eine Chance, Probleme anzusprechen, die bei dieser Gelegenheit gewissermaßen „auf den Tisch“ kommen.
Zusammenhalt der Gruppe stärken
Essen zu teilen, stärkt den Zusammenhalt der Gruppe, weil bei fast allen Beteiligten Oxytocin ausgeschüttet wird, das „Kuschelhormon“. Das lässt sich laut dem Max-Planck-Institut auch bei Schimpansen beobachten. Essen kann Rangfolgen verdeutlichen: Wer bekommt die größte Portion, wer darf sich zuerst bedienen, und wer bestimmt das?
US-Studien bei Zwölf- bis 17-Jährigen sehen eine ganze Reihe positiver Effekte: Jugendliche griffen umso weniger zu Zigaretten, Alkohol und Drogen, je öfter sie mit Eltern und Geschwistern am Tisch aßen. Zudem traten Essstörungen und Depressionen seltener auf. Die Heranwachsenden ernährten sich auch gesünder: mehr Vitamine, mehr Ballaststoffe, weniger Fett.
Unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland gibt es nach wie vor das Bedürfnis, im Kreis der Familie zu essen. Eine Forsa-Umfrage strafte unlängst gar Johann Wolfgang von Goethe Lügen, der einst reimte: „Die Jugend verschlingt nur, dann sauset sie fort / Ich liebe zu tafeln am lustigen Ort.“ Der aktuellen Erhebung zufolge schätzen gerade die Sechs- bis 14-Jährigen die beim Essen mit den Eltern verbrachte Zeit (72 Prozent) und die Möglichkeit, im Alltag Dinge zu besprechen (67 Prozent). Vielen schmeckt es dabei auch besser (47 Prozent).
Auch für Tischmanieren kann das Familienessen eine gute Schule sein. 76 Prozent der Kinder und Jugendlichen geben in der Forsa-Studie an, dass erst gegessen wird, wenn alle am Tisch sitzen, 60 Prozent bleiben am Tisch, bis jeder fertig ist. 14 Prozent der Kinder und Jugendlichen berichten, dass ihre Tischgenossen zu Hause ihre Handys dabeihaben, bei elf Prozent läuft der Fernseher. 39 Prozent helfen beim Tischdecken, 46 Prozent beim Abräumen.
Nur beim Thema Essensvorbereitung gehen die Zahlen drastisch nach unten: Nur jedes zehnte Kind kocht mit den Eltern. Dabei fördert auch das den Zusammenhalt ungemein. Unternehmen geben heutzutage für Koch-Events zwecks Teambuilding viel Geld aus. In der Familie gäbe es das für lau.