Mysteriöses Verschwinden im VatikanGehören die gefundenen Knochen Emanuela Orlandi?
Vatikanstadt – 35 Jahre sind vergangen, seit Emanuela Orlandi in Rom spurlos verschwand. Die damals 15-Jährige wurde noch gesehen, als sie am Nachmittag des 22. Juni 1983 eine Musikschule in der Innenstadt verließ. Seither ist das Mädchen, das heute eine 50 Jahre alte Frau wäre, wie vom Erdboden verschluckt. Orlandi war Tochter eines Vatikanangestellten und wuchs im Kirchenstaat auf. Der Fall gilt als einer der mysteriösesten Kriminalfälle in Italien. Für die Familie ist es ein fortdauerndes Martyrium. „Wir haben Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit und werden nie aufgeben“, sagte Emanuelas Bruder, Pietro Orlandi, vergangenen Sommer.
Die Spekulationen um den Verbleib von Emanuela Orlandi treiben dieser Tage wieder rege Blüten. Bereits vergangene Woche entdeckten Bauarbeiter Knochenreste auf dem Gelände der Apostolischen Nuntiatur in Rom. Die Vatikanbotschaft bei der Republik Italien liegt zwar in einem römischen Nobelviertel, das Areal ist aber „extraterritorial“ und gehört zum Vatikan. Der Verdacht schien nahezuliegen, die Knochenreste unter dem Pförtnerhaus der großen Anlage könnten zu einer Leiche gehören, die fernab aller Aufmerksamkeit bestattet werden sollte. Wem anders als Emanuela Orlandi könnten diese Knochen also gehören?
Der Vatikan schaltete die italienische Staatsanwaltschaft ein, die nun gegen Unbekannt wegen Mordes ermittelt und die Bauarbeiter vernimmt, die bei Renovierungsarbeiten zufällig den Knochenfund machten. Diesen Montag stellte die Spurensicherung weitere Skelettteile sicher. Während beim ersten Ortstermin Teile eines Oberkörpers gefunden wurden, tauchten nun ein Schädel und ein Unterkiefer auf, die möglicherweise von einer zweiten Person stammen. Die DNA-Tests sollen in einer Woche vorliegen. Doch ließen Gerichtsmediziner durchsickern, es handele sich bei den Körperteilen um die einer Frau im Alter zwischen 25 und 30 Jahren.
Liste veröffentlicht
Im September 2017 veröffentlichte der italienische Journalist Emiliano Fittipaldi eine Liste, die ihm aus dem Vatikan zugespielt worden sein soll. Darin waren vom Vatikan aufgebrachte Kosten „über Aktivitäten betreffend die Bürgerin Emanuela Orlandi“ aufgelistet, insgesamt rund 250 000 Euro. Wer wollte, konnte aus dem Dokument den Leidensweg Orlandis herauslesen. Kosten für die Unterbringung des Mädchens in London, „investigative Maßnahmen“, das „Legen einer falschen Fährte“ sowie die Rechnung einer Gynäkologin waren aufgeführt. „Verlegung in den Vatikanstaat“ lautet der letzte Posten aus dem Juli 1997. Wurde die Tochter eines Mitarbeiters in der päpstlichen Präfektur entführt und ermordet?
Andere Fährten hatten sich in den Jahren zuvor schon als falsch herausgestellt. Ihr Verschwinden war auch mit dem Attentat Ali Agcas auf Papst Johannes Paul II. in Verbindung gebracht worden. Wie es hieß, sollte der Papstattentäter durch die Entführung Orlandis und eines weiteren Mädchens freigepresst werden. Auch die damals 15-jährige Mirella Gregori verschwand 1983 in Rom, nur 40 Tage vor Orlandi.
Gregoris Schwester Maria Antonietta sagte dieser Tage: „Ich will mir keine falschen Hoffnungen machen, aber in der Tiefe meines Herzens hoffe ich, dass diese Knochen von Mirella sind.“ Dann gäbe es endlich einen Ort, wo sie um ihre Schwester trauern könne.