Tierschützer schlagen AlarmTürkischen Straßenhunden droht der Tod

Lesezeit 3 Minuten
Istanbul: Ein Straßenhund läuft über eine Straße.

Istanbul: Ein Straßenhund läuft über eine Straße.

Tierärzte protestieren gegen die Euthanasie von kerngesunden, herrenlosen Tieren.

Wenn die Metropole Istanbul ein inoffizielles Maskottchen hat, dann ist es sicher der Straßenhund „Boji“. Bekannt geworden ist „Boji“, weil er täglich im Istanbuler Nahverkehr gesichtet wurde. Straßenbahn, Bus und Fähre – bis zu 30 Kilometer täglich legte der Hund so zurück, wie die Stadtverwaltung mit einem GPS-Halsband feststellte. Für „Boji“ gab es ein Happy End, ein Geschäftsmann adoptierte den Mischling schlussendlich. Doch sollte eine von der islamisch-konservativen AKP geplante Gesetzesänderung beschlossen werden, droht Straßenhunden mit weniger Glück der schnelle Tod.

Dieser Vierbeiner lebt noch: Ein Straßenhund sonnt sich vor einem Café in Istanbul.

Dieser Vierbeiner lebt noch: Ein Straßenhund sonnt sich vor einem Café in Istanbul.

Der Entwurf ist nicht öffentlich, doch seit Details an die Medien durchgesickert sind, schlagen Tierschützer Alarm. Der Sender NTV berichtete, geplant sei, dass Tierheime auch kerngesunde Hunde einschläfern sollen, wenn sie nach 30 Tagen nicht vermittelt werden konnten. Weitere Straßenhunde sollen eingesammelt werden; mit ihnen soll dann genauso verfahren werden. Dazu wäre eine Änderung des türkischen Tierschutzgesetzes nötig, das die AKP selbst 2004 verabschiedet hatte.

Der Istanbuler Straßenhund „Boji“ , aufgenommen im Jahr 2021.

Der Istanbuler Straßenhund „Boji“ , aufgenommen im Jahr 2021.

Die türkische Tierärztevereinigung erklärte, dass der Plan nicht mit ihrem Berufsethos vereinbar sei und sie sich als Veterinäre weigerten, das Einschläfern durchzuführen. „Die Euthanasie kann nur von einem Tierarzt durchgeführt werden, und diese an gesunden Tieren anzuwenden, ist gleichbedeutend mit einem Massaker.“ Nach Schätzungen des Umweltministeriums gibt es in der Türkei etwa vier Millionen Straßenhunde. Anwohner in der Istanbuler Innenstadt kümmern sich teils liebevoll um herrenlose Katzen und Hunde, manche erhalten sogar Kosenamen. Doch immer wieder werden vor allem Kinder durch Straßenhunde verletzt. Präsident Recep Tayyip Erdogan machte kürzlich auf den Fall des zehnjährigen Tunahan aufmerksam, der Berichten zufolge von zwei Straßenhunden angegriffen und schwer verletzt worden war. In ländlichen Regionen bilden die Tiere oft Rudel, immer wieder berichten Anwohner, dass sie sich wegen der Hunde nicht in bestimmte Regionen trauen.

In Deutschland ist das Töten von gesunden Tieren verboten

Befürworter verweisen in der Regel darauf, dass etwa auch in Großbritannien das Töten von streunenden Hunden nach einer siebentägigen Verwahrfrist erlaubt ist. Deutschland lehnt die Euthanasie von gesunden Tieren dagegen strikt ab.

Oppositionschef Özgür Özel von der Mitte-Links Partei CHP ist gegen das Vorhaben der Regierung und fordert stattdessen konsequentes Kastrieren und den Ausbau der Tierheim-Infrastruktur.

Tierschützern zufolge lässt sich die Straßentierproblematik nachhaltig nur durch Einfangen, gezielte Kastrierung, Impfung und wieder Aussetzung in das Herkunftsgebiet lösen. Das sei wissenschaftlich erwiesen und zeige die Praxis etwa bei Modellprojekten in Rumänien, sagt Luca Secker, Referentin beim Deutschen Tierschutzbund. Dieses Vorgehen ist jetzt schon im türkischen Gesetz vorgesehen. Doch an der Umsetzung mangelt es, wie Tierschützer einheitlich beklagen. Als Konsequenz daraus habe die Population der Straßentiere zugenommen.

Ob der umstrittene Vorschlag noch entschärft wird, ist ungewiss. Zuletzt hieß es, Emine Erdogan, die Ehefrau des Präsidenten, habe sich an dem Vorhaben gestört und interveniert. Die Regierungspartei AKP diskutiere zurzeit parteiintern weiter. Der Fraktionsvorsitzende Abdullah Güler wiegelte bereits ab und sagte, man habe kein Problem mit Hunden, die Teil des Viertels sind und von den Anwohnern „Kamille“ oder ähnlich getauft wurden, sondern mit „aggressiven“ Straßenhunden. Auch Erdogan selbst schien beschwichtigen zu wollen und sagte, man wolle mit der Änderung des Gesetzes die Vermittlung herrenloser Hunde fördern. „Wir möchten, dass alle Tiere, die in Tierheime aufgenommen werden, adoptiert werden“, sagte er. Dann sei der nächste Schritt gar nicht nötig. (dpa)

Nachtmodus
Rundschau abonnieren