AboAbonnieren

Drei Mädchen bei Tanzkurs erstochenRandale nach Messerangriff in Southport – und Spuren nach Russland

Lesezeit 5 Minuten
Auch in London kam es am Mittwochabend zu Krawallen bei spontanen Protesten nach dem Messerangriff von Southport.

Auch in London kam es am Mittwochabend zu Krawallen bei spontanen Protesten nach dem Messerangriff von Southport.

Ein 17-Jähriger ermordet tanzende Mädchen – in britischen Städten eskaliert seitdem die Lage. Auslöser könnten Fakenews aus Russland sein.

Nach einem Messerangriff auf tanzende Mädchen in der englischen Stadt Southport am Montag, erlebt Großbritannien die zweite Krawallnacht in Folge. In mehreren Städten kam es am Mittwochabend und in der Nacht auf Donnerstag erneut zu Handgemengen, Ausschreitungen und Angriffen auf Polizeibeamte. Krawalle wurden aus London und Hartlepool gemeldet. In der Hauptstadt seien mehr als 100 Menschen festgenommen worden, hieß es. In Manchester vertrieb die Polizei einige Dutzend Menschen aus der Nähe einer Unterkunft für Asylsuchende.

Am Dienstagabend war es in Southport zuvor bereits zu heftigen Krawallen in der Nähe einer Moschee gekommen. Laut Polizeiangaben waren auch Rechtsextreme für die Randale in die Stadt gereist, die nach dem Messerangriff von Montag noch unter Schock steht. Neusten Erkenntnissen zufolge könnten Falschmeldungen aus Russland die Krawalle in Großbritannien befeuert haben.

Messerattacke in Southport: 17-Jähriger wegen dreifachen Mordes angeklagt

Der 17-jährige Axel Rudakubana soll am Montag drei Mädchen im Alter von sechs, sieben und neun Jahren erstochen und acht weitere Kinder sowie zwei Erwachsene bei einem Taylor-Swift-Tanzkurs für Kinder teils schwer verletzt haben. Zwei Kinder wurden mittlerweile aus dem Krankenhaus entlassen.

Der Jugendliche wurde unter hohen Sicherheitsvorkehrungen zum Amtsgericht in Liverpool gebracht. In einer kurzen Anhörung entschied der Magistrates' Court, den Fall wegen der Schwere der Vorwürfe an den höher gestellten Crown Court weiterzureichen. Dort sollte der Teenager noch heute erscheinen. Nach Polizeiangaben wurde der Rudakubana, der wegen dreifachen Mordes und zehnfachen Mordversuchs angeklagt ist, in Großbritannien geboren.Laut BBC stammen die Eltern des Jugendlichen aus Ruanda.

Sein Name durfte zunächst nicht genannt werden, weil er minderjährig ist. Am Donnerstag entschied ein Richter schließlich, die Identität doch zu veröffentlichen und nannte auch die „idiotischen Krawalle“ als Grund dafür.

Falschnachricht über mutmaßlichen Täter von Southport stammt wohl aus Russland

In sozialen Medien breitete sich trotz der Polizeimitteilung die Falschnachricht aus, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen irregulär eingereisten muslimischen Migranten handelt. Das hat nach Einschätzung der Behörden die Krawalle ausgelöst. Diese Falschnachricht soll nach Recherchen der „Daily Mail“ bewusst aus Russland in den sozialen Netzwerken gestreut worden sein.

Immer wieder gibt es Berichte über von russischen Trollarmeen in den sozialen Netzwerken durchgeführte Kampagnen, die für Unruhe in westlichen Ländern sorgen sollen. So hatten Analysen zuletzt ergeben, dass in Deutschland die rechtsextreme AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in den sozialen Netzwerken Unterstützung von aus Russland gesteuerten Fake-Accounts erhalten.

Fakenews-Website imitiert US-Medien – Verbindungen nach Russland

Auch in Großbritannien sollen nun bewährte russische Methoden zum Einsatz gekommen sein. So behauptete ein Account, der den Anschein erwecken sollte, es handele sich dabei um die US-Newsseite „Channel 3 Now“, der Angreifer von Southport habe einen arabischen Namen, stehe auf einer „Watchlist“ der britischen Behörden und sei in Liverpool wegen psychischen Problemen auffällig geworden. Keine der Angaben entspricht der Wahrheit.

Eine Mutter umarmt ihr Kind vor einer Gedenkstelle für die Opfer des Messerangriffes auf tanzende Kinder in Southport.

Eine Mutter umarmt ihr Kind vor einer Gedenkstelle für die Opfer des tödlichen Messerangriffes auf tanzende Kinder in Southport.

Laut den Recherchen der „Mail“ existiert der zugehörige Youtube-Kanal bereits seit elf Jahren – und postete zunächst Rallye-Videos aus der russischen Stadt Ischewsk, in denen Personen aufgetaucht seien, die Verbindungen zur russischen Rüstungsindustrie haben sollen, wie die britische Zeitung berichtete.

Rechtsextreme Aktivisten und Influencer verbreiten Gerücht über Southport

Der Kanal sei mehrere Jahre inaktiv gewesen, bevor er 2019 damit begonnen habe, „bizarre englischsprachige Videos“ zu verbreiten. Kurz nach Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine habe der Kanal sich dann den Look eines Nachrichtensenders verpasst und im letzten Jahr schließlich eine eigene Website gestartet, die ihren Namen seitdem mehrmals geändert und dabei stets US-Nachrichtenmedien imitiert habe.

Auch im Fall des Angreifers von Southport verbreiteten russische Staatsmedien die in den sozialen Netzwerken gestreute Fakenews weiter. Rechtsextreme Aktivisten und der misogyne Influencer Andrew Tate teilten das Gerücht schließlich unter ihren Millionen Followern in den sozialen Netzwerken – und forderten, ihre Anhänger müssten nun „aufwachen“.

Hunderte randalieren vor Moschee in Southport – 53 Polizisten verletzt

Die Polizei in Merseyside sah sich angesichts des Gerüchts zu einem Statement genötigt, in dem die Behörde klarstellte, dass der im Netz kursierende Name „nicht korrekt“ sei, obwohl sich die Polizei in Großbritannien bei Minderjährigen eigentlich nicht zur Identität mutmaßlicher Täter äußert. Die Krawalle in Southport konnte das jedoch nicht mehr verhindern.

Hunderte randalieren am Dienstagabend in Southport und attackieren auch Polizeikräfte.

Hunderte randalieren am Dienstagabend in Southport und attackieren auch Polizeikräfte.

Hunderte Menschen, darunter laut Polizeiangaben viele aus der rechten Szene, versammelten sich vor der örtlichen Moschee, warfen mit Pflastersteinen und skandierten Slogans wie „No surrender“ („Keine Kapitulation“) oder „English till I die“ („Englisch bis zum Tod“). Streifenwagen gingen in Flammen auf – es kam zu heftigen Auseinandersetzungen mit Polizeikräften. 53 Sicherheitsbeamte seien dabei verletzt worden, mindestens acht von ihnen schwer, erklärte die Polizei.

Tanzender Kinder in Southport erstochen: „Von feindlichen Staaten ausgenutzt“

Die Frage, welche Rolle die Desinformation aus Russland bei den aktuellen Krawallen in Großbritannien spielt, beschäftigt nun offenbar auch das Innenministerium in London. Es sei eine Untersuchung zum Ursprung der relevanten Posts eingeleitet worden, berichtete der „Independent“ am Donnerstag mit Bezug auf Quellen im Ministerium.

Auch der ehemalige Sicherheitsminister Stephen McPartland äußerte sich zu dem Fall. „Desinformation zur Untergrabung der Demokratie ist ein großer Teil der russischen Taktik“, zitierte die britische Zeitung ihn. „Die tragischen Ereignisse in Southport werden von feindlichen Staaten ausgenutzt, um Hass und Spaltung zu schüren, anstatt die Bevölkerung trauern zu lassen. Wir brauchen viel mehr Cyber-Resilienz in unserer gesamten Gesellschaft und Wirtschaft, um die Demokratie zu verteidigen“, erklärte McPartland weiter.

Versöhnliche Szenen vor Moschee in Southport

Aus Southport, der Küstenstadt unter Schock, kommen am Donnerstag unterdessen versöhnliche Szenen. Rund 100 Menschen versammelten sich dort am Mittwoch, um die Schäden an der örtlichen Moschee zu reparieren, die durch die rechtsextreme Randale entstanden waren.

Man müsse die Mauer vor der Moschee wieder aufbauen, bevor die Rechtsextremen zurückkommen, erklärte ein Helfer gegenüber einem Reporter des „Independent“ während der Arbeit in gleißender Hitze. „Und wenn wir die Mauer danach noch einmal aufbauen müssen, dann machen wir auch das“, fügte der Mann an.

Nach der zweiten Krawallnacht in Folge wächst in Großbritannien derweil die Angst vor weiteren gewalttätigen Protesten von Rechtsradikalen. Premierminister Keir Starmer will sich mit wichtigen Polizeiführern beraten. Dabei werde der Labour-Politiker den Mut der Einsatzkräfte loben und ihnen Rückendeckung geben, damit sie gegen „sinnlose Gewalt“ durchgreifen können, hieß es aus Regierungskreisen.

Der Artikel wurde nach der Veröffentlichung des Namens des Tatverdächtigen aktualisiert.