Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

„Schnelles Helles“Polizisten gründen Rockerclub – Prozess um Hells Angels

Lesezeit 4 Minuten
Hells Angel Koblenz

Der Angeklagte Karl-Heinz B.

  1. Seit Januar läuft in Koblenz der Prozess gegen acht Rocker.
  2. Vor Gericht steht auch der Chef der Rocker, der einen Polizisten erschossen hat.
  3. Die Polizei selbst hatte einen Rockerclub gegründet, um leichter in der Hells-Angels-Szene ermitteln zu können.

Koblenz – Der Vizechef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Ulf Küch, muss schallend lachen. Was, doch kein Aprilscherz? Rheinland-pfälzische Polizisten haben einen Rockerclub gegründet, um leichter in der Hells-Angels-Szene ermitteln zu können. Nun stehen tatsächlich acht Rocker in Koblenz vor Gericht. Auch der Prozess ist ungewöhnlich. So brechen zwei Angeklagte das strikte Schweigegelübde der Szene. Bei drei Zeugen klicken wegen mutmaßlicher Falschaussage die Handschellen. Hinzu kommt ein überraschendes Verbot des Clubs der Angeklagten. Unter ihnen ist auch dessen bisheriger Chef, der durch seine Haustür einen Elite-Polizisten erschossen hat.

Begonnen hat der Prozess um mutmaßliche Geiselnahme, räuberische Erpressung, Körperverletzung und Verstöße gegen das Waffengesetz im Januar. Die Rocker sollen den Verein „Hells Angels MC Bonn“ als kriminelle Vereinigung gebildet haben - allerdings als Abspaltung im rheinland-pfälzischen Kreis Neuwied. Die Anklage wirft ihnen vor, im nördlichen Rheinland-Pfalz und Großraum Bonn mit einem „Alleinvertretungsanspruch“ andere Motorradclubs teils brutal drangsaliert zu haben. Die Hells Angels hätten ihre Konkurrenz auch mit GPS-Sendern ausgespäht. Die Polizei soll bei ihnen Schusswaffen, Stahlruten, Messer, Schlagstöcke und Baseballschläger entdeckt haben.

Anstiftung zum Rechtsbruch?

„Schnelles Helles“ haben die verdeckten Ermittler ihren angeblichen Motorradclub genannt - und mit ihrem vielfach in der Szene präsentierten Logo das Design der Hells Angels fast imitiert. Doch diese Provokation soll nur zur harmlosen Bitte der Hells Angels geführt haben, Farbe und Schrifttyp zu ändern. Hat der Staat mit falschen Rockern, die nicht einmal Motorrad fahren können, eine Anstiftung zum Rechtsbruch versucht, kann der Prozess daher platzen? Der Sprecher der Koblenzer Staatsanwaltschaft, Rolf Wissen, winkt ab: Dem Einsatz verdeckter Ermittler sei richterlich zugestimmt worden. „Im Prozess muss man abwarten, wie die Kammer das bewertet.“

BDK-Vizechef Küch fragt kritisch: „Was soll so eine Aktion bringen?“ Schon der Name „Schnelles Helles“ sei Unsinn. Das Eindringen in die verschlossene Hells-Angels-Szene in Deutschland, der oft auch Drogenhandel, Rotlichtkriminalität und Schutzgelderpressung vorgeworfen werde, benötige jahrelange verdeckte Ermittlungen. In etlichen deutschen Großstädten sind die Vereine der Hells Angels, die schwere Harley-Davidson-Motorräder bevorzugen, schon verboten.

Immer wieder knallen Rocker-Gruppen aufeinander. Am Donnerstag fielen im Rockermilieu von Heidenheim (Baden-Württemberg) Schüsse. Eines der beiden Opfer, ein von drei Schüssen getroffener 29-Jähriger, erlag am Samstag seinen schweren Verletzungen. Bei den Angeschossenen handelte es sich um Mitglieder der United Tribuns. Die Angreifer gehörten den Angaben zufolge den Black Jackets an.

Angst spielt bei der Aussage eine Rolle

Der Koblenzer Prozess, der bis mindestens Dezember terminiert ist, wird von vielen Polizisten und einer doppelten Einlasskontrolle gesichert. Staturen wie Schränke, großflächige Tätowierungen und glitzernde Ohrringe: Auch im Publikum sitzt die Rockerszene. Die beiden aussagewilligen Angeklagten gestehen eigene Schläge und belasten ihre Mitangeklagten. So etwas komme etwa bei der Hoffnung auf eine geringere Strafe vor, sagt Küch. Fortan würden diese Mitglieder aber in der Szene als Verräter angesehen.

Bei Aussagen in Rockerprozessen spiele oft die Angst eine Rolle. Das lässt sich auch bei manchen Zeugen in Koblenz vermuten: Sie wollen sich nicht mehr daran erinnern, wer sie oder andere verprügelt hat. Zwei der drei wegen mutmaßlicher Falschaussage im Gerichtssaal festgenommen Zeugen sind wieder auf freiem Fuß. Sie hätten ihre Aussagen überdacht, sagt Oberstaatsanwalt Wissen. Die Verteidiger sprechen von Einschüchterung und Rechtsbruch. Wissen weist das zurück. „Manchmal muss man ein bisschen nachhelfen.“ Der Oberstaatsanwalt erinnert auch an mögliche Zeugenschutzprogramme.

Als der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) den Club „Hells Angels MC Bonn“ am 10. März, nur drei Tage vor der rheinland-pfälzischen Landtagswahl, durchsuchen und verbieten ließ, zeigte sich der Vorsitzende Richter Thomas Metzger irritiert: Solche Aktionen während eines laufenden Verfahrens seien nicht förderlich.

Der angeklagte einstige Präsident des verbotenen Motorradclubs hat 2010 bundesweit Empörung ausgelöst, als er einen Polizisten durch seine Haustür erschoss. Laut einem aussagewilligen Mitangeklagten soll sich der Rocker mit Pferdeschwanz später als „Polizistenmörder“ bezeichnet haben, um Rivalen einzuschüchtern. Nach seiner Verurteilung zu neun Jahren Haft sprach der Bundesgerichtshof von irrtümlicher Notwehr, weil der Mann einen Angriff feindlicher Rocker befürchtet habe, und hob die Strafe wieder auf. Anschließend ist der Hells Angel wegen mutmaßlicher neuer Gewaltdelikte wieder in Untersuchungshaft gekommen. (dpa)