Teile des berühmten Rotlichtviertels sollen aus der Altstadt weichen. Der Plan gehört zu einer Reihe von Maßnahmen, um die Stadt aufzuwerten.
Berühmtes RotlichtviertelGibt es in Amsterdam bald keine Bordelle mehr?
Sie sind tatsächlich dunkel, jene Gassen in der Amsterdamer Innenstadt, wo sonst rote Neonröhren die Lust auf sexuelle Abenteuer befeuern sollen. Zwischen drei und sechs Uhr morgens bleiben die Lampen seit Anfang April aus. Keine Frauen in Reizwäsche sitzen in den sonst erleuchteten Schaufenstern. Eine nächtliche Pause, die den Anfang vom Ende des weltberühmten Rotlichtviertels in der niederländischen Hauptstadt einleiten könnte. Denn wenn es nach der Bürgermeisterin Femke Halsema geht, sollen Teile des Angebots für kleine sexuelle Abenteuer in einen Außenbezirk ausgelagert werden.
Weg vom Image der „wilden Stadt“
Der Plan gehört zu einer Reihe von Maßnahmen, mit denen die Behörden das Image der „wilden Stadt“ aufpolieren wollen. Knipst die Verwaltung in dem Viertel, das im Volksmund „De Wallen“ heißt, aber tatsächlich bald die Neonlichter aus? Seit Jahren gibt es Diskussionen um die Straßen mit den Schaufensterreihen, wo laut Schätzungen rund 6000 Prostituierte ihre Dienstleistungen anbieten. Zahlreiche Politiker beklagen, dass die Gegend Kriminelle, Drogentouristen und sich prügelnde Partywütige anzieht. Der Massentourismus sei sowohl für die Bewohner wie auch die Beschäftigten ein Problem.
Als Lösung soll ein neues mehrstöckiges Erotikzentrum dienen, das außerhalb des Zentrums für weniger Belästigung und mehr Sicherheit für die in der Branche Tätigen sorgen soll. Es könnte eines der größten Bordelle Europas entstehen, inklusive Bars und Restaurants. Das Center werde den Druck auf das alte Rotlichtviertel mindern, warb die grüne Bürgermeisterin Halsema, und „einen außergewöhnlichen Ort schaffen, an dem Sexarbeiterinnen sicher, legal und ungestört arbeiten und Besucher ein breites Angebot an Erotik, Kultur und Unterhaltung erwarten können“.
Idee stößt auf viel Widerstand
Doch der Widerstand ist groß. So lehnen etwa die Sexarbeiterinnen einen Umzug entschieden ab. In einem geschlossenen Gebäude werde die Sichtbarkeit verringert, sodass es „viel unsicherer“ würde, hieß es von Red Light United, einer Gewerkschaft für jene Frauen, die in dem Viertel in den Koberfenstern auf Kunden warten. Das würde „zu mehr Missbrauch wie Menschenhandel führen, aber auch zu Drogenkriminalität in der Nachbarschaft und zu Raubüberfällen auf der Straße“. Man löse das Problem nicht, „sondern verlagert und vergrößert es nur“. Laut einer Umfrage der Gewerkschaft wollen 90 Prozent der Befragten in De Wallen bleiben. In den vergangenen Wochen protestierten die Sexarbeiterinnen zudem lautstark gegen ihren von den Behörden aufgezwungenen neuen frühen Feierabend um 3 Uhr morgens. „Die neuen Schließzeiten sind eindeutig dazu gedacht, uns auszuräuchern, damit wir eher bereit sind, in das Erotikzentrum umzuziehen“, meinen sie.
Sexarbeit als Teil von Amsterdam?
Halsema dagegen versucht zu beschwichtigen. Sexarbeit „gehört zu Amsterdam und wird nie verschwinden“. Aber die Situation in der Innenstadt sei „unhaltbar“, erklärte sie kürzlich – „wegen des Stroms von Touristen, die sich regelmäßig daneben benehmen und Belästigungen verursachen“. Cannabis, Sex, Alkohol: Die niederländische Politikerin will aufräumen. Gerade erst sorgte eine neue Online-Kampagne für Aufsehen, die sich mit dem Appell „Stay Away“ explizit an junge Männer aus Großbritannien richtet und sie unverblümt auffordert: „Bleibt weg“. Mit dem Projekt will Amsterdam Briten fernhalten, die lediglich zum exzessiven Feiern, Trinken und Kiffen in die Metropole reisen.
Um für mehr Unterstützung für das riesige Erotikzentrum zu werben, geht das Stadtoberhaupt dieser Tage in die Charmeoffensive bei den Bewohnern der drei potentiellen Standorte – einer befindet sich im Norden Amsterdams, zwei liegen im Süden –, wo man nicht gerade begeistert ist über die Aussicht, dass sich bald schon Peepshows, Sexshops und Stripclubs in der Nachbarschaft ansiedeln könnten. Und es melden sich keineswegs nur skeptische Anwohner zu Wort. Protest kommt auch von der Europäischen Arzneimittelagentur (Ema), die ihren Sitz 2019 wegen des Brexit von London in den Süden Amsterdams verlegt hat – nach intensiver Lobbyarbeit der Niederländer. Nun ist der Standort in unmittelbarer Nähe zu den Bauplätzen im Süden, die von der Verwaltung ausgewiesen wurden, „zehn Minuten zu Fuß“. Man sei „äußerst besorgt“, verlautbarte die Behörde, die für die Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln in der Staatengemeinschaft verantwortlich ist. Man befürchte „Belästigungen, Drogenhandel, Trunkenheit und ordnungswidrigen Verhalten“. Um sich gegen das Projekt zur Wehr zu setzen, schaltete die Ema sogar die EU-Kommission ein. Die Brüsseler Behörde solle die Angelegenheit auf „höchster politischer und diplomatischer Ebene“ ansprechen, um für die Angestellten „ein sicheres Arbeitsumfeld“ zu gewährleisten, wie es hieß. „Die einen wollen uns loswerden, die anderen wollen uns nicht reinlassen“, kritisierte derweil eine Vertreterin von Red Light United. Dabei hätten sie legale Jobs und bezahlten Steuern. „Wir sollten wie andere Menschen behandelt werden.“ Eine Entscheidung soll bis Ende des Jahres fallen.