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Neue Forschungs-ErgebnisseWie die Nase als Einfallstor für Corona-Viren wirkt

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Eine Frau putzt sich die Nase. Forscher haben die Nase als Einfallstor für Coronaviren ausgemacht.

  1. Die Nase, nicht der Rachen ist nach neuen Erkenntnissen der Haupteinfallsort für das Coronavirus. Dort findet offenbar auch die stärkste Vermehrung der Viren statt.
  2. Der Aachener HNO-Professor Martin Westhofen erklärt, was da passiert.
  3. Er selbst forscht in einem internationalen Team an medikamentösen Therapien, die offenbar gute Chancen haben, die Viruslast stark zu senken.

Aachen – Der Körper des Menschen bietet Medizinern eine luxuriöse Landkarte, deren POIs – Points of Interests – sie gleichsam mit dem Navigationsgerät bereisen können. Mehr als nur die Anatomie interessiert sie allerdings die Funktion der Organe, vor allem ihrer Zellen. Wie reagieren sie? Welche Prozesse laufen ab? Und was macht sie zugänglich für gefährliche Erreger und entzündliche Prozesse?

Bei diesen Fragen assistiert der riesige, fortwährend erweiterte und aktualisierte „Human Cell Atlas“. Das ist eine Art Kataster des Körpers, eine biologische Enzyklopädie, die beim Verständnis von Infektionen entscheidend helfen kann; jede Zelle besitzt ja ein individuelles biochemisches und strukturelles Profil. Im Corona-Zeitalter ist das von elementarer Wichtigkeit. Jetzt haben mehrere Studien nachgewiesen, dass sich das Sars-CoV-2-Virus nicht erst im Rachen vermehrt, sondern vor allem im Bereich der Nase und in den Tiefen ihrer Hohlräume. Hier kennt sich Martin Westhofen exzellent aus, er ist Professor für HNO-Heilkunde am Universitätsklinikum Aachen und forscht derzeit mit einem internationalen Forscherteam an therapeutischen Ansätzen gegen die Covid-19-Krankheit.

Infektionswege des Virus untersucht

Aber wieso die ausgerechnet die Nase? Nun, Wissenschaftler aus China und den USA haben jetzt die Infektionswege des Virus untersucht und dazu auf Basis der Erbgutdaten von Sars-CoV-2 einen künstlichen Doppelgänger konstruiert, der unter Fluoreszenzlicht grün leuchtet. Mit einer hochempfindlichen Methode untersuchten sie zudem die verschiedenen Zelltypen in der Nasen-, Rachen- und Bronchialschleimhaut, um f estzustellen, mit welcher Menge des Rezeptors ACE2 sie jeweils ausgestattet sind. Dieser Rezeptor, sagt Westhofen, ist bei Covid-19 von hoher Bedeutung, denn das Virus nutzt ihn als Andockstelle, um ins Innere der Zelle zu dringen.

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Prof. Martin Westhofen

Spannend ist nun aber die Tatsache, dass die Dichte an ACE2-Rezeptoren entlang der Strecke von den oberen zu den unteren Atemwegen abnimmt. Das heißt: In den Zellen der Nasenschleimhaut sind mehr Rezeptoren vorhanden als in den Zellen des Rachens und der Bronchien. Das verwundert auf den ersten Blick, denn Covid-19-Patienten klagen in der Anfangsphase ihrer Erkrankung normalerweise häufiger über Halsschmerzen als über Schnupfen. Dennoch: „Die Nase ist in jedem Fall die wichtigste Eintrittspforte für das Coronavirus“, sagt Martin Westhofen. Und wenn sich Viren in der Nase massiv vermehren, gibt sie die Erreger beim Ausatmen auch wieder frei – und zwar in beträchtlicher Menge.

HNO-Ärzte mit besonderer Gefährdung

Das hat dem Berufsstand der HNO-Ärzte in der jüngsten Vergangenheit selbst einige Probleme bereitet. Westhofen berichtet von Chirurgen, die durch die Nase an der Schädelbasis operierten und plötzlich mit dem gesamten HNO-Team infiziert waren – ihr Patient litt an Covid-19. Sogar Todesfälle gab es. In Aachen hat Westhofens Klinik deshalb begonnen, die Sekrete des Patienten durch einen Absaugschlauch in ungefährliche Richtungen zu lenken und separat aufzufangen.

Für unseren Alltag bedeuten die neuen Erkenntnisse vor allem, dass der Mund-Nasen-Schutz richtig getragen werden muss. „Wer ihn nur über den Mund zieht, der lässt einen Zu- und Ausgangsweg für Viren offen, das kann tatsächlich fatale Folgen haben“, warnt Westhofen. Man muss ja nicht nur niesen, um Erreger an die Luft zu befördern, auch der natürliche Atemvorgang durch die Nase befördert Tröpfchen und Aerosole an die Außenwelt.

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Westhofen, als HNO-Lehrstuhlinhaber in Theorie und Praxi s gleichermaßen beheimatet, kennt etliche Szenarien, in denen das Coronavirus unheilvolle Wege nehmen kann – etwa beim Musizieren: „Beim Chorgesang von Laien können Viren in hoher Zahl entweichen, vor allem wenn der gesungene Text sogenannte Frikative enthält.“ Bei diesen Reibelauten handelt sich um bestimmte Konsonanten. Bei ihrer Artikulation werden Engstellen gebildet, die die ausströmende Luft verwirbeln und den Reibelaut erzeugen. Beispiele für Frikative sind die deutschen Laute, die als „s“, „f“ oder „v“ geschrieben werden.Dass die Nase als Ventilator für Keime in alle Richtungen fungiert, interessiert nicht nur die HNO-Ärzte, sondern auch die Infektionsmediziner.

Besseres Bild der Infektionswege

Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, bezeichnet jedenfalls jenen per Fluoreszenzlicht gesicherten Nachweis als „neu und elegant“. Zusammen mit den Daten aus den Gewebeproben werde damit sozusagen „ein Bild der Infektion“ entworfen: „Zu Beginn wird die Nasenschleimhaut infiziert, dann kommt es am ehesten durch Aspiration von Schleim zur Infektion der Lunge.“ Allerdings sei auch der andere Weg – eine direkte Infektion der Lunge – denkbar. Er erscheine aber nun „unplausibler“.

Interdisziplinär gegen die Corona-Erkrankung

Forscherteam Für die geplante Untersuchung hat der Aachener HNO-Professor Martin Westhofen Experten aus den Bereichen Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Pharmazie, Virologie und Immunologie versammelt; sie kommen aus Aachen, Gent und Köln. Ziel der Arbeit ist „die Untersuchung der Zellreaktion für den Einsatz lokaler Therapeutika bei schwerwiegenden Folgen einer viral induzierten Beeinträchtigung der zellulären Entzündungsantwort im Zusammenhang mit den ACE2-Rezeptoren dieser Zellen gerichtet“.

Die Zellen der Nase sind der Forschung und der Therapie fraglos leichter zugänglich als etwa Lungenzellen. Westhofen kümmert in diesen Tagen mit Hochdruck um einen neuen medikamentösen Ansatz, der eher per Zufall auf die Agenda rückte. Zu Beginn der Covid-19-Pandemie beschäftigte er sich auch mit der Frage, ob Cortison-Sprays für manche OP-Patienten nicht gefährlich werden könnten. Sie waren mikrochirurgisch operiert worden, weil sie an einer chronischen Entzündung der Nasenhöhlen (der sogenannten Rhinosinusitis) und vielen Nasenpolypen litten. In der Fachsprache heißt die kombinierte Erkrankung „CRSwP“ (chronische Rhinosinusitis mit Pol yposis). Zur Begradigung und zur Langzeittherapie werden sie mit cortisonhaltigem Nasenspray behandelt; es hemmt das Wachstum von Polypen. Doch kann das für Corona-Patienten möglicherweise unerwünschte Folgen haben?

Nun weiß Westhofen, dass jener ACE2-Rezeptor nicht nur bei Covid-19, sondern auch bei „CRSwP“ aktiviert ist. Jetzt will er in einem internationalen Team erforschen, ob es zwischen beiden Erkrankungen Parallelen gibt – und ob ein bestimmtes Cortisonspray, nämlich Ciclesonid, tatsächlich die Vervielfältigung der Sars-CoV-2-Viren, die sogenannte RNA-Replikation, hemmt; eine japanische Studie hatte erste Hinweise darauf gegeben. Westhofen: „Unsere Studienergebnisse sollen auch dazu dienen, die entzündlichen Vorgänge im Rahmen der schweren Erkrankung bei Covid-19-Infizierten und akut Erkrankten mit den Folgen des Multiorganversagens besser zu verstehen. Und wir wollen schauen, ob sich hieraus Therapiekonzepte ableiten lassen.“In Deutschland ist Ciclesonid als Nasenspray nicht zugelassen – noch nicht. Das könnte sich ändern. In Corona-Zeiten werden Zulassungen von Medikamenten beschleunigt, wenn sie anderswo bereits genehmigt und in Gebrauch sind. Für die Antwort in diesem Fall schaut die Welt jetzt nach Aachen.