Ein Professor der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen soll Studenten bedrängt und belästigt haben. Er soll seine Macht missbraucht und ungewöhnliche Praktiken eingesetzt haben.
Mehrere FälleMissbrauchs-Vorwürfe gegen in Köln lebenden Professor
Ein Professor der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen, der in Köln lebt, soll über Jahre männliche Studierende bedrängt und teils sexuell belästigt haben. Studenten desselben Studiengangs berichten unabhängig voneinander von Formen des Machtmissbrauchs und sexuellen Übergriffen. Die Anschuldigungen wiegen teils schwer: Er soll die jungen Männer mit ungewöhnlichen Praktiken unter Druck gesetzt und teils unsittlich berührt haben. Sogar von Begegnungen in seiner Privatwohnung und Einladungen in sein Bett ist die Rede.
Die „WAZ“ aus Essen berichtete zuerst über den Fall. Sie hat mit sechs Betroffenen aus fünf verschiedenen Semestern gesprochen, die bei dem Professor Vorlesungen besuchten. Einige von ihnen haben sich zuvor bereits mit Gedächtnisprotokollen an die Leitung der Westfälischen Hochschule gewandt, um die von ihnen beschriebenen Missstände aufzuzeigen. Diese liegen der Redaktion vor. Das älteste Protokoll stammt von Oktober 2019, das jüngste vom vergangenen Jahr.
Die Westfälische Hochschule bestätigte der „WAZ“, dass mehrere Studierende „grenzüberschreitenden Machtmissbrauch durch eine lehrende Person“ aktuell bei der Hochschulleitung angezeigt hätten. Zu personenbezogenen Fragen und konkreten Einzelheiten dürfe er allerdings keine Auskunft geben, erklärte Hochschulpräsident Bernd Kriegesmann. „Unmittelbar nach Bekanntwerden haben wir Maßnahmen ergriffen, um etwaigem weiteren Machtmissbrauch vorzubeugen“, so Kriegesmann weiter. Inzwischen läuft ein Disziplinarverfahren gegen den Professor, wie die Uni gestern mitteilte. „Der Umgang mit solchen Fällen verläuft dabei entlang klar geregelter dienstrechtlicher Verfahren. Dazu gehört auch – wie in diesem Fall – die vorläufige Dienstenthebung und die Einleitung eines Disziplinarverfahrens“, hieß es dazu. Da es sich um ein „laufendes Verfahren“ handle, dürfe er aus rechtlichen Gründen nichts weiter öffentlich dazu sagen, so Kriegesmann.
Name darf nicht genannt werden
Der Name des beschuldigten Professors ist der Redaktion bekannt. Zum jetzigen Zeitpunkt des Verfahrens darf er mit Rücksicht auf das Persönlichkeitsrecht – und um ihn nicht öffentlich vorzuverurteilen – nicht genannt werden. Die Vorwürfe werden bestritten. Sein Anwalt wollte sich auf Anfrage zur Sache nicht öffentlich äußern.
Mehrere Studierende und Menschen, die lange mit ihm gearbeitet haben, zeichnen das Bild eines Professors, der immer nach gleichem Schema vorgegangen ist. Simon Koch belegte im zweiten Semester das erste Mal einen Kurs bei ihm. Die Redaktion hat den Namen des ehemaligen Studenten geändert. Er möchte, wie die anderen Betroffenen, seinen Namen nicht öffentlich nennen.
„Ich war eingeschüchtert von seiner Bildung und Wortgewandtheit“, sagt Simon Koch, wenn er an erste Gespräche mit dem Professor zurückdenkt. Umso mehr habe er sich über die „überraschend guten Noten“ gefreut, die er vom Professor bekam. Irgendwann habe der Professor angefangen, ihn und andere Studenten öfter in sein Büro oder auf einen Kaffee in der Mensa einzuladen und sie auf dem Handy anzurufen. Schnell seien die Gespräche über Uni-Inhalte ins „Private abgedriftet“, sagt ein anderer ehemaliger Student.
Studenten über ihr Sexualleben ausgefragt
Ein Dritter spricht davon, dass der Professor ihn phasenweise fast täglich über Whatsapp kontaktiert und etwa dreimal die Woche angerufen habe. Unter anderem soll der Professor ihn in den Gesprächen über seinen Beziehungsstatus und sein Sexualleben ausgefragt haben.
Die jungen Männer berichten davon, dass sie in „Wochen- oder Monatsmails“ ihren studentischen und privaten Fortschritt für den Professor hätten festhalten müssen. In seinem Protokoll an die Hochschulleitung schreibt Simon Koch, dass der Professor die geforderten Updates mit den Worten: „Sonst habe ich ja keine Handhabe über dich“, begründet haben soll. Alle erzählen, der Professor habe mit diesen Updates „nicht lockergelassen“, viele fühlten sich „unter Druck gesetzt“. In einem Telefonat soll er einen Studenten aufgefordert haben, beim nächsten Zusammentreffen vor seinen Augen 30 Liegestütze zu machen, sollte dieser seine Mail nicht rechtzeitig schicken. Ein anderer habe ihm regelmäßige Updates darüber schicken müssen, wie viele Liegestütze er am Tag schaffe.
Die Studenten porträtieren einen Mann, der durch Komplimente versucht, Vertrauen zu gewinnen. Einen, der immerzu von „fördern und fordern“ spricht, seinen Studenten Praktika oder Studentenjobs vermittelt. Anfangs habe man sich davon „geschmeichelt“ gefühlt, erzählen die jungen Männer. Bis der Professor noch einen Schritt weiter gegangen sei.
Studenten nach Hause eingeladen
Alle Studenten berichten in ihren Protokollen an die Hochschule oder in Gesprächen davon, der Professor habe sie, zum Teil mehrfach, zu sich nach Hause eingeladen. Mit der Begründung, über Studieninhalte sprechen zu wollen. Beim Professor angekommen, habe man zusammen gegessen. Schnell sei Bier, Wein, Whisky oder Gin-Tonic aufgetischt worden. „Zum Runterkommen“, habe der Professor gesagt, so Simon Koch. Die Gespräche seien dabei schnell „sehr persönlich“ geworden. „Irgendwann fragte er mich, ob ich mit ihm in seinem Bett schlafen möchte“, sagt Simon Koch. Er habe verneint und schließlich auf der Couch des Professors übernachtet.
Bei einem weiteren abendlichen Treffen in der Wohnung des Professors habe Koch diesem mitgeteilt, am nächsten Morgen früh raus zu müssen. Daraufhin soll der Professor ihn aufgefordert haben, vor seinen Augen 30 Liegestütze zu machen. Koch sagt, er habe das als eine Art Strafe wahrgenommen. „Mir wurde ganz schlecht, aber ich habe meinen Mut zusammengenommen und Nein gesagt.“ Weitere Studenten bestätigen unabhängig voneinander, Ähnliches in der Wohnung des Professors erlebt zu haben. Einer schätzt die Zahl der Einladungen auf zehn.
Studenten beschreiben ihn als kumpelhaft
Die Studenten beschreiben den Professor in ihren Berichten als jemanden, der bei privaten Treffen viel Alkohol trinkt, der sich auf „kumpelhafte“ Art und Weise nähert und die Grenzen Stück für Stück verschiebt. Einem Studenten habe er den Rücken massiert, einen anderen lange umarmt. Wieder einem anderen habe er durchs Gesicht gestrichen, mit seinen Händen sei er dessen Oberschenkel hochgefahren, habe ihn schließlich auf die Wange geküsst.
Warum haben sich Betroffene, teils mehrfach, auf derartigen Kontakt mit dem Professor eingelassen? „Ich habe anfangs in ihm einen Ansprechpartner gesehen, der mir weiterhilft, dem ich vertrauen kann“, sagt Simon Koch. Zudem geben die Studenten an, wissenschaftlich und beruflich von ihm profitiert zu haben. Zugleich fühlten sich viele von ihm „unter Druck gesetzt“. In dieser empfundenen Abhängigkeit wollten sie den Professor nicht enttäuschen.
„Nicht selten verliert er dann das Gesicht, fängt an zu schreien oder ignoriert einen tagelang“, fasst ein ehemaliger Student zusammen. Und ergänzt: „Es wurde suggeriert, dass es normal sei, dass der Prof nach Kneipenabenden auch schon mal bei den Studenten auf der Couch schläft.“ So habe der Professor nach einem solchen Abend auch auf seinem Sofa übernachtet. „Unangenehm wurde es allerdings, als er plötzlich nur in Boxershorts bekleidet vor mir stand und auf eine lange Umarmung bestand.“
Einige Studenten haben auch „aus Scham“ vor dem Erlebten ihre Anschuldigungen teils lange Zeit zurückgehalten. Irgendwann, so beschreiben es alle, hätten sie versucht, dem Professor aus dem Weg zu gehen. Genau wie Simon Koch suchten sich auch andere betroffene Studenten schließlich psychologische Hilfe.
Aus dem Hochschulumfeld ist zu vernehmen, dass sich einige der Vorfälle jüngst auch intern herumgesprochen haben. Eine Person, die viele Jahre mit dem Beschuldigten zusammengearbeitet hat, spricht von deutlich über zehn Studenten, die in jüngster Zeit ihr gegenüber ähnliche Vorwürfe gegen den Professor erhoben hätten.