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Landidylle in Gefahr?Immer mehr Nachbarn klagen gegen Lärm auf dem Land

Lesezeit 4 Minuten
Landwirtschaft

Symbolbild

  1. Die Geräuschkulisse von Hähnen oder Kühen auf dem Dorf sorgt oft für Ärger.
  2. Nun soll eine Petition Klarheit schaffen – vor allem mit Blick auf neue, klagefreudige Nachbarn

Kassel – Alles begann mit dem Hahn Flecko. Ein prächtiges Tier und der Stolz der Familie Stengel aus Hessen. Flecko aber machte, was Hähne von Natur aus eben so machen: Er krähte. Seinen Besitzern brachte das einen jahrelangen Rechtsstreit mit genervten Nachbarn ein, die ihre Ruhe forderten. Aus der juristischen Auseinandersetzung ging Familie Stengel letztlich als Sieger hervor, wollte es aber dann doch nicht darauf beruhen lassen.

Hahnenmutter Silvia Stengel hat eine Petition im Internet gestartet. Sie will „ortsübliche Emissionen“ – also Geräusche und Gerüche – des Landlebens als kulturelles Erbe geschützt wissen. Ihr Vorbild ist Frankreich: Dort hatte das Parlament im Januar ein Gesetz mit dem Ziel verabschiedet, das sogenannte sensorische Erbe der französischen Landschaften zu definieren und zu schützen. Das Umweltgesetzbuch stelle nun fest, dass die Geräusche und Gerüche, die Naturgebiete charakterisieren, Teil des gemeinsamen Erbes der Nation sind, so der Pariser Senat.

Silvia Stengel mit Hahn Flecko 

So oder so ähnlich sollte nach Auffassung Stengels auch der „Landlärm“ in Deutschland geschützt werden. Im Text zu ihrer Petition heißt es: „Leider gibt es auch in Deutschland immer mehr Menschen, denen die traditionellen Geräusche auf dem Land fremd geworden sind und so aller Alltagsstress und andere Probleme auf diese Geräusche projiziert werden.“ Das führe dann immer wieder zu langen Rechtsstreitigkeiten, die Gerichte belasteten. Der Fall ihres Hahnes Flecko dauerte immerhin drei Jahre, bis der Nachbar noch vor einem Urteil klein beigab.

Von krähenden Hähnen und zu lauten Glocken

Eine kurze Recherche im Internet zeigt, dass Flecko tatsächlich bei Weitem kein Einzelfall ist. Dutzende ähnlich gelagerte Streitigkeiten beschäftigen in der gesamten Republik die Justiz. Oft sind es krähende Hähne – aber auch Kuhglockengeläut war schon Thema.

Aber auch andere Klassiker des Landlebens wie der unangenehm riechende Misthaufen oder das noch unangenehmere Ausfahren der Gülle auf die Felder sind immer wieder Streitgegenstand. Stengel sagt: „Ich kann das einfach nicht verstehen. Die Menschen ziehen doch aufs Land, um möglichst nah an der Natur zu leben.“ Da gehöre der krähende Hahn eben dazu, ebenso wie die Kuhglocke oder der Misthaufen.

Was sagen Politik und Verbände?

Viele Politiker wollen das Thema wohl lieber im vorpolitischen Raum belassen und setzen auf die Verständigungskraft der Bürger. Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) teilt etwa mit, jede Region habe ihre spezifischen Gerüche und Geräusche. „Unabhängig vom Ort hängen diese Sinneseindrücke auch mit Heimatliebe und Traditionspflege zusammen.“ Das sollen wir uns bewahren, lautet ihre Empfehlung. „Und deshalb plädiere ich dafür, aufeinander zuzugehen, um diese Eigenheiten zu erhalten.“

Der Bauernverband als Spitzenorganisation der Landwirte hat indes Zweifel, ob sich das französische Modell übertragen lässt. Vize-Generalsekretär Udo Hemmerling meint, Gerüche und Geräusche, die von Bauernhöfen ausgehen, seien bereits heute durch geltende Regelungen geschützt. Er sagt aber auch: „Wir stellen häufiger fest, dass Landwirte in dörflichen Gebieten Beschwerden über ihre Tierhaltung erhalten, oft von Zugezogenen. Dabei gehören ein gewisser Lärm und Gerüche der Tiere einfach zum Landleben dazu.“

Ausdrücklich ausgenommen wissen will sie allerdings große Mastanlagen, in denen Tausende Schweine oder Hühner gehalten werden. Auch diese beschäftigen regelmäßig Gerichte, weil Bürgerinitiativen entsprechende Bauvorhaben verhindern wollen. Auch hier spielt die mögliche Geruchsbelästigung oftmals eine Rolle. „Solche Anlagen haben mit dem dörflichen Charakter nichts zu tun, den wir erhalten wollen“, sagt Stengel. Mehr als 25000 Unterzeichner hat sie mittlerweile versammelt. Der Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter hat sich ebenso angeschlossen wie der Zentralverband Deutscher Rassekaninchen-Züchter.

Auch die „Bauer sucht Frau“-Moderatorin und Sängerin Inka Bause ruft zum Unterzeichnen auf. Auf Facebook schreibt sie: „Wir lieben das Landleben, als Rückzugsort, als Insel, als Illusion, dass die Welt doch gesund und gut ist. Und nun wollen immer mehr Städter aufs Land ziehen, weil die Stadt zu teuer, zu schmutzig und zu laut ist.“ Doch dabei träumten sie von einem „Wolkenkuckucksheim“.“So ähnlich äußern sich viele weitere Unterstützer der Petition. Es scheint, die Fremden aus der Stadt brächten den Ärger aufs Land. Initiatorin Stengel ergänzt aus den Rückmeldungen, die sie bislang bekommen hat: Die Städter rückten dem Land zunehmend auf die Pelle. „Bei mir haben sich Landwirte gemeldet, neben deren Acker ein Baugebiet ausgewiesen wurde. Nun sehen sie sich mit neuen Nachbarn konfrontiert, die sich an den Emissionen stören.“

Geht es nach Stengel und ihren Mitstreitern, dann soll künftig von vornherein viel klarer als bislang geregelt sein, dass Klagen gegen „Landlärm“ keinen Erfolg haben werden. 50000 Unterschriften hat sich die Hessin zum Ziel gesetzt. Dann soll die Petition weitergereicht werden an die Politik. Was dann geschieht, ist noch nicht so ganz klar. Jedenfalls wäre das das nötige Quorum, damit sich der Petitionsausschuss des Bundestages mit dem Thema befasst.