Interview mit Autor der Corona-Studie„Es kann sich also niemand in Sicherheit wiegen“
Etwa ein Fünftel der Covid-19-Patienten, die von Ende Februar bis Mitte April 2020 in deutschen Krankenhäusern behandelt wurden, sind gestorben. Das geht aus einer aktuellen Studie mit rund 10.000 Patienten hervor. Mit Christian Karagiannidis, Leiter der Lungenintensivstation des Krankenhaus Köln-Merheim und einer der Autoren der Studie, sprach Sabrina Steiger.
Herr Prof. Karagiannidis, haben nach den Erkenntnissen der Studie alle Covid-19-Patienten in Deutschland während der ersten Welle die notwendige Behandlung bekommen?Ja, das ist ein sehr wichtiges Ergebnis der Studie für die Bevölkerung: Wir waren zu keinem Zeitpunkt in der Situation, dass wir Patienten nicht versorgen konnten. Aber sie belegt auch: Nicht nur die Älteren mit Vorerkrankung sterben, sondern auch relativ viele Jüngere, die vorher gesund waren. Wobei ich zu den Jüngeren auch die 60- bis 70-Jährigen zähle. Es kann sich also niemand in Sicherheit wiegen.
Trotzdem war die Sterblichkeit bei den über 80-Jährigen im Krankenhaus mit 38 Prozent am höchsten.
Das ist natürlich so. Sie sterben tatsächlich wahnsinnig schnell. Das heißt im Umkehrschluss, dass sie besonders geschützt werden müssen.
Wurden sie denn beatmet?
Wenn es therapeutisch sinnvoll erschien, ja. Allerdings zeigen die Zahlen auch sehr schön, dass offensichtlich mit den Menschen gesprochen wurde: Denn die Sterberate bei den Patienten über 80 ohne Beatmung liegt mit 34 Prozent recht hoch.
Was heißt das?
Normalerweise würde ein Patient, der einen kritischen Zustand erreicht, beatmet. Deshalb liegt die Sterblichkeit der nicht-beatmeten 60- bis 69-Jährigen nur bei 5 Prozent. Bei den Über-80-Jährigen haben Ärzte, Patienten und Angehörige besprochen, ob gegen Ende des Lebens wirklich alles technisch Mögliche noch gemacht werden muss.
Es lag also nicht an mangelnden Beatmungsplätzen?
Genau, das ist der große Unterschied zur Lombardei: Dort haben die Ärzte bei 75 Jahren einen Schnitt gemacht und nicht mehr beatmet.
Es gibt eine Diskussion, ob in Deutschland bei Covid-19 zu schnell intubiert wird. Dreiviertel der beatmeten Patienten erhielten laut Studie eine solche invasive Beatmung. Acht Prozent wurden nicht-invasiv, also mit Maske, beatmet. Was ist denn besser?
Darüber sagt die Studie nichts aus – eben weil es zu wenige Fallzahlen mit nicht-invasiver Beatmung gibt.
Wie halten Sie es in Merheim?
Wir fangen nicht-invasiv an, wenn die Patienten aber zu viel Sauerstoff benötigen, intubieren wir. In der Tat gab es zu Beginn der ersten Corona-Welle die Empfehlung der WHO, eher frühzeitig zu intubieren. Wir sind mittlerweile in Deutschland der Auffassung, dass der zeitliche Rahmen etwas weiter gefasst werden kann.
Wie lange bleiben die Patienten an der Beatmung?
Im Schnitt etwa doppelt so lange wie bei anderen Erkrankungen. Pro 100 stationäre Patienten fallen durchschnittlich 240 Beatmungstage an. Das muss die Politik bei der Planung für eine zweite Pandemie-Welle berücksichtigen.
Covid-19 galt bisher vor allem als Lungenkrankheit. 27 Prozent der beatmeten, also schwerkranken Patienten erlitten aber dazu noch akutes Nierenversagen.
Ja, das ist wohl wirklich eine Besonderheit dieser Erkrankung. Für uns Mediziner heißt das, die Nieren zu schützen. Es lässt sich sagen: Wer sich schwer krank fühlt, hohes Fieber hat und schlecht atmen kann, sollte frühzeitig ins Krankenhaus gehen – nicht erst, wenn er schon dehydriert ist. Und das Krankenhaus sollte über Intensivkapazitäten mit Beatmungs- und Dialysemöglichkeiten verfügen.
Also die Maximalversorger?
Nein, das haben auch die meisten mittelgroßen Krankenhäuser. Allerdings macht es bei dieser Krankheit Sinn, die Patienten in Schwerpunktkrankenhäusern zu behandeln. Denn für die richtige Beatmung rund um die Uhr braucht es erfahrenes Personal.