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ICE-Unglück von EschedeKatastrophe jährt sich zum 20. Mal – die Trauer bleibt

Lesezeit 4 Minuten
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In Eschede war am 3. Juni 1998 der ICE "Wilhelm Conrad Röntgen" wegen eines gebrochenen Radreifens aus den Gleisen gesprungen und an einer Brücke zerschellt. 101 Menschen kamen bei der Katastrophe ums Leben.

Eschede – Zum 20. Jahrestag des bislang schwersten Bahnunglücks in der Bundesrepublik Deutschland wird in Eschede am Sonntag (10.30 Uhr) eine Gedenkfeier organisiert.

Neben Überlebenden und Angehörigen werden dazu auch Bahn-Vorstandschef Richard Lutz und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erwartet. Auch aus dem Kreis der damaligen Einsatzkräfte haben sich Teilnehmer angekündigt. Zum Unfallzeitpunkt sind Schweigeminuten und eine verlangsamte Vorbeifahrt der Züge vorgesehen.

101 Menschen starben

Am 3. Juni 1998 kurz vor 11 Uhr entgleiste der Intercity-Express 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“ in der kleinen niedersächsischen Gemeinde.

Mit Tempo 200 prallte der ICE gegen eine Betonbrücke. 101 Menschen starben, 88 Reisende wurden schwer verletzt. Das Unglück dauerte nur 3,5 Sekunden.

Der Zug war auf dem Weg von München nach Hamburg. Ursache des Unglücks war ein gebrochener Radreifen, der sich an einer Weiche vor der Brücke verhakt hatte.

Den ersten der knapp 2000 Helfer boten sich furchtbare Bilder. Opfer lagen blutend und eingeklemmt in den zerstörten Waggons und unter den Betonmassen der eingestürzten Straßenbrücke. Andere Passagiere hatten sich retten können und irrten unter Schock am Unfallort umher. Die Bahn zahlte den Hinterbliebenen für jeden Toten 30.000 Mark Schmerzensgeld, umgerechnet etwa 15.000 Euro. Ein Strafverfahren gegen die Bahn und den Reifenhersteller wurde 2003 eingestellt.

Trauer bei den Hinterbliebenen

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25.05.2018, Niedersachsen, Göttingen: Gisela Angermann hält ein gerahmtes Foto ihres Sohnes in den Händen. Sie hat ihren Sohn bei dem Zugunglück von Eschede verloren.

Gisela Angermann hat ihren Sohn Klaus durch die Katastrophe verloren, der 29-Jährige wollte nach Hamburg.

„Ich habe den Fernseher angemacht und gehört, dass eine Brücke auf einen Zug gefallen ist“, schildert die 80-Jährige den verhängnisvollen Tag vor 20 Jahren.

„Dann kam meine Tochter und hat gesagt: „Mutter setz dich hin. Klaus war in dem Zug.“ Drei Tage nach dem Unglück haben sie im Krankenhaus die Maschinen abgeschaltet.“

Frau und Tochter verloren

Heinrich Löwen hat am 3. Juni 1998 Frau Christl (50) und Tochter Astrid (26) verloren. „Ich habe die beiden früh am Morgen zum Bahnhof gebracht“, sagt der ergraute Niederbayer. „Dann sind sie in Nürnberg in diesen Zug gestiegen“, erinnert er. „Es waren damals Ferien. Ich habe meine andere Tochter betreut, sie ist behindert.“ Am Mittag schaltet Löwen das Radio ein. „Es habe einen Zugunfall gegeben, hieß es zunächst nur. 

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Heinrich Löwen, Sprecher der Selbsthilfe Eschede, aufgenommen während einer Gedenkfeier anlässlich des 15. Jahrestags der ICE- Katastrophe.

Dann stiegen ständig die Opferzahlen.“ Ihm war nicht klar, ob es der Zug mit Frau und Tochter war. „Die angegebenen Telefonnummern waren besetzt, man war im höchsten Maß besorgt“, so Löwen.

Drei Tage später steht die Polizei vor der Tür, die Tochter ist tot. „Erst nach einer Woche habe ich erfahren, dass auch meine Frau tot ist“, sagt Löwen.

Drei Wochen nach der Tragödie gründet er die Selbsthilfegruppe der Hinterbliebenen.

„Es gibt eine Zeit vor Eschede und eine Zeit nach Eschede in meinem Leben. Das war eine persönliche Zeitenwende“, schildert Löwen die Folgen. „Im Alltag tritt es zwar in den Hintergrund, doch ist es immer wieder präsent. Auch an Jahrestagen wie dem bevorstehenden holt es einen wieder ein“, sagt er. „Das ist wie ein Phantomschmerz, es fehlt immer etwas. Eine intakte Familie wurde zerstört“, erklärt er. „Es war eine extrem harte und schwere Zeit. Da hat die Arbeit für die Selbsthilfe Eschede sehr geholfen, der Kontakt mit anderen Betroffenen. Man hat versucht, etwas zu tun.“ 

Entschuldigung folgte erst Jahre später

Hinterbliebene und Überlebende warfen der Bahn Fahrlässigkeit und Schlamperei vor. Bei der Zulassung der Radreifen sei die Belastbarkeit der Technik nicht ausreichend geprüft worden, später habe es trotz festgestellter Probleme Nachlässigkeiten bei der Wartung gegeben.

Erst am 15. Jahrestag 2013 entschuldigte sich der damalige Bahnchef Rüdiger Grube für das entstandene Leid. „Auch wenn wir dadurch nichts ungeschehen machen können, bitten wir Sie, unsere Entschuldigung anzunehmen, sie kommt wirklich von ganzem Herzen.“

Die Opfer hatten bis dahin vergeblich auf eine solche Geste gewartet. Zwischen Opfern und den Verantwortlichen der Bahn gab es lange Zeit tiefe Gräben. „Wir haben sicherlich auch Fehler gemacht. Wir bedauern die Geschehnisse in Eschede zutiefst“, sagte Grube vor fünf Jahren. (dpa)