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Verhütung gegen eigenen WillenTausenden Grönländerinnen ohne Wissen eine „Spirale“ eingesetzt

Lesezeit 3 Minuten
09.10.2023, Dänemark, Kopenhagen: Mette Frederiksen, Ministerpräsidentin von Dänemark

Mette Frederiksen Ministerpräsidentin von Dänemark spricht von einem "dunklen Kapitel in der dänischen Geschichte".

In den 60er und 70er-Jahren ließ der dänische Staat bei etwa 4500 Mädchen und Frauen die Spirale einsetzen. Nun gibt es eine Millionenforderung gegen Dänemark.

Lange unterdrücktes Leid: Die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen wurde nun mit einer Millionenforderung von 67 Grönländerinnen konfrontiert. Vor rund 50 Jahren wurde den Frauen teils ohne Wissen eine „Spirale“ als Verhütungsmittel eingesetzt. Die Folgen waren Beschwerden bis hin zur Unfruchtbarkeit, da das auch IUP genannte Medizinprodukt zu groß war.

Der dänische Staat ließ in der Zeit zwischen 1966 und 1970 bei etwa 4500 Mädchen und Frauen auf der arktischen Insel dieses Verhütungsmittel implantieren, um den Geburtenzuwachs zu begrenzen. Über die Zeit danach gibt es keine sicheren Daten. „Viele von uns gingen mit Schmerzen, inneren Blutungen und Infektionen zum Arzt und wurden nicht ernst genommen“, so Naja Lyberth, die mit 14 Jahren das Verhütungsmittel ohne Zustimmung eingelegt bekam. Sie möchte eine Kompensation und Anerkennung des Leids.

Trauma lange verheimlicht

Lyberth, Jahrgang 1962, ist die Initiatorin der Forderung von umgerechnet 2,6 Millionen Euro. Für die studierte Psychologin seien die Spirale und die Folgen das „schlimmste Trauma“ gewesen, welches sie jahrzehntelang verheimlicht habe. Erst im Jahr 2017 berichtete sie via Facebook über ihre Erfahrungen, andere Frauen stießen hinzu, die teils davon berichteten, dass die Spirale ohne ihr Wissen bei einer Untersuchung eingesetzt wurde.

Der öffentlich-rechtliche Sender „Danske Radio“ veröffentlichte im Jahr 2022 eine Podcast-Reihe, die sich mit den Praktiken der illegal umgesetzten Verhütung befasste, welche Mädchen angeblich ab zwölf Jahren betraf. Die grönländische und die dänische Regierung einigten sich daraufhin auf eine gemeinsame Untersuchung der Fälle.

Mette Frederiksen, welche im Juni in der grönländischen Hauptstadt Nuuk von Lyberth und anderen betroffenen Frauen konfrontiert wurde, räumte ein, dass es „ein dunkles Kapitel“ der dänischen Geschichte sei. Sie wolle jedoch zuerst die Ergebnisse der Untersuchung abwarten. Damit ist jedoch erst 2025 zu rechnen.

Betroffene schon um die achtzig Jahre alt

Zu lange, wie Lyberth meint, da einige Frauen inzwischen bereits um die achtzig Jahre alt seien.

Sollte die Regierung nicht zahlen wollen, werde man klagen. „Ich will meine Seele dekolonisieren“, formuliert es die Aktivistin. Es gebe weitere Frauen, die sich den Forderungen anschließen wollten.

Der Skandal um die Spirale ist nicht der einzige Konflikt zwischen der einstigen Kolonialmacht Dänemark und der arktischen Insel, die eine komplette Unabhängigkeit anstrebt. Derzeit wird die Außen- und Sicherheitspolitik von der Regierung in Kopenhagen mitbestimmt.

Inuit sollten modernisiert werden

Bis 1953 war Grönland eine dänische Kolonie, danach wurde sie Teil des dänischen Staates. Damit begann jedoch für viele der Einwohner die eigentliche Kolonisierung. Denn die Regierung in Kopenhagen wollte die Menschen, welche zu der Volksgruppe der Inuit zählen, und ihr Umfeld modernisieren. Dabei wurden viele Maßnahmen umgesetzt, um die Traditionen der Inselbewohner aufzubrechen und dem urbanen Lebensstil anzupassen.

Dies rief jedoch auch Widerstand auf den Plan – im Jahr 1979 konnten die Grönländer eine Teil-Unabhängigkeit durchsetzen.

Es ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte Dänemarks.
Mette Frederiksen Ministerpräsidentin von Dänemark

In diesem Jahr setzte Dänemark nach Kritik der Uno auch seine Praxis ab, Minderjährige in Grönland die Spirale aufzudrängen. Die Praxis soll jedoch weit darüber hinaus weiter betrieben worden sein, auch dies ist Gegenstand der Untersuchung.

Und die Geister der Vergangenheit ruhen nicht. Belastend für das Verhältnis zwischen Nuuk und Kopenhagen sind darüber hinaus auch Missbrauchsfälle in Kinderheimen in der Nachkriegszeit, die Zwangs-Kinder-Verschickung nach Dänemark sowie die bis zum Jahr 1974 geltende fehlende Berechtigung unehelicher grönländischer Kinder, von ihrem Vater zu erfahren.