Mehrere Millionen Pfund Beute, Fingerabdrücke an einem Monopoly-Brett und Flucht an die Copacabana: Der legendäre Postraub in Großbritannien jährt sich am Dienstag zum 60. Mal.
„Great Train Robbery“Wie ein Bahn-Postraub in Großbritannien zur Legende wurde

Die Bridego Railway Bridge in Ledburn bei Mentmore in Buckinghamshire, wo am 08.08.1963 der Postzug überfallen und ausgeraubt worden ist, der auf dem Weg von Glasgow nach London unterwegs war.
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Eine Bande von 15 Kriminellen legt sich an dem Tag im Jahr 1963 nach minuziöser Planung an einer Eisenbahnbrücke in der Grafschaft Buckinghamshire auf die Lauer. Ihr Ziel: der Postzug von Glasgow nach London. Die Räuber haben in Erfahrung gebracht, dass darin säckeweise Banknoten transportiert werden. Deren Wert wird in heutiger Kaufkraft auf 45 bis 60 Millionen Pfund geschätzt.
Der Trick ist denkbar einfach. Die Verbrecher manipulieren die Signalanlage. Das grüne Licht wird überdeckt und stattdessen das rote Stopp-Signal mithilfe einer Batterie zum Leuchten gebracht. Der Lokführer bringt den Zug zum Stehen. Jetzt schlagen die Gangster zu.

Das von der Thames Valley Polizei am 07.08.2013 herausgegebene undatierte Handout zeigt sichergestellte Geldbündel vor einer Tasche von Mitgliedern der Bande, die an dem Überfall auf den Zug von Glasgow nach London beteiligt waren.
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Der Lokführer wird mit einem Schlag auf den Kopf überwältigt. Dann laden sie die Säcke in Fluchtfahrzeuge und machen sich davon. Ein Bauernhof in der Nähe dient als Versteck – dort teilen sie die Beute auf.
Räuber erhalten Robin-Hood-Status
Der gelungene Coup wird schnell zur Legende. Trotz des skrupellosen Vorgehens – der Lokführer erholt sich nie wieder von den psychischen Folgen des Überfalls – genießen die Räuber bald eine Art Robin-Hood-Status, wie Steve Gaskin erzählt. Der frühere Scotland-Yard-Detective führt Besucher bei Pub-Abenden durch die Geschichte des „Great Train Robbery“. Die Star Tavern im Londoner Stadtteil Belgravia, so ist Gaskin überzeugt, war früher ein Treffpunkt der Zugräuber. Die Story von den tollkühnen Räubern macht auch in Deutschland Schlagzeilen. Schon drei Jahre nach der Tat läuft im deutschen Fernsehen eine dreiteilige Fernsehserie mit dem Titel „Die Gentlemen bitten zur Kasse“. Die Rolle des Masterminds Bruce Reynolds – allerdings unter anderem Namen – spielt Horst Tappert, der später vor allem durch die Serie „Derrick“ in Erinnerung geblieben ist. Auch Hörspiele werden produziert. Zum 50. Jahrestag sendet die BBC eine zweiteilige Neuverfilmung.

- Ein beschädigter Waggon des Postzugs, der von Glasgow nach London unterwegs war und überfallen und ausgeraubt wurde.
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Für die meisten Räuber währt die Freude über den Geldsegen nicht sehr lange. Zwölf von ihnen werden bald gefasst und teilweise zu bis zu 30 Jahren Haft verurteilt. Zu ihrer Ergreifung führen unter anderem Fingerabdrücke an einem Monopoly-Spielbrett, das sie an ihrem Versteck zurücklassen. Doch es ist auch eine Geschichte von Verrat und undurchsichtigen Verbindungen zwischen Polizei und Unterwelt. Der größte Teil des Geldes taucht nie wieder auf.
Ronnie Biggs erlangt Berühmtheit
Mehreren Verurteilten gelingt später die Flucht aus dem Gefängnis. Berühmtheit erlangt dabei vor allem Ronnie Biggs. Der spielt beim eigentlichen Raub nur eine kleinere Rolle – trotzdem bekommt er 30 Jahre Haft aufgebrummt. Doch schon 1965 gelingt ihm der Ausbruch. In Paris unterzieht er sich einer Gesichtsoperation. Zunächst flieht er mit seiner Familie nach Australien. Als ihn die Behörden dort aufspüren, zieht er alleine weiter nach Brasilien.
In Rio de Janeiro baut sich Biggs das Image eines Lebemanns auf, der Cocktails trinkend der britischen Obrigkeit den Stinkefinger zeigt. Das macht ihn zum Symbol der Punk-Bewegung. Die Sex Pistols nehmen 1978 mit ihm den Song „No One Is Innocent“ auf. Anfang der 80er-Jahre wird er von ehemaligen britischen Soldaten entführt und auf die Bahamas gebracht. Doch mangels Auslieferungsabkommen darf er wieder nach Brasilien zurückkehren. Vom Rebellen-Image des Posträubers Biggs lassen sich sogar die Toten Hosen inspirieren, die 1991 den mit Biggs aufgenommenen Song „Carnival In Rio“ veröffentlichen. Im Musikvideo sind Campino und Co. mit Biggs Fußball spielend und zechend an der Copacabana zu sehen.
Schlagzeuger Michael Breitkopf („Breiti“) bleibt mit Biggs bis zu dessen Tod befreundet. Im dpa-Gespräch vor einigen Jahren sagt er, der Brite habe sich vor allem in die Öffentlichkeit gedrängt, weil er in Brasilien nicht arbeiten durfte. „Dadurch sah es nach außen immer so aus, als würde er den britischen Behörden noch zusätzlich dazu, dass sie nicht an ihn rankamen, den Stinkefinger hinhalten.“ Kurz nach Biggs Tod hatte er dem „Spiegel“ aber erzählt, der Brite habe auch die Ader zur Provokation gehabt. „Für einen blöden Spruch war er immer zu haben.“
2001 kehrte Biggs in seine Heimat zurück. Doch die Hoffnung, man könne ihn begnadigen, ging nicht auf. Biggs wurde direkt nach seiner Ankunft verhaftet und erst 2008 – schwer krank – aus der Haft entlassen. Gelohnt, so resümiert der frühere Scotland-Yard-Detective Gaskin, habe sich der Raub wohl für kaum einen Beteiligten. (dpa)