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Nur ein Feigenblatt des Systems?Geistlicher im Iran ist Social-Media-Star

Lesezeit 2 Minuten
Erfan Chasai, Geistlicher und Bodybuilder, steht in einem Park.

Erfan Chasai gehört zu einer neuen Generation islamischer Geistlicher. Der Theologe rappt, modelt und trainiert.

Im Iran geht ein junger Kleriker einen ungewöhnlichen Weg: Kritik an der Regierung vereint er mit islamischer Lehre.

Erfan Chasai parkt seinen Wagen vor dem Fitnessstudio, aus den Boxen läuft Rap-Musik. Er dreht den Schlüssel ab, greift nach seiner Sporttasche. Ein Kleriker, der rappt, trainiert und modelt – und trotzdem hinter dem System steht? In Irans Gesellschaft, die Geistlichkeit als unantastbare Autorität oder als überflüssiges Relikt betrachtet, bewegt sich der 28 Jahre alte Chasai auf einem schmalen Grat: von jungen Anhängern gefeiert, von Traditionalisten und Regierungsgegnern verachtet.

Schmaler Grat zwischen Staat und Religion

Es ist ein milder Februarmorgen in Teheran, als Chasai von seinem Weg erzählt. „Ich habe Follower, die vielleicht nicht an den Islam glauben, aber sich wegen meines Lebensstils für mich interessieren“, sagt er. Mit 20 entschied er sich nach dem Wehrdienst für die Theologie – eine Wahl, die in seinem Umfeld für Verwunderung sorgte. Heute ist er auf Instagram ein kleiner Social-Media-Star. Sein Ziel: den Islam nicht predigen, sondern vorleben.

Geistliche wie Chasai, die einen modernen Zugang zur Religion suchen, stehen von allen Seiten unter Beschuss. Für Regierungsgegner sind sie bloß ein Feigenblatt des Systems, für radikale Religiöse eine Bedrohung der Tradition. „Sie sagen, Sport sei verderblich, weil er den Körper entblößt und zur Schau stellt“, erzählt Chasai. Besonders in den sozialen Medien wird er attackiert: Unter seinen Instagram-Posts werfen ihm vor allem Hardliner vor, sich westlichen Einflüssen anzupassen.

Erfan Chasai, Geistlicher und Bodybuilder, trainiert im Fitnessstudio.

„Ich habe Follower, die vielleicht nicht an den Islam glauben, aber sich wegen meines Lebensstils für mich interessieren“, sagt Erfan Chasai. Er will Religion vorleben.

Statt auf Zwang setzt Chasai auf Dialog. „Junge Menschen akzeptieren nichts, was ihnen aufgezwungen wird. Um sie für die Religion zu begeistern, muss man sich anpassen, mit ihnen auf Augenhöhe sprechen“, sagt er. Die harte Linie der Sittenpolizei hält er für den falschen Weg. Statt repressiver Maßnahmen fordert er „kulturelle Arbeit“ und die Ausbildung moderner Theologen – nicht mit Verboten, sondern mit Vorbildern soll der Islam die junge Generation erreichen.

Chasai kritisiert iranische Sittenpolizei

Chasai steht fest hinter dem System, doch die Regierung kritisiert er scharf. „Unsere Religion ist politisch und kann nicht davon getrennt werden“, sagt der junge Geistliche, der inzwischen als Profi im Nationalteam Sport treibt. Während viele junge Iraner die Geistlichkeit als Teil des Problems sehen, hält er die Balance: Treue zum Religionsführer, Distanz zur Regierung – die er für die Wirtschaftskrise verantwortlich macht.

Ob seine Botschaft ankommt, bleibt offen. Während Chasai nach Wegen sucht, junge Menschen für den Glauben zu gewinnen, haben viele längst andere Prioritäten: Sie kämpfen mit Perspektivlosigkeit oder planen die Ausreise. Für sie sind Religion und Politik vor allem eines – eine ferne Debatte, die an ihrem Alltag kaum etwas ändert. (dpa)