Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Filme über Christine ChubbuckModeratorin erschoss sich vor laufender Kamera

Lesezeit 3 Minuten

Ein tragisches Ende mit 29 Jahren: Christine Chubbuck.

Washington – Heute bräche Christine Chubbuck sehr wahrscheinlich binnen weniger Stunden sämtliche Klickrekorde im Internet. Vor bald 42 Jahren aber hatten viele Amerikaner nicht einmal einen Videorekorder. Darum löste der Selbstmord der Fernsehmoderatorin aus Florida vor laufender Kamera nur kurz Entsetzen aus. Danach verschwand die Tragödie in der Versenkung. Jetzt rücken zwei Kinofilme die bis heute unfassbare Verzweiflungstat neu ins Licht.

"Im Einklang mit der Tradition von Kanal 40, Ihnen die neuesten Blut- und Ekelnachrichten live und in Farbe zu bringen, erleben sie jetzt eine weitere Premiere: versuchten Selbstmord." Der Satz, den Christine Chubbuck in aller Seelenruhe am Morgen des 15. Juli 1974 live in einem TV-Studio in Sarasota sprach, leitete einen der grässlichsten Momente in der US-Fernsehgeschichte ein.

Nur Sekunden später griff die beliebte Nachrichtenfrau des Senders WXLT-TV unter ihr Pult, setzte sich einen Revolver Kaliber 38 hinter das rechte Ohr und drückte zum Entsetzen der Regie ab. 15 Stunden später erlag die 29-Jährige, die mit ihren dunklen Haaren und den weichen Gesichtszügen an die junge Joan Baez erinnerte, ihren Verletzungen. Depressionen und ein missratenes Privatleben seien nicht die einzigen Ursachen für die Tat gewesen, sagte später ihre Mutter. Christine Chubbuck war verzweifelt über die Sensationsgier ihres Senders.

In "Christine" liefert die britische Schauspielerin Rebecca Hall eine beeindruckende fiktionale Verdichtung des Lebens der Christine Chubbuk. In der experimentellen Dokumentation "Kate spielt Christine" wird dagegen gezeigt, wie sich eine Schauspielerin (Kate Lyn Sheil) darauf vorbereitet, die Moderatorin zu verkörpern. Dazu recherchiert sie an Originalschauplätzen, spricht mit ehemaligen Kollegen der Toten. Beide Filme gehen unter die Haut und lösten jüngst bei der Premiere auf dem Sundance-Festival in Utah Betroffenheit, Beklemmung und Begeisterung aus.

So war es auch 1976, als Regisseur Sidney Lumet, angeblich inspiriert durch den Fall Chubbuck, die zynische Produktionslogik der US-Kabelsender aufspießte: In "Network" kündigt der wegen gesunkener Einschaltquoten gefeuerte Nachrichtenmoderator Howard Beale in seiner Sendung an, sich vor laufender Kamera umzubringen. Als die nächste Folge alle Einschaltrekorde bricht, verschiebt Beale seinen Suizid und wird zur Kultfigur einer neuen Show, die eine ehrgeizige Programmchefin (Faye Dunaway) um ihn herumbaut. Am Ende stirbt er trotzdem - gemeuchelt von Terroristen, die von Beals Vorgesetzten gedungen waren.

Depressionen und viele Gerüchte

Christine Chubbuck wuchs in einem behüteten Elternhaus in Cleveland/Ohio mit zwei Brüdern auf. Mit 16 erlebte die gute Schülerin, begeisterte Flötenspielerin und Kajaksportlerin ihre Schlüsselkrise. Ihr Freund starb bei einem Autounfall. Chubbuck studierte Radiojournalismus in Boston, nahm Jobs in verschiedenen Sender an, landete schließlich in Florida, wo sie sich mit ihren Vorgesetzten über die journalistischen Maßstäbe ihrer Arbeit stritt. Dass Chubbuck an schwersten Depressionen litt, dass sie mit 29 noch Jungfrau war und sich vergebens nach einer Beziehung sehnte, dass sie sich als Außenseiterin empfand, ging am Arbeitsplatz unter. Selbst als sie kurz vor dem tödlichen Schuss eine umfangreiche Recherche über Selbstmord erledigte und dabei einen Sheriff fragte, wie man sich am effektivsten eine Kugel in den Kopf jagt, wurde niemand hellhörig.

Um Amerikas ersten und bis heute letzten Livesuizid ranken sich viele Gerüchte. So soll es nur eine Kopie des Videos geben, in dem die tragischen Sekunden festgehalten sind. Mal hieß es, die Polizei besitze das Band. Dann wieder wird die Witwe des verstorbenen Senderchefs Robert Nelson als Hüterin des Dokuments angeführt. Bis heute ist es nie öffentlich geworden. Niemand hat es gesehen. "Und das wird so bleiben", wie Chubbucks Bruder Greg sagt.

In "Christine" gelingt es den Filmemachern, die Verzweiflungstat nicht als makabren Akt des Heroischen erscheinen zu lassen. Am Ende sympathisiert der Zuschauer unter Tränen mit einer gebrochenen Frau, die nichts als leben wollte. Die aber niemand rechtzeitig aus ihrem Psychogefängnis befreien konnte.