Denkpause fürs Krawall-TVWie der Tod von Willi Herren die Reality-Welt verändert

Willi Herren war in diversen Trash-Formaten zu sehen.
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Berlin – Nach Willi Herrens Tod ging alles ganz schnell. Kaum mehr als eine Stunde brauchte Sat.1 nach der ersten Meldung, um „Promis unter Palmen“ abzusetzen – das Trash-Format also, in dem der Schauspieler gerade noch zu sehen war. Acht Episoden waren vorproduziert worden; nur zwei wurden ausgestrahlt. Mehr kommt nicht. Am Montag, den 26. April, hätte es weitergehen sollen. Stattdessen läuft jetzt die Krimikomödie „Vier gegen die Bank“.
Eine starke und teure Geste
Eine starke Geste, nicht zuletzt, weil sie teuer sein dürfte. Sat.1 verzichtet auf die Werbeeinnahmen von sechs Primetime-Abenden, mit denen die Show und ein flankierender Talk den Etat einspielen sollten. Die Entscheidung erntet viel Anerkennung. Unter einer Traueranzeige, die der Sender auf Instagram veröffentlicht, findet sich aber auch Kritik. Herren, meinen vieler Fans, war die geborene Rampensau. Wenn er etwas nicht gewollt hätte, dann das Ende seiner eigenen Show.
Natürlich weiß niemand, was der Tote gewollt hätte. Und es ist ja auch schon viel, wenn Sat.1 mit dem Aus auf die Gefühle der Angehörigen Rücksicht nimmt. Was man über Willi Herren aber auf jeden Fall sagen kann: Das Entertainment, das ihm zu Ehren jetzt eine Denkpause einlegt, war tief in seinem Leben verankert, nicht nur diese Show – der ganze Reality-Zirkus. Der Kölner war immer dabei, wenn im Fernsehen etwas den C-Promi im Titel trug. Und zwischen den Shows verlängerte er den Fernsehruhm auf Mallorca-Partys als Gesangsmalocher.
Das Privatleben im Öffentlichen
Auch der Lebensentwurf dahinter war archetypisch: Die Abstürze und Drogenbeichten, Trunkenheitsfahrten, öffentliche Beziehungskrisen – das alles war nie nur Privatleben, sondern auch eine Fortsetzungsgeschichte. Der 45-jährige Entertainer war immer beides zugleich: ein echter, vielleicht sogar ein besonders echter und nahbarer Mensch – und eine Figur, deren Schicksal wir als Seifenoper mitverfolgten.
Straucheln als Schauwert: Mit dem Reality-Boom ist das zu einem Berufsbild geworden. Willi Herren hat es von Anfang an mitgeprägt: Als Finalist der zweiten Dschungelcamp-Staffel gehörte er zur Gründungsgeneration der Show, die Tonfall und Wahrnehmung des ganzen Genres definierte. Das Großmachen durch Auslachen, die Ironie, das Verschmelzen von Wirklichkeit und Inszenierung: Mit alldem schaffen Reality-Formate einen merkwürdigen Flimmerzustand. Die Empörung der ersten Jahre hat die Shows wohl oft zu ernst genommen.
„Promis unter Palmen“ geht an die Grenzen
Später kippte es, und auf einmal war alles Witz und Übertreibung. Warum auch sollte man die falschen Gefühle noch ernstnehmen, wenn die wahren Absichten dahinter so offensichtlich sind? Ein Format, das hier besonders weit geht, ist „Promis unter Palmen“. In der ersten Staffel war Désirée Nick mit dabei. Im finalen Palmen-Talk verklärte sie ihren Auftritt als Kunst auf der Höhe der Zeit. Ihr Kandidaten-Kollege Matthias Mangiapane erläuterte in der gleichen Runde das Selbstverständnis der Reality-Szene: „Was im Format gesprochen wird, bleibt im Format.“ Alles nur Show also. Niemand wird wirklich verletzt.
Aus diesem Gefühl heraus machte Sat.1 „Promis unter Palmen“ zur bis dahin lautesten Reality-Show. Und schon in der ersten Staffel ging’s schief. Das Publikum, anfangs froh über die Lockdown-Ablenkung, echauffierte sich am Ende über zu viel Gehässigkeit. Und bei der Siegerehrung durfte ausgerechnet der Gewinner nicht mehr mitmachen: Von Bastian Yotta waren während der Ausstrahlung Videos aufgetaucht, die den sexuellen Übergriff predigten.
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Staffel 2 setzte nun alle Probleme fort. Sat.1 hatte Marcus Prinz von Anhalt engagiert, einen Ex-Zuhälter und verurteilten Menschenhändler. Als er homophob vom Leder zog, musste Sat.1 schon wieder Abbitte leisten und auch ihn verbannen. Vor fünf Jahren hatte der Mann bei Sat.1 noch mit sexueller Ausbeutung geprahlt und war dafür als frecher Filou dargestellt worden. Eine #MeToo-Bewegung später lassen sich derart hässliche Wirklichkeiten nicht mehr weglachen. Und nach dem Tod Willi Herrens ist es mit der Ironie jetzt ganz aus.
Behutsam darf man hoffen, dass sich die Eklats nicht so bald wiederholen. Der neue RTL-Chef hat als ersten Dienstakt Dieter Bohlen verabschiedet. Ein Zeichen, dass RTL Aggression und Erniedrigung nicht mehr lustig finden will. Und nun setzt Sat.1 „Promis unter Palmen“ ab. Sechs Abende fällt das Format jetzt aus. Sechs Wochen hält das Trash-TV inne. Vielleicht ist die Zeit der besinnungslosen Ironie danach ja erst einmal vorbei.