Corona-Impfstoff mit RückschlagWie es nach der Curevac-Enttäuschung nun weitergeht
- Die Erwartungen an den Corona-Impfstoff des Tübinger Unternehmens Curevac waren hoch und sind nach den nun vorgelegten Ergebnissen zerplatzt.
- Die Hoffnungen ruhen nun auf der zweiten Generation des Vakzins.
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie kann der Impfstoff des Tübinger Biotech-Unternehmens Curevac in absehbarer Zeit nicht helfen. Die Wirksamkeit des Impfstoffkandidaten fällt deutlich geringer aus als bei bereits zugelassenen Impfstoffen. Eine EU-Zulassung für das Präparat des Unternehmens, an dem auch der Bund beteiligt ist, ist somit erst einmal nicht absehbar.
Wirksamkeit von 47 Prozent erreicht
Grund für die Enttäuschung ist eine Pflichtbörsenmitteilung von Curevac vom Mittwochabend. Darin gibt das Unternehmen, das mit dem Pharmakonzern Bayer kooperiert, bekannt, dass sein Impfstoff einer Zwischenanalyse zufolge eine vorläufige Wirksamkeit von 47 Prozent gegen eine Covid-19-Erkrankung „jeglichen Schweregrades“ hat. Die vorgegebenen statistischen Erfolgskriterien seien nicht erfüllt. Bei den anderen in der EU zugelassenen Präparaten liegt der Wert deutlich höher.
Den vergleichsweise niedrigen Wert begründete das Unternehmen am Donnerstag mit neuen Virusvarianten. „Wir bekämpfen eigentlich ein anderes Virus“, sagte Vorstandschef Franz-Werner Haas. So sei der Wildtyp des Coronavirus bei der Zwischenanalyse in weniger als einem Prozent der Infektionsfälle nachgewiesen worden. Alle anderen Infektionen entfielen auf neuere Virusvarianten.
Der Curevac-Impfstoffkandidat CVnCoV ist schon seit Dezember in der finalen und zulassungsrelevanten 2b/3-Studienphase. Anfang Juni hieß es, das Unternehmen erwarte – abhängig von den klinischen Studiendaten – die Zulassung seines Impfstoffs in der EU bis Ende des Monats. Kurz darauf wurde bekannt, dass sich das Verfahren weiter verzögern werde. Bereits im Februar hat die EU-Arzneimittelagentur EMA ein beschleunigtes Prüfverfahren für den Impfstoff gestartet.
Keine Auswirkungen auf Impfkampagne
Das Curevac-Präparat ist Teil der EU-Impfstoffstrategie, über die auch Deutschland seine Dosen bezieht. Die Bundesregierung sieht die deutsche Impfkampagne dennoch nicht gefährdet. „Eine Auswirkung auf das Tempo unserer Impfkampagne hat diese Mitteilung nicht“, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums am Donnerstag. Auch die EU-Kommission geht weiter davon aus, dass bis Ende Juli genügend Impfdosen geliefert werden könnten, um den EU-Staaten die Impfung von 70 Prozent ihrer erwachsenen Bevölkerung zu ermöglichen, wie ein Sprecher sagte. Das Gesundheitsministerium rechnet derzeit nicht mehr mit Lieferungen von Curevac, wie aus einer Lieferübersicht im Internet hervorgeht. Ursprünglich hatte der Bund allerdings auch diesen Impfstoff eingeplant. Nach Lieferprognosen vom März erwartete das Gesundheitsressort für das gesamte Jahr 323,7 Millionen Impfdosen – 24,5 Millionen davon sollten von Curevac kommen.
Curevac für den internationalen Einsatz
Das Präparat von Curevac ist auch ein Kandidat der internationalen Impfstoffallianz CEPI, einer Zusammenarbeit zwischen Weltgesundheitsorganisation (WHO), Regierungen, Stiftungen und Forschungseinrichtungen. Ein vereinbartes CEPI-Budget zur Forschung und Entwicklung von Curevac betrug 15,3 Millionen Dollar. Zur Vereinbarung gehörte auch, dass Curevac dem solidarischen Impfprogramm Covax einen Teil seiner Produktion verkauft und nicht nur bilaterale Verträge schließt. Covax soll vor allem die faire Verteilung der Corona-Impfstoffe in aller Welt gewährleisten. CEPI reagierte enttäuscht auf die Nachrichten aus Tübingen. „Das zeigt, was für eine Herausforderung die Entwicklung eines Impfstoffs sein kann.“ Die Pandemie sei längst nicht vorbei. Es sei wichtig, die Forschung weiter zu fördern, um dem Virus und möglichen Varianten immer einen Schritt voraus zu sein.
Beteiligung des Bundes und Talfahrt an der Börse
Der Bund war im vergangenen Jahr über die Aufbaubank KfW mit 300 Millionen Euro bei Curevac eingestiegen. Derzeit hält Berlin laut KfW einen Anteil von 16 Prozent. Das Wirtschaftsministerium stellte am Donnerstag klar: „Mit der Beteiligung an Curevac verfolgte und verfolgt die Bundesregierung gesundheits- und industriepolitische Ziele.“ Es gehe nicht nur darum, mehr Impfstoffproduktion in Deutschland und Europa anzusiedeln, sondern auch um Forschung. Für die mRNA-Technologie, die auch bei den Impfstoffen von Moderna und Biontech/Pfizer zum Einsatz kommt, gebe es viele Anwendungsbereiche, etwa in der Krebsbekämpfung, betonte eine Sprecherin. Der Börsenwert von Curevac stürzte am Donnerstag massiv ab. Der Anteilsschein notierte am Mittag im Xetra-Handel bei rund 43 Euro, das ist ein Minus von 40 Prozent. Im Tagestief war es sogar um mehr als 50 Prozent auf gut 39 Euro abwärts gegangen, womit ein Rekordtief nur knapp vermieden wurde.
Finale Analyse in den nächsten Wochen
Curevac will in den nächsten zwei bis drei Wochen die finale Analyse von mehr als 200 Infektionen abschließen. „Die endgültige Wirksamkeit könnte sich noch verändern“, teilte Haas mit. Ein Sprecher des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa) dämpfte die Erwartungen an eine deutliche Zunahme der Wirksamkeit jedoch. Die Effizienz eines Impfstoffes könne nach der Zwischenauswertung bis zur finalen Zulassung noch um wenige Prozent steigen. „Eine enorme Zunahme ist aber nicht zu erwarten.“ Hoffnung setzt der Sprecher nun vor allem auf die zweite Generation des Curevac-Impfstoffkandidaten. Diese verfüge über eine grundlegende Veränderung im Aufbau des Präparats.
Nach EMA-Angaben haben die Zwischenergebnisse vorerst keine Folgen für das laufende Prüfverfahren. Eine harte Mindestgrenze bei der Wirksamkeit gebe es nicht, hieß es am Donnerstag. Bei klinischen Studien werde zwar von einer Mindestgrenze von 50 Prozent Wirksamkeit ausgegangen. Aber vor allem im Zusammenhang mit neuen Virusvarianten müsse man die Daten sehr gut prüfen und Vorzüge gegen Nachteile abwägen. Vor einer Bewertung müssten alle Ergebnisse vorliegen.
KOMMENTAR: Eine echte Enttäuschung
Corinna Clara Röttker zu Curevac
Für den Impfstoffhersteller Curevac ist es der Worst Case: Galten die Tübinger einst als großer Hoffnungsträger und sicherten sich gar eine 16-prozentige Beteiligung des Bundes, fielen sie im Rennen um die Zulassung erster Corona-Impfstoffe mit der Zeit immer weiter zurück − und jetzt entpuppt sich ihr Präparat gar als nicht wirksam genug. Eine Zulassung rückt damit in weite Ferne. Selbst wenn sich die Wirksamkeit in weiteren Studien noch leicht bessern sollte, in der laufenden Impfkampagne wird Curevac wohl keine Rolle mehr spielen. Für das Unternehmen mutiert der Wirkstoff damit zum Flopp. Die Aktie stürzte bereits ab, binnen weniger Minuten wurden rund acht Milliarden Euro Börsenwert vernichtet.
Ohnehin waren andere Hersteller Curevac um Längen voraus - finanziell wie organisatorisch. Während zahlreiche Konkurrenten ihre Vakzine längst auf den Markt gebracht haben, sammelten die Tübinger noch Daten. Sie wollten es besonders gut machen, nicht den ersten, dafür aber den besten Impfstoff liefern. Kann man ihnen das vorwerfen? Nein. Doch wenn sie sich schon mehr Zeit nehmen, dann ist eine 47 prozentige Wirksamkeit am Ende eine echte Enttäuschung. Zum Vergleich: Moderna und Biontech, die deutlich schneller auf dem Markt waren, gehen von einer bis 95-prozentigen Wirksamkeit ihrer Impfstoffe aus.
Leidtragende sind wie so oft die Steuerzahler sowie Privatanleger, die ihr Geld in die Aktie angelegt hatten. Das Risiko aber muss allen Beteiligten klar gewesen sein. Scheitern ist schließlich bei allen Impfstoffentwicklern eine realistische Option.