Eine Startauflage von 200000 Exemplaren: Prinz Harrys Autobiografie „Reserve“ ist da. Vor den Buchhandlungen gab es mancherorts Warteschlangen, wie einst bei Harry Potter. Ein etwas anderer Blick in und auf das Buch, über dessen Inhalt in den vergangenen Tagen schon so viel gesprochen und geschrieben wurde.
Buch „Reserve“ im HandelWas taugen Prinz Harrys Memoiren?
Das Cover
Man muss Prinz Harry mögen, um dieses Cover zu ertragen. Denn es zeigt nichts als ihn, den Rotschopf mit einem Blick, der einen in Zweifel stürzt. Konzentriert oder selbstbezogen? So ganz genau weiß man das nicht. Das Signal des Porträts mit dem leichten Anschnitt ist jedenfalls klar: Hier geht es um einen, der seine Welt ganz ausfüllt – oder ihr ständig unterliegt. Was bedeuten die Titel? „Spare“: Der englische Originaltitel signalisiert womöglich, dass sich da jemand ausgegrenzt fühlt. Aber ist Harry nicht Autor seiner eigenen Situation – marginal im Königshaus, dafür zentral im Aufmerksamkeitsfokus der Medien? Und die Version „Reserve“ für den deutschsprachigen Buchmarkt: Reserviertheit oder Zurückhaltung? Das Cover signalisiert das Gegenteil. Reserve: Einspruch oder Anspruch? Das trifft es wohl eher. Na, dann mitten hinein ins Lesevergnügen.
Die Aufmachung
Ein Team aus gleich fünf Übersetzerinnen und Übersetzern hat sich an die Arbeit gemacht, um Harrys Memoiren mit fliegender Feder ins Deutsche zu übertragen. Die Zeit tat in diesem Fall besonders, was sie sonst gern macht – sie drängte. Es muss eine Fron gewesen sein. Harry gibt sich royal gelassen. Mit den Einnahmen, schickt er vorweg, will er Hilfsfonds unterstützen. Es wird sicher nicht das gesamte Honorar sein. Wer übrigens regenbogenbunte Bildteile erwartet, wird sich im Ohrensessel enttäuscht zurücklehnen. Ganze drei Fotos schenken dem von intensiver Lesearbeit ermüdeten Auge Rast. Dies aber gründlich, in entspannendem Schwarz und Weiß. Zurückhaltung ist die wahre Hoheit. Wer wüsste das besser als dieser Autor?
Die Gliederung
Sein Buch teilt er gelassen in drei Teile. Einleitung, Hauptteil, Schluss: Das Muster des Schulaufsatzes scheint durch das löchrige Gewebe dieses Textes. Aber die Titel! „Aus der Nacht, die mich umfängt“: Das klingt nach therapeutischer Tiefenlotung. „Das Haupt voll Blut, doch stets erhoben“: Christi Passion oder Stahlgewitter? Mit welchem Doppelsinn dieser Prinz doch königlich zu spielen weiß. „Käpt’n meiner Seel“: Der Treueschwur als Unterwerfungsgeste. Worum geht es? Um Lady Diana, die Armee, Meghan: Drei Lebensphasen oder dreimal eine Mutter? Unterlassen wir psychoanalytische Spekulation, bewundern wir lieber solch stringenten Bildungsgang.
Die Gattung
Um den Bildungsgang sollte es gehen in einem Text, der sich als Autobiografie ausweist. In E.T.A. Hoffmanns Roman „Kater Murr“ will die Titelfigur zeigen, „wie man sich zum großen Kater“ bildet. Lachen wir nicht über solch überheblichen Vorsatz. Prinz Harry bringt es nicht einmal zum Zimmertiger. Er wechselt vom gehätschelten Muttersöhnchen umstandslos zum Soldaten, der nicht merkt, ob er Krieg führt oder Nintendo spielt. Vom harten Krieger zum Bermuda-Freizeitler unter Palmen. Dazwischen: viel Streit, immer wieder Warten, Gedanken, die diesen Namen nicht verdienen. Wellengekräusel an der Oberfläche eben. Eine Autobiografie als Bewusstseinsrinnsal von sehr lauer Temperatur. Wer starke Strömung spüren will, sollte anderes lesen, Goethes „Dichtung und Wahrheit“, Rousseaus „Bekenntnisse“ oder Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen“. Richtige Bücher halt.
Der Dank
„Aus, Aus, Aus“, schrie Herbert Zimmermann mit sich überschlagender Stimme ins Mikrofon, als die deutsche Fußballnationalmannschaft 1954 im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft Ungarn besiegt hatte. „Danke, danke, danke“, gellt es nun durch den „Dank“, mit dem Harry seine Autobiografie schließt. Der Katarakt aus gefühlt Hunderten von Namen auf drei Seiten zeigt, wie viele Menschen hart arbeiten müssen, um einen Prinzen bei Laune und damit halbwegs stabil zu halten. Respekt. Der letzte Dank gilt dem Leser, der wirklich bis zur letzten Seite durchgehalten hat. „Danke dafür, dass Sie meine Geschichte in meinen eigenen Worten erfahren wollten. Ich bin sehr dankbar dafür, sie bis hierhin mit Ihnen teilen zu können.“ Da kommt also noch mehr? Was für eine Drohung.
Eine Kostprobe
„Berichten zufolge würden wir die nobelsten Miet-WC’s der Welt bereitstellen – Porzellanschüsseln, vergoldete Toilettensitze –, und wir hätten uns dazu bei Pippa Middletons Hochzeit inspirieren lassen. In Wahrheit war uns nicht aufgefallen, dass die Leute bei Pippas Feier anders oder besser Pipi gemacht hatten, und wir hatten auch nicht das Geringste mit der Auswahl der Miet-WC’s für unsere Hochzeit zu tun. Doch wir hofften aufrichtig, dass jeder Gast in der Lage sein würde, sein Geschäft so angenehm und ruhig wie möglich zu erledigen. Vor allem aber hofften wir, die Hofberichterstatter würden weiter lieber über Scheiße schreiben, statt ständig darin herumzuwühlen“.
Wahrlich, nichts geht über den korrekt gebrauchten Konjunktiv – auf Seite 408f. in den Memoiren. (lü)