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Bis zu zwei Millionen StreunerVom Elend deutscher Straßenkatzen

Lesezeit 3 Minuten
Die beiden Kater «Stöpsel» (l) und «Flitzi» sitzen in einer Transportbox auf der Katzenquarantäne-Station im Tierheim Burgdorf.

Abgemagert und krank: Stöpsel und Flitzi sind auf der Straße geboren und wurden gerettet.

Schätzungsweise zwei Millionen Freiläufer leben hierzulande – oft in dramatisch schlechten Zuständen. Wie es dazu kommen kann, macht fassungslos.

Die kleinen Kätzchen sind struppig, sie blicken misstrauisch aus ihrer Transportbox. Kein Wunder, sind sie doch eingefangen und aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen worden.

Aber aus gutem Grund: Die Kater Flitzi und Stöpsel, Mitte Mai und Anfang Juli geboren, sind Straßenkatzen – abgemagert, krank, voller Parasiten. Ihr Elend lässt sich kaum vermitteln, das ist das Dilemma: Denn im Tierheim Burgdorf bei Hannover, dessen Helfer nächtelang unterwegs sind, um Straßenkatzen einzufangen, werden sie aufgepäppelt und wirken schnell so, wie kleine Katzen immer wirken: einfach süß.

Zwei Millionen Streuner

Aber die Streuner, die auf der Straße leben, sind gebeutelt. Sie hungern, weil sie kaum in der Lage sind, genug für sich zu jagen, sie geben Krankheiten weiter und haben oft Unfälle. Verletzt verstecken sie sich, ihre Wunden eitern und sind irgendwann voller Fliegenmaden, wie Tierheimleiterin Diandra Boczek sagt.

Bundesweit gebe es mindestens zwei Millionen Straßenkatzen, fast alle seien krank und unterernährt, die meisten würden nicht alt, schätzt Lea Schmitz, Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes. Anfangs sei sie wegen der hohen Zahlen erschrocken gewesen, „dann war da nur noch Wut“, sagt Boczek. Wut auf gedankenlose oder gleichgültige Katzenhalter, die ihre Tiere unkastriert nach draußen ließen. Denn die Straßenkatzen seien meist Nachkommen sogenannter Freigängerkatzen. Und für deren Wohlergehen „fühlt sich niemand verantwortlich“.

Unkastrierte und nicht gechippte Freigänger

Täglich erhalte sie Anrufe von Menschen, die ihre Katzen vermissten – oft seien diese weder kastriert noch registriert und hätten auch keinen Mikrochip mit Kontaktdaten unter der Haut. Das mache sie fassungslos. So wächst das Heer der Straßenkatzen. Etwa 300000 könnten es dem bayerischen Tierschutzbund zufolge im größten deutschen Flächenland sein. Genaue Zahlen habe sie nicht, die Tiere seien scheu, sagte Präsidentin Ilona Wojahn. „Sie leben im Verborgenen, oft in Industriebrachen, in verlassenen Gebäuden, auf Friedhöfen, Schrebergärten und so weiter.“ Umweltschützer verweisen auch auf die Schäden, die freilaufende Katzen verursachen können. Betroffen seien nicht nur Vögel, sondern auch Fledermäuse, Siebenschläfer, die Haselmaus oder Reptilien wie die Zauneidechse.

Tierheime und Tierschutzvereine kommen nach Einschätzung des Präsidenten des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, bei Kastration und Versorgung der Tiere an ihre Grenzen. Ein Grund: die Pandemie, als sich viele Menschen ein Haustier anschafften, darunter auch Katzen. Viele dieser Tiere seien dann bald auf der Straße gelandet, oft nicht kastriert.

Und doch gerät etwas in Bewegung: Eine Initiative der Regierungsfraktionen von SPD und Grünen im niedersächsischen Landtag will das Wirrwarr kommunaler Regelungen mit einer landesweiten Katzenschutzverordnung vereinheitlichen. Damit sollen alle Katzen, die sich draußen aufhalten, registriert und kastriert werden. (dpa)


Problem Inzucht

Wo Straßenkatzen auf engem Raum zusammenleben, droht Inzucht -- wiederholt sich das über mehrere Generationen, dann „haben wir chancenlose kleine Mäuse wie Mikkel“, sagt Ruhmann. Mikkel ist ein kleiner Kater, neun bis zehn Wochen alt, unterernährt, taub, große Augen und schneeweißes Fell – und er hat Schmerzen. In der Tierklinik stellt sich heraus: Sein Dickdarm arbeitet nicht, er leidet an Gendefekten – vermutlich die Folge von Inzucht. „Ihm war nicht zu helfen“, sagt Ruhmann. Aus der Narkose lassen ihn die Tierschützer aus Mitleid nicht mehr aufwachen. (dpa)