AboAbonnieren

Zweifacher TotschlagProzess gegen Charité-Kardiologen beginnt

Lesezeit 3 Minuten
Blick auf den Eingang zum Charité Campus Virchow-Klinikum am Augustenburger Platz. Gut fünf Monate nach seiner Verhaftung kommt ein Charité-Herzmediziner wegen Totschlags vor Gericht. Der 56-Jährige soll in den Jahren 2021 und 2022 einen Patienten und eine Patientin (beide 73) mit überdosierten Medikamenten getötet haben.

Gut fünf Monate nach seiner Verhaftung kommt ein Charité-Herzmediziner wegen Totschlags vor Gericht. (Archivfoto)

Ein Facharzt der berühmten Charité in Berlin steht unter dem Verdacht, zwei Patienten getötet zu haben. Seit Mai sitzt er in Untersuchungshaft. Nun kommt es zum Prozess.

Gut fünf Monate nach seiner Verhaftung kommt ein Charité-Herzmediziner in Berlin wegen Totschlags vor Gericht. Der 56-Jährige soll in den Jahren 2021 und 2022 einen Patienten und eine Patientin (beide 73) mit überdosierten Medikamenten getötet haben. Mitangeklagt ist eine Krankenschwester (39). Nach dem Prozessauftakt an diesem Dienstag hat das Landgericht bislang 19 weitere Verhandlungstage bis zum 16. Januar 2024 geplant, wie eine Gerichtssprecherin mitteilte. Am ersten Tag soll voraussichtlich nur die Anklage verlesen werden.

Mediziner wird wegen Totschlag angeklagt

Der Kardiologe war laut Berliner Staatsanwaltschaft am 8. Mai wegen des dringenden Verdachts des zweifachen Mordes verhaftet worden. Von der Charité war er bereits im August 2022 freigestellt worden. Die Staatsanwaltschaft war bei ihrer Anklage von zweifachen Heimtückemord aus niedrigen Beweggründen ausgegangen. Der Mediziner habe die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Opfer ausgenutzt und sich „aus eigensüchtigen Motiven auch angemaßt haben, über den Zeitpunkt des Todes seiner Patienten frei entscheiden zu können und zu dürfen“, hieß es Anfang September in einer Mitteilung der Behörde.

Die Figur der Justitia mit Richtschwert und Waage ist auf dem Glasfenster einer Tür im Gerichtsgebäude zu sehen. Die Göttin der Gerechtigkeit soll verdeutlichen, dass das Recht ohne Ansehen der Person und nach sorgfältigem Abwägen der Lage gesprochen und mit der notwendigen Härte durchgesetzt wird.

Kriminalgericht Moabit: Prozess gegen Charité-Kardiologen beginnt.

Das Landgericht Berlin bewertete den Fall jedoch bei der Eröffnung des Verfahrens Anfang Oktober anders, wie eine Gerichtssprecherin mitteilte. Die zuständige Kammer habe darauf hingewiesen, dass in beiden Fällen lediglich ein hinreichender Tatverdacht für den Straftatbestand des Totschlags bestehe - Mordmerkmale also nicht erkennbar seien.

Tödliche Menge Sedierungsmittel

Der beschuldigte Mediziner, der in Berlin aufgewachsen sein soll, hat sich nach Angaben der Ermittler bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. Die Mitangeklagte, bei der es sich um eine langjährig in der Intensivmedizin tätigen Krankenschwester handeln soll, habe die Vorwürfe zurückgewiesen, hieß es. Beiden droht nach Gerichtsangaben im Fall einer Verurteilung ein Berufsverbot.

Laut Anklage soll der Arzt im ersten Fall mindestens drei Krankenpflegerinnen angewiesen haben, eine eigentlich erfolgreiche Reanimation einzustellen. Außerdem soll er die Mitangeklagte angewiesen haben, dem Patienten eine tödliche Menge eines Sedierungsmittels zu geben. Daran sei dieser jedoch wider Erwarten nicht gestorben. Der Kardiologe soll dem Kranken dann selbst eine weitere, letztlich tödliche Dosis verabreicht haben, wie es hieß. Im zweiten Fall soll der Mediziner der Patientin ohne medizinischen Grund mehrere Dosen eines Sedierungsmittels gegeben haben.

Charité: Whistleblower-System zeigt Wirkung

Die Charité, die zu den größten Universitätskliniken Europas gehört und einer der größten Arbeitgeber Berlins ist, hatte nach eigenen Angaben bereits im Sommer 2022 über ein Whistleblower-System einen anonymen Hinweis bekommen. Es war als Konsequenz aus einer früheren Mordserie durch eine Krankenschwester eingerichtet worden. So kamen die Ermittlungen ins Rollen. Mit Blick auf das anstehende Gerichtsverfahren wollte sich das Krankenhaus aktuell nicht äußern.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärte auf Anfrage: „Oft verdecken Täter in Medizin und Pflege ihre Verbrechen mit humanen Motiven. Als Rechtfertigung werden Leidenslinderung, Erlösung oder die Vermeidung unnötiger Qualen vorgeschoben.“ Nicht die Krankheit spiele dabei eine Rolle, sondern die Schwere der Symptome oder das Alter der Opfer. „Hinter diesem Blendwerk stehen aber in Wirklichkeit Allmachtsfantasien. Das zeigen Untersuchungen seit Jahrzehnten“, hieß es. Einzeltäter in Medizin und Pflege müssten deswegen möglichst schnell überführt werden. Neben einer „Kultur des Hinschauens“ sei dafür ein unabhängiges und externes Whistleblower-System wichtig. (dpa)