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Autobiografie Hape KerkelingsTragisch, rührend und mit Witz

Lesezeit 3 Minuten

Hape Kerkeling

Köln – Der Autor und Moderator beginnt, nachdem er sich in einem "Gruß an die Leser" für die "radikale Verstümmelung meines Taufnamens zu Karrierezwecken" entschuldigt hat, im Jahr 2009 mit einer Szene aus Jerusalem. Kerkeling dreht mit dem Regisseur Gero von Boehm einen Beitrag zur ZDF-Dokumentation "Unterwegs in der Weltgeschichte". Er steht am Garten Gethsemane, dem letzten Zufluchtsort Jesu vor der Kreuzigung. Der Wärter verweigert den Zutritt. Doch nicht lange. Kerkeling wird diesen Garten betreten und die Magie des Ortes mit allen Sinnen erfassen. Die Botschaft dieses ersten Kapitels hängt er als Aphorismus direkt unter die Überschrift: "Niemand kann so überzeugend harmlos und ungefährlich dreinschauen wie ich."

Damit wäre das Erfolgsrezept bereits erklärt: Der harmlose Blick ist Markenzeichen des Künstlers Kerkeling - und das seiner Figuren. Auch Horst Schlämmer ist nur ein Hund, der zwar bellt, aber nicht beißt. Im zweiten Kapitel lässt Kerkeling den Schlämmer von der Kette, allerdings in einer traurigen Mission: Im Düsseldorfer Hotel trifft die Kunstfigur auf ein krebskrankes Mädchen, das sich eine Begegnung gewünscht hatte. Kerkeling gerät an seine Grenzen, sitzt im Sessel mit der Karikatur des trotteligen Lokalreporters, doch Melanie will nicht, dass er die Maske fallen lässt. Sie kennt nur Schlämmer, den Kerkeling kennt sie nicht.

Von Krebs zu Aids: Kerkeling reist als Botschafter der Aidsstiftung nach Mosambik und lernt den kleinen Luiz kennen, dessen Mutter sich aus Angst vor mordenden Milizen vor den Augen des Jungen erhängt hat. Und dann erzählt der große Hans-Peter dem kleinen Luiz seine Geschichte. Und dem Leser ebenfalls. Erst mit dem vierten Kapitel dreht Kerkeling "Alles zurück auf Anfang". Am 9. Dezember 1964 erblickt er in Recklinghausen das Licht der Welt. Sein Vater Heinz betrinkt sich vor Freude, Hans-Peter wächst überwiegend in weiblicher Obhut mit Mama, Großmüttern und fidelen Tanten auf. Zum Rosenmontagszug geht er als Prinzessin, legt aber Wert auf die Feststellung: "Ich bin ein Junge!" Kerkeling geht mit seiner "Geschlechtsidentität" erfrischend unaufgeregt um. Beim Lesen hört man den Autor sprechen - die feinen Phrasierungen, der lässige Witz, das kann keiner besser.

Dann nahen die ersten Schicksalsschläge: Die geliebte Großmutter Änne erkrankt, Mutter Margret ist mit ihren Kräften am Ende. Kerkeling erlebt im Alter von acht Jahren die größte Tragödie seines Lebens: den Freitod der Mutter. Nach dem Bestseller "Ich bin dann mal weg" (2006) über seine Wanderungen auf dem Jakobsweg beschreibt er jetzt die tragischen Momente seiner Biografie. Das Buch ist trotzdem nicht humorfrei. Der Untertitel "Meine Kindheit und ich" zeugt von Ironie. Lesenswert.

Hape Kerkeling: Der Junge muss an die frische Luft. Piper, 311 S., 19,99 Euro.