Amoklauf am Gutenberg-GymnasiumDer Tag, der vor 20 Jahren in Erfurt alles veränderte

Wurde nach dem Amoklauf umfassend umgebaut: das Gutenberg-Gymnasium.
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Erfurt – Seit Monaten schon erreichen Schulleiterin Christiane Alt Anfragen mit Blick auf den Jahrestag des Anschlags am Erfurter Gutenberg-Gymnasium. Dass jährlich die Medien klingeln, „das ist seit 20 Jahren extrem lästig, um das mal so zu sagen“, sagt die Frau, die bereits damals die Schule am Rande Erfurts leitete. Dieses Jahr sei es besonders stressig.
„Es ist, denk ich mal, irrelevant, immer wieder die Abläufe des Tages aufzurufen. Dafür gibt es gnaden- und endloses Archivmaterial. Darum geht es hier nicht. Und schon gar nicht nach 20 Jahren. Also, wenn ich gefragt werde, ,Können Sie mal den Tag erzählen von damals?‘ – nein, den will ich überhaupt nicht mehr erzählen“, sagt Alt.
Erfurt: Erstes Schulmassaker diesen Ausmaßes an deutscher Schule
Am 26. April 2002 tötet ein ehemaliger Schüler am Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen. Der 19-Jährige erschießt zwölf Lehrkräfte, eine Schülerin und einen Schüler, eine Sekretärin, einen Polizisten und letztlich sich selbst. Es ist das erste Schulmassaker eines solchen Ausmaßes an einer deutschen Schule.
Dass der Tag für alle 700 Schüler, das Kollegium, die Notfallmediziner und Polizisten traumatisch war, steht außer Frage. Heute müsse man sich fragen, was daraus für das Bildungssystem resultierte. „Denn das Geschehen von damals war nicht einmalig in Deutschland. Es hat Wiederholungen gegeben, und wir können auch nicht ausschließen, dass sich das erneut wiederholt.“ Ereignisse wie von Winnenden oder Ansbach 2009 oder zuletzt im Januar an der Uni in Heidelberg kommen einem in den Sinn.
Seit Erfurt hat sich viel bewegt. Thüringen wie auch andere Bundesländer haben die Sicherheit an den eigenen Schulen überprüft und Warnsysteme ein- und ausgebaut. Neben den technischen Voraussetzungen wurde auch das Thüringer Schulgesetz in direktem Bezug auf den Vorfall am Gutenberg-Gymnasium überarbeitet.
Heute sieht es vor, dass Gymnasiasten am Ende der zehnten Klasse den Realschulabschluss erwerben können. Der Täter wurde in der Oberstufe der Schule verwiesen und stand ohne Abschluss da. Da er zu dem Zeitpunkt volljährig war, wurden die Eltern über den Verweis nicht von der Schule informiert. Auch das ist heute anders. Eltern volljähriger Schüler werden über besondere Ereignisse durch die Schule in Kenntnis gesetzt.
Jährliche Gedenkveranstaltungen am Gutenberg-Gymnasium
Der wichtigere Schritt ist für Alt die Prävention. Seit knapp zwei Jahrzehnten setzt sie sich nach eigenen Angaben dafür ein, dass es in Schulen Sozialarbeiter und einen schulpsychologischen Dienst gibt. An Schultagen gehen etwa 650 Schüler und 60 Lehrkräfte ein und aus am Gutenberg-Gymnasium. Nach dem 26. April 2002 wurden umfangreiche Umbauarbeiten vorgenommen. Der Schulbetrieb wurde erst drei Jahre später wieder in dem Haus aufgenommen.
Was seit 2002 als Konstante geblieben ist, sind die jährlichen Gedenkveranstaltungen. 2022 ist der Tag etwas anders zuvor gestaltet, sagt Alt. Mit Teilen ihrer Biografie sollen die Opfer in den Ansprachen detaillierter porträtiert werden. Nach 20 Jahren gibt es außer 13 Lehrkräften keine Personen mehr an der Schule, die Zeitzeugen sind.
Es gehe darum, den Opfern nahe zu sein, sagt Alt. Sie denen nahe zu bringen, die sie nicht kannten, um das Ausmaß des Verlustes zu vermitteln. „Eines Tages gibt es auch keine Zeitzeugen mehr in Form von Lehrkräften. Auch dann wird das Gedenken zu dieser Schule gehören.“ (dpa)