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Rundschau-Autor berichtetVom Glück, nach Jahren seine Halbschwester zu finden

Lesezeit 4 Minuten
Lisa Holmstedt mit Paul und Axel Hill

Erstes gemeinsames Foto: Lisa Holmstedt mit Paul und Axel Hill

Ein DNA-Test ermöglichte die überraschende Familienzusammenführung unseres Autors mit seiner Halbschwester und ihrem Vater in Schweden.

Alles beginnt mit einer Nachricht bei Facebook. Da meldet sich im Oktober 2023 ein Johannes aus Rheinland-Pfalz: Er betreibe ein wenig private Ahnenforschung – und sei dabei auf eine Verbindung zwischen den Vorfahren seiner Mutter und meiner Familie väterlicherseits gestoßen, die beide aus dem hessischen Antrifttal stammen.

Mich habe er über zwei Ecken gefunden: Laut der Analyse der Internetseite „My Heritage“ gebe es eine hohe DNA-Übereinstimmung zwischen seiner Mutter und einer Frau in Schweden.

DNA-Match bei My Heritage

Auf diesem Portal kann man gegen eine Gebühr seine DNA hochladen, die dann analysiert und mit der DNA anderer verglichen wird. Bei einem Match hat man die Möglichkeit, Nachrichten auszutauschen. Und Lisa aus dem dreieinhalb Stunden nördlich von Stockholm gelegenen Sundsvall habe ihm geschrieben, dass sie einen deutschen Vater und einen Halbbruder habe — und diese seit vielen Jahren suche, diese aber, obwohl sie die Namen kenne, nicht gefunden habe.

Mit diesen Information entdeckte Johannes mich dann bei Facebook. Und ich erzählte ihm, was ich über die Verbindung weiß.

Resultat einer kurzen Liaison

Mein heute 86-jähriger Vater hat in den 60er Jahren als Maurer in Schweden gearbeitet, pendelte eine Reihe von Jahren zwischen den beiden Ländern. Mit Mitte 30 erfuhr ich – wie sich später herausstellte, als letzter in der Familie –, dass er in Schweden nicht nur gearbeitet hat und das Resultat einer kurzen Liaison ein Mädchen sei, das ein halbes Jahr vor mir zur Welt gekommen sei.

Darauf angesprochen erzählte mir mein Vater, dass es keinerlei Kontakt mehr gibt. Meine, zu diesem Zeitpunkt schon länger verstorbene, Mutter und er hätten diesen Einschnitt in ihrer Beziehung mehr als nur gut überwunden. Auch die Mutter des Mädchens habe einen neuen Mann gefunden und mit diesem eine Familie gegründet. Damit war für ihn dieses Kapitel abgeschlossen.

Rentierfelle und lustige Worte

Wenn man aber Einzelkind ist, fasziniert jedoch die Vorstellung, dass es irgendwo auf der Welt noch jemanden gibt, der die Hälfte deiner Gene hat.

Und Schweden übte immer schon einen Reiz auf mich aus: Es war das irgendwie mystische Land, in dem mein Vater arbeitete, wenn er nicht bei uns war, und aus dem er Rentierfelle und lustige Worte wie „ost“ und „öl“ — Käse und Bier — mitbrachte.

Keine aktive Suche erwünscht

Als sich die Gelegenheit ergab, begann ich, Schwedisch zu lernen — und das nicht nur, um die Texte der Lieder auf den Soloplatten der ABBA-Mitglieder zu verstehen. Vielleicht, vielleicht, dachte ich, treffe ich meine Halbschwester doch einmal zufällig — und wenn sie dann kein Englisch sprechen sollte, könnten wir uns in ihrer Muttersprache unterhalten. Dass ich mich aktiv auf die Suche begebe, das hatte mein Vater klar gemacht, würde er nicht begrüßen.

Alles änderte sich mit der Nachricht bei Facebook im Oktober 2023. Und 24 Stunden nach der ersten Nachricht von Johannes schaute ich per Videochat einer Frau ins Gesicht, die die Hälfte meiner Gene hat — und die, wie wir später feststellten, unserer gemeinsamen, kurz nach dem Krieg verstorbenen Großmutter wie aus dem Gesicht geschnitten ist.

Familienzuwachs im Handumdrehen

Da saßen wir nun, ich in Köln, sie in Sundsvall, strahlten eine Stunde lang um die Wette, erzählten uns aus unserem Leben. Und mit einem Schlag hatte ich nicht nur eine sechs Monate ältere Schwester, sondern auch zwei erwachsene Nichten sowie einen Großneffen und eine Großnichte, letztere war gerade einen Monat zuvor auf die Welt gekommen.

Schön war für mich, zu hören, dass Lisa keinerlei Groll hegt, sondern einfach nur neugierig war und wissen wollte, wie ihr Vater, wie ihr Halbbruder ist.

In den nächsten Monaten wurden Nachrichten und Fotos zwischen dem Rheinland und Sundsvall hin und hergeschickt und Pläne geschmiedet. Im April kam Lisa nach Deutschland, um Vater und Halbbruder kennenzulernen.

Erster Besuch in Köln

Vom ersten Moment am Flughafen in Düsseldorf an war diese Begegnung von einer großen Selbstverständlichkeit geprägt, so als würde man sich sein Leben lang kennen.

Im Juni reisten mein Mann und ich nach Schweden, um Lisas Teil der Familie zu treffen. Offene Arme trafen auf offene Herzen, hier wie dort.

Wenig überraschend ist es nach wie vor abstrakt, dass ich mit dieser netten Schwedin verwandt bin. Das geht ihr ähnlich. Aber genauso teilen wir beide die Freude daran, mit fast 60 noch einmal ein „neues Geschwisterchen“ bekommen zu haben. Auch helfen uns die sozialen Medien weiter, auf leichte Weise, am Leben des anderen teilzuhaben.

Und immer wenn ich mit meinem, nein falsch: mit unserem Vater telefoniere, lautet mittlerweile seine Standard-Frage: „Und was gibt es Neues in Schweden?“ Die aktuellste Antwort ist: „Lisa hat ein Foto geschickt: Deine Urenkelin Signe hat gerade ihre ersten Schritte gemacht.“