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VerkehrstrainingKita-Kinder bauen sich in Weilerswist eine eigene Straße

Lesezeit 5 Minuten
Zwei Mädchen stehen am Straßenrand. Eine Dreiradfahrerin und eine Rollerfahrerin halten auf der schmalen Straße.

Die Fußgänger bleiben stehen und schauen nach links und rechts. Die Fahrzeugfahrer fahren vorausschauend und bremsen rechtzeitig.

„Wir bauen uns eine Straße“: Das ist eine typische Idee von Kindergartenkindern. In Weilerswist zog aber die gesamte Gemeinde mit.

Schon von außen fällt die Kita Blumenwiese in Weilerswist auf: An einem schwarzen Zaun hängen bedruckte Sterne. Es sieht aus, als hätte man den berühmten amerikanischen Gehweg, den Hollywood Walk of Fame, sauber herausgeschnitten aus dem Sunset Boulevard in Los Angeles. Um ihn dann einmal rund um den DRK-Kindergarten wieder aufzubauen.

Doch statt Marilyn Monroe, Audrey Hepburn, Elvis Presley oder Walt Disney tragen die Sterne die Namen von Weilerswistern: Familie Werner steht da, Yvonne und Jürgen Schneider, oder „Birgel und Reinert – Heizung und Sanitär“.

Weilerswist-Süd: Walk of Fame für tatkräftige Kita-Eltern

Am Sunset Boulevard bekommt man einen Stern, wegen beruflicher Errungenschaften oder dauerhafter Präsenz im Showbusiness. An der Bernhard-Thywissen-Straße in Weilerswist, bekommt man einen Stern, weil man das Kindergarten-Projekt „Verkehrsübungsplatz“ unterstützt hat – ob mit Muskelkraft oder Geld.

An einem Zaun hängen laminierte Sterne mit verschiedenen Namen.

Jeder Unterstützer des Projektes hat seinen eigenen Stern bekommen, an der Weilerswister Wall of Fame.

„Angefangen hat der ganze Irrsinn vor zwei Jahren“, sagt Kita-Leiterin Silvia Ellhof. Das war im Oktober 2021. Eine Kita zu bauen, sei wie ein Haus zu bauen, sagt sie: „Man baut und baut und dann ist man fertig und merkt, was alles fehlt.“ Was dem DRK-Kindergarten in Weilerswist gefehlt hat, war laut Ellhof ausreichend Fahrfläche. Fahrfläche für kleine Roller, Kettcars und Dreiräder. Davon gebe es der Kita-Leiterin ohnehin in Kindergärten zu wenig.

Als Eltern und Erzieherinnen dann mit den Kindern sprachen, entwickelten diese die Fahrflächenidee sogar noch weiter. „Wir brauchen eine Straße“, hieß es seitens der Kinder. Und nur drei Tage später, nachdem Träger und Gemeinde informiert wurden und grünes Licht gaben, hieß es: „Wir bauen eine Straße.“

Zwein Kinder tun so, als würden sie ihre Kettcars betanken. Die Zapfsäulen sind zwei nummerierte Holzpfahle.

Wer viel gefahren ist, muss zwischendurch sein Fahrzeug neu betanken. Das tun die Kinder des DRK-Kindergartens an zwei Holzzapfsäulen.

Doch, wer eine Straße bauen will, muss gut überlegte Entscheidungen treffen. Entscheidungen wie: Bauen wir einen Kreisverkehr oder eine Ampel? Welche Verkehrsschilder müssen wo angebracht werden? Und welche „Schikanen“ müssen eingebaut werden, damit die Kindergarten-Verkehrsführung der „echten“ Weilerswister Verkehrsführung möglichst ähnlich wird?

Um Antworten auf all diese Fragen zu bekommen, berieten die Kinder sich auf dem Autoteppich, stellten Szenarien nach und bildeten Gremien zu Themen wie Zebrastreifen, Ampel und Kreisverkehr.

Dann ging es an die Planung. Mit Wachsmalstiften, Lineal und spitzem Bleistift zeichneten die Kinder ihren eigenen zukünftigen Verkehrsübungsplatz – inklusive Parkplatz, Tankstelle, Kreisverkehr und Zebrastreifen.

Zwei Mädchen sitzen auf Dreirädern. Eines trägt eine Sonnenbrille.

Die Kita-Kinder finden ihren neuen Verkehrsübungsplatz cool.

Um zu überprüfen, ob die Strecken-Planung funktioniert, haben die Kinder die Strecke im Flur mit Klebeband abgeklebt. „Und dann haben wir die Strecke auf Bobbycars getestet“, sagt der fünfjährige Marius im Vorbeifahren und legt sich auf seinem Dreirad in die Kurve wie ein Motorradfahrer in den Rursee-Serpentinen.

„Und von diesem Zeitpunkt an ist das Projekt gewachsen“, sagt Ellhof. Der Elternbeirat kümmerte sich um Sponsoren. Eine Mutter, Mediengestalterin von Beruf, hatte die Idee mit der Wall of Fame. Eltern verkauften Kuchen. Kinder liefen Spendenläufe und beim Garagentrödel in Weilerswist Süd verkaufte ein Schüler so emsig Spielzeug, dass er dem Projekt 50 Euro spenden konnte.

Ein Mädchen auf einem Bobbycar und eines auf einem Roller, fahren schnell in eine Kurve.

Der Verkehrsübungsplatz ist aber längst nicht nur dafür da, Verkehrsregeln zu lernen. Manchmal wollen die Kinder auch einfach nur so schnell wie möglich über den Asphalt heizen.

Doch die Beteiligung der Weilerswister Bürger an dem Projekt sei nicht nur finanzieller Natur gewesen, sagt die Kita-Leitung. So habe ein Vater, die künftige Strecke in das hohe Gras gemäht. Ein anderer, ein Bauunternehmer, habe einen Bagger ausgeliehen und den Aushub geschenkt. Und wann immer Silvia Ellhof zum Metzger ging, wurde sie mit der Frage begrüßt: „Un Mädche – wat mäd de Stroß?“

Das Ganze sei ein Projekt von Weilerswistern für Weilerswister gewesen, das habe eine ganz besondere Energie gehabt, sagt sie. „Es gab Tage, da standen hier 500 Leute im Garten“ erinnert sich die Kita-Leitung. Schulweg, Verkehrssicherheit, Kinder und das Miteinander – das sei der große gemeinsame Nenner der Weilerswister. Das habe Ellhof bereits vor dem Projekt erahnt.

„Und dokumentiert haben wir alles auf Social Media“, sagt sie. Zum Beispiel, wie die Kinder alle kleine gelbe Helme bekamen, in den Bagger schauen durften und die Bauarbeiter mit Fragen zur Planierraupe löcherten.

Zwei Kinder auf Dreirädern fahren aneinander vorbei.

Um gut aneinander vorbeizukommen, ist es wichtig, dass jedes Kind in seiner Spur bleibt.

Durch das Internet transportierte sich der Geist des Miteinanders einer kleinen Gemeinde in NRW in die Welt. Und bald entdeckte Ellhof auf den Kontoauszügen Spenden aus Schleswig-Holstein, und im Überweisungsbetreff Grußbotschaften aus Bayern. „Wir finden euer Projekt einfach toll“, habe dort gestanden. Mehr als 10.000 Euro an Spenden hat die Kita so gesammelt.

Verkehrsübungsplatz für die Kita-Kinder ist seit September fertig

Im September ist die Straße fertiggestellt worden. Seitdem wird sie fleißig befahren – die meiste Zeit nach gängigen Verkehrsregeln. Fußgängerin Ada steht und schaut nach links und rechts. Kettcar-Fahrer Ole hält am Zebrastreifen vorausschauend an. „Ich glaube, wir könnten bald auch im echten Straßenverkehr Auto fahren“, sagt Marius, der auf einem Dreirad mit zwei Mitfahrern sitzt. So viel Unterschied gebe es da jetzt nicht mehr.

Nur ein Junge hält sich nicht an die Regeln. Er sitzt in einem Kettcar, das eine Kühlerhaube hat – einem schwarzen Mercedes SUV nachempfunden. Immer wieder wird er zum Geisterfahrer oder fährt über die Wiese. Dann wird er von Sara ermahnt.

Ein Junge fährt auf einem Kettcar. Es hat eine Kühlerhaube wie ein Mercedes und dicke Reifen.

Mit den dicken Reifen kann das Mercedes-Kettcar auch mühelos über den Rasen fahren. Erlaubt ist das aber nicht.

Sara ist fünf Jahre alt und sagt, dass echte Autos gefährlich sind. „Wenn sie uns nicht sehen, dann sind wir tot.“ Auf dem Verkehrsübungsplatz sei es nicht so schlimm, wenn jemand einen Fehler mache. „Aber man muss trotzdem aufpassen. Es tut weh, wenn jemand mir über den Fuß fährt“, ergänzt Ada.

„Draußen im echten Verkehr habe ich immer ein bisschen Angst gehabt“, sagt Sara. Um sie herum stehen ein paar Kinder. Die Schüchternen nicken. Die Extrovertierten rufen „Ich auch!“

Aber weil sie jetzt den Straßenverkehr etwas besser verstehe, sagt Sara, habe sie draußen auch nicht mehr so ein schlimmes mulmiges Gefühl. „Ein bisschen unsicher fühlt man sich draußen immer“, sagt die Fünfjährige. „Aber jetzt ein bisschen weniger.“