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Männer-ExperteWarum Männer so dringend Räume für sich brauchen

Lesezeit 6 Minuten
Zwei Männer sitzen auf einer Treppe und unterhalten sich.

80 Prozent der Männer haben keinen besten Freund – dabei ist der so wichtig. 

Harter Hund oder Weichei? Auch heute noch hat man oft den Eindruck, Männer müssten sich von Schulhof bis Kollegenkreis immer wieder zwischen diesen beiden Polen entscheiden. Dabei liegt so viel dazwischen. Männer reden viel zu wenig über ihre Gefühle und ihren Schmerz, sagt „Männerkenner“ Richard Schneebauer, und das prägt auch ihr einseitiges Bild in der Gesellschaft. Ein Gespräch.

Was bedeutet der Begriff „Männerschmerz“? Haben Männer andere Schmerzen als Frauen?

Richard Schneebauer: Grundsätzlich nicht. Wir sind alle Menschen, haben Gefühle, wollen geliebt und geschätzt und nicht verletzt werden. Männer gehen aber anders mit Schmerzen um. Es gibt geschlechtsspezifische Dinge, die schon im Kindergarten oder auf dem Schulhof beginnen, zum Beispiel die Art und Weise, wie Jungs sich miteinander verhalten. Bei Männerschmerz geht es nämlich, anders als man denkt, nicht um den Schmerz, den Frauen Männern zufügen. Es geht vor allem um den Schmerz, den sie sich gegenseitig antun. Deshalb sind Männer auch viel häufiger von Gewalt betroffen als Frauen. Sie gehen einfach davon aus, dass der andere sich schon wehren kann. Wer sich nicht beweisen kann, kommt unter die Räder. Auch Empathie gibt es unter Männern viel weniger.

Da fällt mir sofort der Satz „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ ein, der auch heute noch oft zu Jungen gesagt wird…

Richard Schneebauer

Richard Schneebauer ist Soziologe und Männerberater. Er gibt Seminare, ist in der Männerforschung tätig und berät Unternehmen in Geschlechterfragen.

Der Spruch kommt zwar nicht mehr so häufig, aber diese Rollenbilder sitzen trotzdem noch tief. Gerade in der Pubertät können sich Jungen gegenüber Gleichaltrigen oft nicht richtig öffnen. Selbst in einer großen Gruppe sind sie mit ihren Gefühlen auf sich alleine gestellt. Es gibt noch immer eine große Sprachlosigkeit bei den Männern.

Hat sich das nicht geändert in den letzten Jahren?

Von Seiten der Frauen und speziell der Mütter dürfen Jungs heute eher Gefühle zeigen und tun das auch. Aber die Kinder erleben kaum erwachsene Männer, die Gefühle ausdrücken und damit Vorbild sind. Es braucht mehr Männer, die sich bewusst den Jungen annehmen. Ein guter Schritt wäre zum Beispiel, dass ein Vater authentisch ist und zu einem weinenden Jungen sagt: „Ist okay, das habe ich auch manchmal.“

Gibt es überhaupt Raum für den fühlenden Mann in unserer Gesellschaft?

Buchtipp

Cover des Buches „Männerschmerz“

Richard Schneebauer, Männerschmerz – Was Männer verletzt, Goldegg Verlag, 2022 Außerdem bereits erschienen sind „Männerabend“ (2017) und „Männerherz“ (2020).

Gesamtgesellschaftlich gibt es bisher wenig Raum dafür. Es tut sich aber etwas. Zum einen steigt die Offenheit für solche Themen, gleichzeitig erhöht sich auch der Druck auf die Männer, sich zu öffnen. Es wird normaler, dass auch Jungs und Männer Gefühle und Schmerzen haben und sie zeigen dürfen. Ich bin seit über 20 Jahren in der Männerberatung tätig und es kommen immer mehr Männer immer früher, bevor alles kaputt ist – oft geht es um die Themen Trennung, Scheidung, Alter und Potenz.

Man kann wirklich lernen, über eigene Gefühle zu sprechen, es braucht aber ein mitfühlendes Gegenüber. Verletzungen entstehen in zwischenmenschlichen Beziehungen und sie können auch nur dort heilen.

Im Alltag sind es oft Frauen, die ein offenes Ohr für die Männer haben…

Ja, häufig vertrauen sich Männer einer Frau an. Man könnte sagen, Männer sind nicht selten emotional abhängig von Frauen. Bei manchen Männern entsteht dann nachträglich das Gefühl, unmännlich zu sein. Tauschen sie sich dagegen auch mit anderen Männer aus, brauchen sie die Frauen weniger für ihre Emotionen und können sie so auch leichter lieben.

Es ist also wichtig, dass Männer Bereiche für sich haben?

Es ist gut, dass vieles heute geschlechtsübergreifend passiert, aber es braucht auch Räume, in denen die Männer unter sich sind. Einer der größten Effekte in Männergruppen ist, zu erkennen, dass es anderen auch so geht. Anders als Frauen, die sich mit engen Freundinnen intensiv austauschen, haben rund 80 Prozent der Männer keinen besten Freund, dem sie erzählen, wie es ihnen wirklich geht. Ihnen fehlen im Alltag die Ansprechpartner und das direkte Erleben. Dass ein anderer Mann traurig ist, das erfahren sie kaum.

Es sollten mehr bewusste Männergruppen und -netzwerke existieren, in denen es etwa Vorträge zu Gesundheitsthemen und zur Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf gibt, aber auch Bereiche entstehen, die sich Männer selbst gestalten können. Es geht nämlich auch darum, wie man Männer anspricht und auf Themen aufmerksam macht. Allgemeine Bücher über Beziehungen oder Schmerzen werden von Männern in der Regel kaum gelesen. Meine Bücher haben den Begriff „Männer“ direkt im Titel und 50 Prozent meiner Leser sind männlich. Ich will einen Beitrag leisten, dass mehr Männer ihr Verhalten und ihre Männlichkeit hinterfragen.

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Wenn es Männern nicht gut geht, würde es dann nicht viel bringen, wenn auch Ärzte sie auf mögliche Hilfsangebote hinweisen würden?

Auf jeden Fall. Doch es gibt leider immer noch viele Ärzte, die ihren eigenen geschlechtsspezifischen Blick nicht reflektieren. Es gibt sogar Studien dazu: Wenn ein Mann mit Rückenschmerzen kommt, wird der Rücken behandelt, kommt die Frau mit Rückenschmerzen, wird viel eher auch die Psyche behandelt.

Was sind die Folgen, wenn Männer nicht über ihre Gefühle sprechen und sich keine Hilfe suchen?

Viel zu wenig besprochen wird das Thema Depressionen bei Männern. Es läuft oft noch klassisch ab, Männer schlucken den Schmerz hinunter, drücken ihn weg, bleiben einsam. Zwei Drittel der Menschen, die sich selbst das Leben nehmen, sind Männer. Wenn sie ihre Gefühle nicht zeigen können oder dürfen, dann explodieren sie, nach innen oder außen. Sie werden gewalttätig sich selbst oder anderen gegenüber.

Da sprechen Sie etwas an: Lösen Männer auch besondere Schmerzen aus?

Ja, Männer lösen auch besondere Schmerzen aus. Es ist ganz wichtig, über das Thema Gewalt gegen Frauen, über Missbrauch, Misshandlungen und Femizide zu sprechen und das ernst zu nehmen. Und doch denke ich, dass wir uns im Moment gesamtgesellschaftlich zu sehr darauf konzentrieren, welchen Schmerz Männer verursachen und zu wenig darüber reden, welchen Schmerz Männer erleiden. Oft wird das Eine gegen das Andere ausgespielt, was man meiner Meinung unbedingt vermeiden sollte. Es geht darum, dass beides nebeneinander stehen bleiben darf. Es ist wichtig, zu schauen, wie es den Frauen geht – aber auch, wie es den Männern geht.

Man kommt aber nicht umhin, es zu erwähnen: Gerade gibt es wieder einen Krieg in Europa, ausgelöst von einem wütenden Mann…

Ja, das ist erschreckend. Ich hoffe, dass dadurch jetzt auch den Männern, die insgeheim lange noch der Meinung waren, dass Machos wie Putin oder auch Trump Recht haben, klar wird, wie falsch das ist. Viele werden erkennen, dass eine explosive Feuersbrunst wie Putin untergehen muss und wird.

Was das Männlichkeitsbild betrifft, scheint es gleichzeitig auch eine Art Rückwärtstendenz zum „kämpfenden Helden“ zu geben. Diese Art von Männlichkeit ist gerade furchtbar präsent. Aber denen, die jetzt nach Helden rufen, muss klar sein, welchen Schmerz die erleiden. Und dass der nachträglich besprochen und behandelt werden muss. Wir leben glücklicherweise in einer anderen Zeit – anders als im Zweiten Weltkrieg, als das Erlebte einfach hinunter geschluckt wurde. In meinem Buch schreibe ich auch über die Erfahrungen meines Großvaters. Selbst Arnold Schwarzenegger sprach neulich offen über die Kriegsverletzungen seines Vaters.