„Theater gehört dem Publikum“Axel Gehring im Interview über die Zukunft des Theaters
- Axel Gehring, Preisträger des Rhein-Erft-Kulturkreises, sieht die Amateurtheater durch die Corona-Pandemie in der Krise.
- Wie tief stecken die Amateurtheater in der Krise? Wie sieht die Zukunft der Ensembles aus?
- Ulla Jürgensonn hat mit ihm gesprochen.
Rhein-Erft-Kreis – Axel Gehring ist Gymnasiallehrer und Theaterpädagoge. 2016 hat er den Kulturpreis des Rhein-Erft-Kreises bekommen. Seit 2005 ist er Vorsitzender der Theaterkonferenz Rhein-Erft und Geschäftsführer des Amateurtheaterverbandes Nordrhein-Westfalen. Gehring leitet die Theatergruppen „theater FunDaMental“ und das „Jugend.Theater im Medio“. Außerdem ist er mit öffentlichen Lesungen unterwegs, zurzeit mit einem Kollegen und einem Klezmer-Musiker mit „Adressat unbekannt“ von Kressmann Taylor.
Herr Gehring, die Tage kam die gute Nachricht, dass Szene 93 wieder Open-air-Theater macht. Das Frechener Harlekin-Theater dagegen sagt alle Aufführungen für dieses Jahr ab. Wie tief stecken die Amateurtheater in der Krise?
Axel Gehring: Ich finde, dass sie sich in einer sehr großen Krise befinden. Offensichtlich sind sie ja nicht systemrelevant. Ich sage noch mal einen Spruch dazu: Bürgerinnen und Bürger des Kreises spielen Theater, singen im Chor für Bürgerinnen und Bürger des Kreises. Und alles dies kann nicht stattfinden, weil leider eine Pandemie dazwischengekommen ist, weshalb es ganz viele Bestimmungen gibt, die dazu führen, dass wir unsere Veranstaltungen absagen.
Wir bekommen auch keine Überbrückungsgelder oder Ausfallentschädigungen für das, was uns verloren gegangen ist. Beim Theaterfestival hätten sich zehn Theatergruppen in einer Woche dem Publikum gestellt und einer Jury, es hätte ein Preisgeld gegeben für die beste Aufführung, und die Theatergruppen hätten die Eintrittsgelder bekommen. Die Profis in der Jury haben sich die Zeit frei gehalten, die können jetzt auch nicht auftreten, niemand bekommt Geld.
Festival abgesagt
Die Theaterkonferenz Rhein-Erft ist ein Zusammenschluss der freien Theaterszene im Kreis. Alle zwei Jahre veranstaltet sie das Theaterfestival Rhein-Erft. In diesem Jahr wäre es das neunte gewesen – es wurde wegen der Corona-Pandemie abgesagt. Zehn Gruppen wollten teilnehmen, für die Jury waren professionelle Theaterleute verpflichtet worden. (uj)
Es ist aber schon ganz viel Geld geflossen – für Programmhefte, Plakate, Eintrittskarten. Dazu kommt, dass die Theatergruppen Proberäume haben, sie müssen Tantiemen bezahlen für die Stücke, die sie aufführen wollen. Wir können im Augenblick nicht proben, wir können nur aus dem Geld schöpfen, das wir alle hoffentlich zurückgelegt haben. Ich finde, wir sind sehr systemrelevant. Uns gehören mittlerweile die Commerzbank und die Lufthansa. Aber ich finde, dem Publikum gehört das Theater, und wir sind das Theater. Wir können nicht auftreten, und wir werden nicht unterstützt.
Wagen Sie eine Prognose, wann es wieder eine Theaterpremiere im Rhein-Erft-Kreis geben könnte?
Das hat viel mit Hoffnung zu tun. Ich für meine Gruppen hoffe, dass wir nach den Sommerferien wieder proben dürfen. Dann ist natürlich die Frage: Kann man Romeo und Julia mit 1,50 Meter Abstand inszenieren? Anpacken ist eigentlich ein wesentlicher Bestandteil des Theaters. Das heißt, die Hoffnung – ebenso wie Julia – stirbt zuletzt. Es gibt für den Herbst anberaumte Premierentermine, und ich denke, die Proben können mit den entsprechenden Abstandsregeln wieder stattfinden. Aber ob die Premieren stattfinden? Ich habe keine Ahnung.
Die Amateurtheater sind in der Regel Vereine und haben kein allzu großes Vermögen angehäuft. Sollten sie von den Kommunen oder vom Land unterstützt werden?
Das Land und die Kommunen sind auf jeden Fall in der Pflicht. Sie müssten doch froh sein, dass es in Brühl oder Kerpen oder wo auch immer Theatervereine gibt, die sich um Publikum kümmern und die sich Gedanken machen, immer wieder neue Stücke aufzuführen, ihr Publikum zu bedienen und die Leute von der Straße zu holen. Zum Beispiel könnte man Probenräume ausnahmsweise umsonst zur Verfügung stellen. Man kann auch einfach Geld geben. Zum Theaterfestival ist Geld zugesagt, das von der Kreissparkasse ausgezahlt wird.
Das findet jetzt natürlich nicht statt, weil die Kreissparkasse sagt: kein Theaterfestival, kein Geld. Wir gehen alle arbeiten, wir sind im Gegensatz zu den professionellen Theatern und vor allem den Solokünstlern, die seit Monaten kein Geld verdienen, in der Situation, dass wir nicht am Hungertuch nagen. Aber wir haben Kosten. Wir müssen Miete bezahlen, mein Theater hat einen Fundus, für den wir im Monat 100 Euro Miete bezahlen, das Geld muss ja irgendwo herkommen. Das kommt aus den Rücklagen oder aus unseren privaten Schatullen.
Wären Ticketgutscheine eine Lösung?
Ich finde nicht. Wenn wir jetzt über Ticketgutscheine Geld bekommen, dann haben wir das jetzt zwar, aber wenn wir dann aufführen, dann haben wir es wieder nicht. Das heißt, wir müssten das Geld zurücklegen.
Jetzt machen wir ja im Moment alles online, wir arbeiten online, wir hören online Konzerte, wir führen online Interviews. Ist Online-Theater die Zukunft?
Ich kann mir das nur schwer vorstellen. Man kann online nicht vernünftig proben. Eine Brühler Firma hat angeboten, in ihren Räumen eine Theateraufführung zu filmen und ins Netz zu stellen. Warum sollen wir uns im Netz präsentieren? Da kriegen wir kein Geld für, da wissen wir nicht, wen wir erreichen, es gibt keinen direkten Zuschauerkontakt. Und als Zuschauer kann ich auch weiter Fernsehen gucken. Theater ist doch ein ganz emotionales Ding, das ich direkt auf der Bühne erlebe, als Zuschauer und als Schauspieler. Man kann das machen mit dem Filmen, man geht ja auch ins Kino. Aber Theater hat noch mal deine ganz andere Bedeutung.
Wer gerade drei kleine Kinder zu Hause betreut und mit ihnen Hausaufgaben macht oder wer vor der Frage steht, ob er im nächsten Monat noch Geld verdient, der wird die Sorgen der Theaterleute für ein Luxusproblem halten. Warum sind sie kein Luxusproblem?
Stellen wir uns vor, es gibt einen Tag lang keine Zeitung, es gibt keine Bücher, es gibt keine Kinos mehr, das Fernsehen zeigt nur noch Testbild, WhatsApp und Facebook wurden abgeschaltet, das Radio sendet nur noch Jingles. Wenn die Kultur wegbricht, das ist unmöglich. Man kann sich ein Leben ohne Kultur nicht vorstellen. Nicht nur, weil man zufällig Theatermacher ist, sondern weil wir ständig von Kultur umgeben sind. Und deswegen sind Amateurtheater, Chor, Bildende Kunst systemrelevant. Wenn wir das alles wegbrechen lassen, bedeutet das eine absolute Verarmung unserer Gesellschaft.