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„Loss mer Weihnachtsleeder singe“Der größte Chor Kölns glänzt im Stadion

Lesezeit 6 Minuten

Beim Mitmachkonzert „Loss mer Weihnachtsleeder singe“ stimmen 48.000 Sängerinnen und Sänger zusammen Lieder an – gemeinsam mit bekannten Bands.

Es ist der Abend vor Heiligabend, es ist regnerisch und windig und der nächste Schnee ist wohl weiter entfernt als die Nordseeküste in den Niederlanden, trotzdem knistert es vor weihnachtlicher Vorfreude im weiten Viereck des stimmungsvoll ausgeleuchteten Rhein-Energie-Stadions. Wo sonst grüner Rasen liegt, leuchtet jetzt die Eisfläche vom Wintergame der Kölner Haie.

Weihnachtlich erleuchtetes Stadion.

Weihnachtlich erleuchtetes Stadion.

Nach zwei Jahren Pandemie-Pause ist „Loss mer Weihnachtsleeder singe“ zurück im mit 48 000 Besuchern ausverkauften Stadion. „Das Stadion ist voll und klingt wie der größte Chor des Rheinlands“, sagt Bastian Campmann von Kasalla und fügt lachend hinzu: „Oder der Welt vielleicht, das wäre dem Kölner noch lieber. Weniger Rock’n’Roll, mehr Besinnung – wir freuen uns drauf.“

Ein Wermutstropfen: Weil die KVB zu wenig Personal für die bestellten Sonderzüge hatte, kam es zu einem Verkehrschaos, das Konzert begann mit einiger Verzögerung.

Das Opening

Zur Eröffnung der sechsten Ausgabe von „Loss mer Weihnachtsleeder singe“ singen alle das Lied, das in der Christmette eher ganz am Ende kommt: „Stille Nacht“, eines der bekanntesten Weihnachtslieder der Welt, das in 320 Sprachen und Dialekte übersetzt wurde und seit 2011 immaterielles Unesco-Weltkulturerbe in Österreich ist. Die Inszenierung sorgt direkt für Gänsehaut, wird das Stadion doch weitgehend abgedunkelt, bevor Geiger Christoph Broll mit der am 24. Dezember 1818 in der Nähe von Salzburg erstmals aufgeführten Melodie von Franz Xaver Gruber einsetzt.

Jugendchor St. Stephan im Rhein-Energie-Stadion.

Jugendchor St. Stephan im Rhein-Energie-Stadion.

Wie ein kleiner Stern steht der Musiker im Lichtkegel eines Spots, bevor Maria Berger vom Jugendchor St. Stephan mit dem Text einsetzt. „Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht, nur das traute hochheilige Paar …“ Mit der Band stimmen auch die 48 000 Kehlen auf den Rängen ein. „Wir wollten dieses wunderbare Lied ganz am Anfang singen, um den Menschen noch einmal vor Augen zu führen, welch stille Zeit Corona-bedingt hinter uns liegt“, erklärt der musikalische Leiter Michael Kokott den ungewöhnlichen Auftakt. Damit die Sänger im Stadion stimmlich nicht an ihre Grenzen bei den hohen Tönen zum Ende der Strophen kommen, wird der Song zwei Töne tiefer gespielt. „Da bin ich Praktiker“, sagt Kokott, „das macht es für alle leichter.“

Die Südkurvenchöre

Direkt hinter der Bühne haben sich dort, wo bei FC-Spielen die besten Fans der Welt für Stimmung sorgen, die Südkurven-Chöre aufgestellt. 24 Chöre aus Köln und der Region mit fast 1000 Sängerinnen und Sängern sind angetreten, um dem Stadionchor stimmliche Grundlage und Führung zu geben. Natürlich hat Michael Kokott seine Chöre wie den Jugend- und den Erwachsenenchor St. Stephan, die Lucky Kids oder die „Spätlese“, ein Seniorenprojekt, mitgebracht.

Aber auch andere Gruppen wie ein Familienchor aus Weiler, ein Spontan-Chor aus Brauweiler, ein Kölsch-, ein Gospel- oder ein A-cappella-Chor tragen zur Stimmung bei. Aus Köln kommen der Chor der Selbsthilfe, Frisch vom Bass oder die Fründe der Akademie für uns kölsche Sproch, aus Bonn ist der Jazzchor angereist. Alle haben von Kokott schon vor Wochen die Notationen der mehrstimmigen Gesänge bekommen und diese einstudiert. Die Arbeit hat sich gelohnt, der Klangkörper weiß zu begeistern.

Der Musikchef

„Das ist das Größte, was einem passieren kann“, sagt Michael Kokott, bei dem alle musikalischen Fäden zusammenlaufen. „Live im Stadion – das hat eine Dimension, die es sonst nicht gibt, wenn du Chormusik machst.“ Ob Philharmonie oder Arena, alles sei kleiner, und selbst bei den zahlreichen TV-Auftritten könne man zwar das Millionenpublikum vor den Bildschirmen erahnen, „aber im Studio sind ja maximal ein paar Hundert.“

Der 62-jährige Vater von drei Töchtern ist studierter Kirchenmusiker und leitet übers Jahr rund zehn Chöre aus allen Generationen. Seit dem Jahr 1985 arbeitet der Kantor und Organist mit dem Jugendchor St. Stephan und gehört zu den renommiertesten Chorleitern Deutschlands. Er dirigiert den Südkurvenchor, hat außerdem das Programm für den Abend zusammengestellt und moderiert den Abend. Sein Highlights sind „süßer die Schlüssel nie klingeln („Jingle Bells“), bei dem alle mit ihren Schlüsseln rasseln und „All I Want for Christmas“, einen eher banalen Song, „aber das Lied fasziniert mich, weil es das ganze Stadion zum Tanzen bringt. Mit Chormusik, das ist genial.“

Frau des Abends

Die weibliche Stimme des Abends gehört Maria Berger. Die Solistin des Jugendchor St. Stephan hat nach neun Jahren ihren letzten Auftritt und glänzt neben „Stille Nacht“ vor allem mit dem Gospel „Oh, Happy Day“ und Leonard Cohens „Hallelujah“.

Et schönste Leed

Ein Song, der ursprünglich gar kein Weihnachtslied ist, liefert einen der emotionalen Höhepunkte. „Sing mich noh Hus“ von Kasalla erzählt, was wohl vielen Menschen vor Weihnachten so durch den Kopf geht und zeigt, was für großartige Lieder diese Band schreiben kann.

Manchmol han ich Heimwieh/ Dobei ben ich nit fott/ Un de Welt es mir fremd,/ minge Kompass kapott/ Dann bruch ich jet, wat sich anföhlt/ Wie als Kind bei de Mamm/ Maach dat Leech noch nit us,/ domet ich schlofe kann/ Un dann hilf mir am Engk nur e Leed/ Dat Jeföhl, dat mich einer versteiht/ Un wenn ich et hür, dann weiß ich, dat et irjendwie jeiht/ Kumm un sing mich noh Hus...
Auszug aus „Sing mich noh Hus“ von Kasalla

Das bringt den Abend und die Stimmung auf den Punkt, voller Poesie und Nachdenklichkeit, voller Herz und ganz ohne Kitsch – einfach nur schön.

Die Künstler

Für ein anderes Highlight steht ein Sänger, der laut Kokott „eine sensationelle Stimme, eine der Besten von Köln“ hat: Frank Reudenbach von den Klüngelköpp. Der frühere Show- und Barsänger hat extra seinen Urlaub verlegt, um im Stadion dabei sein zu können. Reudenbach darf sich erst beim funky-groovigen „Let it Snow“ austoben, bevor er mit „Stääne“ das Stadion und die Handylampen der Anwesenden zum Strahlen und Leuchten bringt.

Cat Ballou-Sänger Oliver Niesen.

Cat Ballou-Sänger Oliver Niesen.

Die Höhner, die mit Patrick Lück, Jens Streifling, Micky Schläger und Freddy Lubitz vierstimmig vertreten sind, behaupten in ihrem „Gloria in excelsis Deo“ auf Kölsch „Engel jitt et“ und schließen ein weltmusikalisches „Feliz Navidad“ an. Für Patrick Lück, den neuen Frontmann, ist es der erste Auftritt im Stadion: „Man glaubt ja nicht, dass nach diesem für mich sensationellen Jahr noch etwas obendrauf kommen kann, aber dieser gigantische Chor macht mir echte Gänsehaut.“

Mit klassischem deutschem Liedgut bringt Björn Heuser die Menge zum Mitsingen: von „Ihr Kinderlein kommet“ über „Oh, Tannenbaum“ bis zu „Leise rieselt der Schnee“. Und Cat Ballou lassen die Welt stillstehen, bevor sie „In der Weihnachtsbäckerei“ wieder Tempo machen.

Die Friedensbotschaft

Das junge Frauen-Vokalnsemble Ukraine.

Das junge Frauen-Vokalnsemble Ukraine.

Bei aller weihnachtlicher Vorfreude wird der Krieg in Europa nicht vergessen. Eine klare Friedensbotschaft sendet mit „You raise me up“ ein junges Frauen-Vokalensemble aus der Ukraine, das Christoph Broll auf der Violine begleitet. Die Frauen sind alle vor dem russischen Überfall auf die Ukraine geflüchtet, und haben sich in Köln zu einem Chor zusammen gefunden.

Der Song, der auf Deutsch bedeutet „Du ermutigst mich“, wurde 2001 von Rolf Løvland und Brendan Graham geschrieben und war in zahlreichen Coverversionen erfolgreich, etwa von Josh Groban oder Westlife. Mit einem auf den Ukrainekrieg umgeschriebenen Text soll er den unter dem Krieg leidenden Menschen Mut machen.

Das Finale

Zum Finale nach rund zwei Stunden kommen alle Künstler noch einmal auf die Bühne und verabschieden sich mit „We are the World“ und dem Willi-Ostermann-Lied „Heimweh noh Kölle“. Stimmungsvoll geht ein Abend zu Ende, nach dem Heiligabend kommen kann. Wer hier dabei war, ist jedenfalls bestens vorbereitet. Wer „Loss mer Weihnachtsleeder singe“ 2022 verpasst hat, kann sich auf dieses Jahr freuen – am 23. Dezember 2023 wird es eine 7. Auflage geben. Die letzten Karten sind bald verfügbar. Infos zu Ticketverkauf finden Sie in Ihrer Tageszeitung. (red)