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Kölner Serie „Spurensuche“Wie das „Kölner Ereignis“ zur Geburtsstunde des politischen Katholizismus wurde

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Die Deutzer Kürassiere in Köln

Die Deutzer Kürassiere in Köln

Historiker Anselm Weyer widmet sich diesmal dem „Bekennerbischof“ Clemens August von Droste-Vischering.

Schwere Regenwolken hingen am dunklen Abendhimmel, als eine Abteilung Dragoner am 20. November 1837 von Deutz über die Schiffbrücke nach Köln ritt. Zeitgleich räumte ein Infanterie-Bataillon möglichst diskret den Gereonsplatz und besetzte auf allen Seiten die Zugänge der Gereonstraße.

Von Gendarmen eskortiert schritt sodann Ernst von Bodelschwingh, Oberpräsident der Rheinprovinz, begleitet vom Regierungspräsidenten Karl Ruppenthal sowie dem Kölner Oberbürgermeister Johann Adolph Steinberger, über den stillen Gereonsplatz zur Pforte des erzbischöflichen Palais. Sie waren gekommen, um den Kölner Erzbischof zu verhaften.

Der Priesterberuf lag in der Familie des am 22. Januar 1773 geborenen Clemens August Freiherr Droste zu Vischering. In bewegten Zeiten weihte ihn sein eigener Bruder Kaspar Maximiliam, Weihbischof von Münster, am 14. Mai 1798 zum Priester. Französische Truppen waren im Land, säkularisierten Kirchenbesitz und griffen beherzt in das tägliche Wirken der Kirche ein. Clemens August versuchte als Generalvikar, Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche vor der Staatsgewalt zu verteidigen. Diese Aufgabe wurde nicht leichter, als die Franzosen nach Napoleons Niederlage aus Westfalen abzogen und die protestantischen Preußen in Westfalen und im Rheinland die Macht übernahmen.

In Konflikt mit dem Staat geraten

1832 verstarb der Kölner Erzbischof Ferdinand August von Spiegel. Und ausgerechnet der so streitbare wie kompromisslose Clemens August von Droste-Vischering, mittlerweile von seinem zum Bischof von Münster aufgestiegenen Bruder zum Weihbischof befördert, wurde am 29. Mai 1836 als Nachfolger inthronisiert. Sofort geriet er in Konflikt mit dem Staat. Mit den Preußen waren nämlich vorzugsweise protestantische Beamte ins katholisch geprägte Rheinland gekommen, sodass die Zahl gemischter Ehen zunahm. Welche Konfession aber sollten nun deren Kinder haben?

Ein Gemälde von Erzbischof Clemens August Droste zu Vischering.

Erzbischof Clemens August Droste zu Vischering im so genannten Legatenpurpur, das die Erzbischöfe von Köln auch tragen dürfen, wenn sie wie Droste keine Kardinäle sind.

Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. verfügte, dass sämtliche Kinder in der Religion des Vaters erzogen werden sollten. Der Papst allerdings verlangte bei Mischehen das Versprechen, die Kinder katholisch zu erziehen. Der verstorbene Kölner Erzbischof Spiegel hatte in einer geheimen Vereinbarung mit dem preußischen Ministerpräsidenten von dieser Forderung Abstand genommen. Davon wollte aber sein Nachfolger nichts wissen. „Ich werd's nicht dulden“, soll Clemens August gerufen haben, als er eine Abschrift der Vereinbarung zu Gesicht bekam.

„Ich glaubte, in Frieden mein Amt führen zu können, aber ich sehe, Gott hat mich zum Kampfe bestimmt.“ Den Kampf nahm die preußische Regierung an. Falls er nicht das unzweideutige Versprechen gebe, bei gemischten Ehen die Praxis fortbestehen zu lassen, wie er sie bei Antritt seines Amtes vorgefunden hatte, werde ihn der König seiner amtlichen Wirksamkeit entheben, ließ diese ausrichten. Droste-Vischering dachte gar nicht dran. Also beschloss der Ministerrat seine gewaltsame Abführung.

Der Erzbischof saß am 20. November 1837, abends 6 Uhr, zwar noch am Schreibtisch, trug aber bereits seinen Schlafrock, als plötzlich die Tür seines Arbeitszimmers aufgeworfen wurde. Herein traten Ernst von Bodelschwingh, der Oberpräsident der Rheinprovinz, begleitet von Regierungspräsident von Ruppenthal und Oberbürgermeister Steinberger. Droste stand auf, als Oberpräsident von Bodelschwingh eine Kabinetts-Ordre hervorzog und verlas. Der Erzbischof habe die Wahl, sich entweder freiwillig nach Münster zurückzuziehen oder als Gefangener nach Minden transportiert zu werden.

„Der gute Hirte verlässt seine Herde nicht!“, antwortete der Erzbischof. „Dann erkläre ich im Namen des Königs: Sie haben Köln und die Erzdiözese zu verlassen und werden nach Minden transportiert werden.“ „Das muss ich mir gefallen lassen.“ „Werden Sie der Gewalt weichen!“, fragte der Oberpräsident. „Ich weiche der Gewalt“, erklärte der Erzbischof. „Ich weiche kein Haarbreit ab von dem, was ich erklärt habe: von meiner Pflicht.“ Dann ging es vor die Haustür, wo seiner ein angespannter Wagen mit Gendarm auf dem Bock harrte. Unmittelbar vor dem Einsteigen blickt Clemens August dem Oberpräsidenten noch einmal tief in die Augen und sagte: „Alle Haare unseres Hauptes sind gezählt!“

Mit ihm in den Wagen stieg noch der Obrist der Gendarmerie aus Koblenz. „Die Türen Ihres Wagens werden von außen zugeschlossen!“, rief der Oberpräsident noch. Dann ging es los. Mit der Fähre setzten Wagen und Reiterei über den Rhein nach Mülheim, danach ging es nach Minden. Dort lebte der Erzbischof zwar nicht in Festungshaft, sondern in einem angemieteten Quartier. Allerdings war dieses Tag und Nacht bewacht. Auch konnte er keinen Brief schicken oder erhalten, den nicht der Regierungspräsident zuvor gelesen hätte. Bei der katholischen Bevölkerung Kölns, aber auch in anderen Teilen der Welt, war die Aufregung groß. Der „Bekennerbischof“ galt als Märtyrer im Kampf gegen weltliche Übergriffe. Die Namen Clemens August oder Klementine gewannen an Popularität. Ebenso der St.-Clemens-Tag am 23. November.

Das „Kölner Ereignis“ wurde zur Geburtsstunde des politischen Katholizismus. Bis zum 21. April 1839 blieb Clemens August in Minden, danach durfte er sich auf ein Schloss seiner Familie im Münsterland begeben. Unterdessen verhandelten Rom und Berlin fleißig. Schließlich einigten sie sich. Der Papst durfte darauf bestehen, dass Kinder aus Mischehen katholisch getauft würden. Erzbischof Droste andererseits durfte nicht zurück nach Köln. König Friedrich Wilhelm III. bereute die Festnahme von Clemens August später bitter. Er „habe in seiner Eigenschaft als Protestant einen großen Fehler begangen“, denn nie habe der Katholizismus in seinen Staaten „solche Fortschritte gemacht, wie seit der unglücklichen Kölner Geschichte.“ Nebeneffekt war, dass die Begeisterung für den Weiterbau des Kölner Doms neu aufflammte.

Die Grundsteinlegung des Weiterbaus musste allerdings ohne Erzbischof auskommen. Aber das sollte ja bei der Einweihungsfeier 1880 nicht anders sein. Clemens August sah Köln nur noch einmal wieder, als er im Sommer 1844 mit 71 Jahren nach Rom reiste. Er erzählte aber niemandem von seinem Besuch und übernachtete in Deutz, um nur ja keinen Aufruhr zu verursachen. Er starb am 19. Oktober 1845 in Münster.