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Nach RauswurfWie es Hansi Flicks Vorgängern zum Amtsende erging

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Hansi Flick und Rudi Völler

Hansi Flick und Rudi Völler

Nach dem Rauswurf von Bundestrainer Hansi Flick endet für die Nationalelf eine Ära. Das Team braucht nun mehr als eine rettende Übergangslösung. Für Rudi Völler schließt sich in Dortmund ein Kreis.

Richtig ist, dass Hansi Flick der erste Bundestrainer in der Geschichte des deutschen Fußballs ist, der klassisch entlassen wurde. Falsch ist, dass alle, die von dem Amt zurücktraten, wirklich freiwillig gingen. Einer, der tatsächlich aus freien Stücken abtrat, löste damit den Beginn einer Ära aus, die gerade erst zu Ende gegangen ist.

„Derwall, sei gnädig und geh!“ Charmant wie immer senkte die „Bild“-Zeitung im Sommer 1984 den Daumen nach unten – und schlug den eigenen Kolumnisten unter der Schlagzeile „Franz: Ich bin bereit“ als Nachfolger vor. Ein paar Tage lang musste Jupp Derwall nach dem 0:1 gegen Spanien und dem EM-Vorrunden-Aus ein Spießrutenlaufen über sich ergehen lassen. Der fröhliche Rheinländer, ein Freund der langen Leine im Umgang mit Spielern, machte Platz für den Kaiser, Franz Beckenbauer.

Ein makelloser Abschied vom Amt

Der war nicht nur der erste Bundestrainer ohne ordentlich erworbene Fußballlehrer-Lizenz, sondern auch der erste, dem ein makelloser Abschied vom Amt gelang. Das war trotz seines Weltmeister-Triumphs von Rom 1990 keine historische Selbstverständlichkeit: Sepp Herberger (1954) und Helmut Schön (1974) schützte der WM-Titel nicht vor Spott und Kritik, als sie nach verkorksten Weltmeisterschaften planmäßig und angekündigt zurücktraten.

Der schlaue Franz wusste, was zu tun war: Er trat auf dem Gipfel seines Schaffens zurück und hinterließ seinem Nachfolger Berti Vogts einen seiner berühmten Sätze: „Wenn jetzt noch die Spieler aus der DDR dazukommen, sind wir auf Jahre nicht zu besiegen.“ Der tapfere Berti kämpfte verbissen gegen die Kluft zwischen Erwartungsdruck und schwindender Klasse und überstand zwei missratene WM-Expeditionen (1994 und 1998), weil er zwischendurch Europameister wurde.

Aber als dann die Fußball-Nation die DFB-Auswahl nach zwei schwachen Testspielen auf Malta (2:1 gegen Malta, 1:1 gegen Rumänien) am Tiefpunkt sah und außerdem über die „ballorientierte Gegnerdeckung“ von Vogts den Kopf schüttelte, gab er auf. „Man gibt mir keine Zeit, etwas aufzubauen, die Kritik entzündet sich an mir. Ich will meinen Rest an Menschenwürde verteidigen.“

Eine Talfahrt unter Erich Ribbeck

Keiner bat ihn zu bleiben, dabei hätten das viele rückblickend getan, wenn sie gewusst hätten, wie rasant sich die Talfahrt unter Erich Ribbeck fortsetzen sollte. Knapp zwei Jahre später übernahm der elegante und eloquente „Sir“ die „volle Verantwortung für das katastrophale Abschneiden“ für den sieglosen K.o. in der EM-Vorrunde 2000. Es war das Ende seiner Karriere. Nun schlug die Stunde von – Rudi Völler. Er wurde der erste Bundestrainer, der das Amt nicht wollte, es widerwillig übernahm und wirklich freiwillig abgab. Als Nachfolger von Ribbeck war zunächst der Leverkusener Startrainer Christoph Daum auserwählt worden. Weil sein Verein ihn jedoch erst im Sommer 2001 freigeben wollte, wurde ein Interimstrainer für eine Saison gesucht – und bei einem Geheimtreffen einer Taskforce rief DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder: „Rudi, das kannst du doch machen!“

Und Rudi, damals Sportdirektor bei Bayer 04, machte – zähneknirschend und leicht die Augen verdrehend. Ein paar Monate log sich Kokain-Konsument Daum um Kopf und Kragen und war als Bundestrainer unmöglich; es war der große Karriere-Knick, den er nie reparieren konnte.

Weil Volksheld Rudi die Mannschaft trotz unübersehbarer Schwächen auf Trab gebracht hatte und die Menschen ihn so in ihr Fußballherz schlossen, blieb er im Amt, das er nicht gewollt hatte. Bei der WM 2002 wurde seine fußballerisch limitierte Mannschaft Vizeweltmeister – gefeiert wurde „Rudi Riese“. Selbst als im portugiesischen Sommer 2004 die deutsche Mannschaft ein erbärmliches Bild abgab und die EM-Vorrunde nicht überstand, spielten weder die Medien noch die Fans „Haut den Rudi“.

Er hatte trotzdem genug, obwohl alle um ihn herum bis zum Beginn der Pressekonferenz am Tag nach dem 1:2 gegen die Tschechen am Rücktritt hindern wollten. Er tat's trotzdem, ging aufrecht und ehrlich; seinem Ruf als volksnaher Repräsentant des Fußballs hat das nicht geschadet.

Es braucht einen radikalen Wandel

Und so muss man wohl damit rechnen, dass er bei seiner Rückkkehr auf die Bundestrainer-Bank heute Abend in Dortmund von „Es gibt nur ein' Rudi Völler“-Gesängen empfangen wird. Und wenn Deutschland dann noch gegen Frankreich gewinnt…

Nein, das macht unser Rudi ganz gewiss nicht mehr. Er hat schon genug getan, und dazu gehört auch sein Rücktritt. Der löste nämlich den nationalen Schock aus, der den DFB dazu zwang, die Mängel im eigenen Laden nicht mehr zu übertünchen, sondern komplett auf den Kopf zu stellen. So sagte es der neue Mann, der das Unternehmen Nationalmannschaft völlig neu aufstellte und dabei keinen Stein auf dem anderen ließ.

So sagte es Jürgen Klinsmann, als er 2004 wie ein Start-up-Boy aus Kalifornien einschwebte und den DFB zu einer radikalen Reform (oder war es eine Revolution?) zwang. Es war der Beginn einer Ära, die erst jetzt zu Ende gegangen ist. Denn auch Flick gehörte zum Klinsmann-Kosmos, den Joachim Löw und Oliver Bierhoff nach dem Abgang des Projektmanagers weiter am Laufen hielten – bis nichts mehr übrig war von den Ideen, dem Schwung und der Begeisterung des Neuanfangs.

Der war 2004 nötiger denn je, und es war Völler, der den Weg dazu freimachte. Nun schließt sich der Kreis, wenn Völler noch einmal als Bundestrainer auftritt. Danach ist jedoch nicht Schluss für ihn, denn als Sportdirektor ist er mitverantwortlich für den nächsten Neuanfang. Und der muss mindestens so radikal ausfallen wie der von 2004.