AboAbonnieren

Rugby-WMWarum der raue Sport für zarte Männer die halbe Welt fasziniert

Lesezeit 4 Minuten
21.10.2023, Frankreich, Saint-Denis: Rugby: WM, England - Südafrika, K.o.-Runde, Halbfinale, Stade de France: Freddie Steward aus England hält den Ball. Foto: Thibault Camus/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

21.10.2023, Frankreich, Saint-Denis: Rugby: WM, England - Südafrika, K.o.-Runde, Halbfinale, Stade de France: Freddie Steward aus England hält den Ball. Foto: Thibault Camus/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Während am Samstag die halbe Welt dem Finale der Rugby-WM zuschaut, werden in Deutschland nur einige Eingeweihte vor dem Fernseher sitzen.

Wenn am Samstagabend im Stade de France bei Paris das Finale der 10. Weltmeisterschaft im „Rugby Union“, der verbreitetsten Rugby-Variante, zwischen Neuseeland und Südafrika angepfiffen wird, dann wird die halbe Welt vorm Fernseher sitzen, während die wilde Rauferei um das „Leder-Ei“ in Deutschland nur einige Eingeweihte begeistert. Doch was macht diesen Sport aus, bei dem das geübte Auge „Rucks“, „Scrums“ und „Mauls“ sieht, das ungeübte aber nur menschliche Haufen, unter denen irgendwo der Ball begraben scheint?

Wer Rugby-Enthusiasten fragt, stößt schnell auf ein ausgeprägtes Streben nach Distinktion vom „normalen“ Fußball. Das hat auch historische Gründe. Während sich 1863 Vertreter verschiedener Spielarten des Fußballs auf ein gemeinsames Regelwerk einigten und die „Football Association“, den bis heute bestehenden englischen Fußball-Verband, gründeten, machte die Schule im englischen Rugby in der Grafschaft Warwickshire neben anderen nicht mit. Ein „Fußball für Weicheier“, bei dem das physische Attackieren des Gegners nicht mehr erlaubt sein sollte, kam nicht in Frage, und so gründeten die Abtrünnigen 1871 mit der „Rugby Football Union“ einen eigenen Verband.

Ein rauer Sport für zarte Männer

Ein Bonmot besagt: „Football is a gentle sport for rough men, Rugby is a rough sport for Gentlemen.“ (Fußball ist ein zarter Sport für raue Männer, Rugby ist rauer Sport für zarte Männer, ergo: Gentlemen.) Aufs Gentlemen-sein, hält man beim Rugby viel. Das gilt für Spieler, wie für Fans. Die sitzen beim Besuch im Stadion nicht in Blöcken unterteilt, sondern bunt gemischt — egal ob Liga- oder Länderspiel. Stress, Krawall, Gewalt? Absolute Fehlanzeige auf den Rängen. Die Sache mit der „Gewalt“ überlässt man den Teams, die sich in 80 Spielminuten wirklich nichts schenken. Nach einer Partie heißt es für die Spieler: Mund abputzen und dem Gegner mit Handschlag für die Partie danken.

Gibt es einen Straftritt, heißt es: „Respect the kicker!“ Im Stadion sind dann „Freund und Feind“ still, wegen der Konzentration. Mit Respekt wird auch dem Referee begegnet. Seine Entscheidungen werden im Rugby Football nicht kritisiert – in der Regel nicht mal vom Publikum. Den Schiedsrichter ansprechen, darf lediglich der Kapitän einer Mannschaft. Die korrekte Anrede lautet: „Sir!“ Als im WM-Viertelfinale vor knapp zwei Wochen die Partie zwischen Frankreich und Südafrika auf des Messers Schneide stand, foulte der südafrikanische Zweite-Reihe-Stürmer Eben Etzebeth einen Gegenspieler am Kopf. Eine zwingende gelbe Karte, die beim Rugby eine zehnminütige Zeitstrafe nach sich zieht. Der über zwei Meter große und annähernd 120 Kilogramm schwere Etzebeth ist nicht irgendein Spieler der „Springboks“, er ist ein Schlüsselspieler. Was machte der 31-Jährige, nachdem er den gelben Karton gesehen hatte? Er nickte schuldbewusst, joggte zum gefoulten Gegenspieler, entschuldigte sich und begab sich auf die Strafbank. Kommentarlos, versteht sich. Was machten Etzebeths Mitspieler? Nichts, außer die Entscheidung des Unparteiischen hinzunehmen.

Keine Zeit für Eitelkeit

Für TV-Zuschauer ist das Agieren des Referees transparent. Über ein Mikrofon wird übertragen, wie er Spielsituationen interpretiert. Dabei coacht er auch die Spieler, gibt klare Hinweise, was erlaubt ist und was nicht. Ist ein Ballträger zu Boden gebracht – ausnahmslos er darf im Rugby attackiert werden – und der Ball darf nicht mehr mit der Hand gespielt werden, ruft der Referee: „No hands“, und jeder weiß, was Sache ist. Auch bei schwereren Fouls sind die Beratungen des Hauptschiedsrichters mit seinen Assistenten für die TV-Zuschauer zu hören, die getroffene Entscheidung nachvollziehbar.

Apropos Fouls: Ein weiteres Bonmot im Rugby lautet: „Im Fußball versucht man 90 Minuten so zu tun, als sei man verletzt; im Rugby versucht man 80 Minuten so zu tun, als sei man es nicht.“ Fouls werden nicht geschunden. Wenn ein Spieler am Boden liegen bleibt, kann man davon ausgehen, dass es ernst ist. Schwerere Verletzungen gibt es dennoch erstaunlich selten. Kleinigkeiten wie Platzwunden werden am Spielfeldrand getackert und verbunden. In blutende Nasen werden Tampons gestopft. Für Eitelkeiten ist einfach keine Zeit. Dann geht's zurück ins Getümmel. Verrückte Typen, diese Rugby Footballer.


Rugby-WM

Im Spiel um Platz 3 treffen bereits an diesem Freitag (21 Uhr) Argentinien und England aufeinander. In der Vorrunde hatte England Argentinien überraschend deutlich 27:13 besiegt, obwohl England nach Roter Karte 77 Minuten in Unterzahl spielte – eine taktische Meisterleistung. An diesem Samstag steigt dann um 21 Uhr das Finale zwischen den beiden Dreifachweltmeistern Neuseeland und Südafrika. Nachdem Neuseeland das Auftaktspiel gegen Gastgeber Frankreich 27:13 verloren hatte, spielten die „All Blacks“ sich souverän durchs Turnier. Eng wurde es nur im Viertelfinale gegen Irland, das 28:24 besiegt wurde. Südafrika setzte sich im Viertelfinale gegen Frankreich (29:28) und im Halbfinale gegen England (16:15) jeweils denkbar knapp durch. Beide Partien sind auf ProSieben Maxx und ran.de frei empfänglich.