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Interview mit Weltmeister Jürgen Kohler„Der EM-Titel würde Italien Hoffnung geben“

Lesezeit 4 Minuten

Jürgen Kohler war zuletzt als U19-Trainer des Drittligisten FC Viktoria Köln tätig.

Wenn Italien am Sonntag zum Finale der Fußball-Europameisterschaft gegen England antritt, schaut Jürgen Kohler genau hin.  Im Interview mit Daniel Mertens spricht der Weltmeister von 1990 über die Stärken der Italiener, die Bedeutung des möglichen Titels für das Land, das sportliche Niveau des Turniers und die  DFB-Auswahl.

Herr Kohler, hat Sie der Final-einzug Italiens überrascht?

Nein. Mit einem Blick in die beeindruckende Statistik der Italiener aus den vergangenen Jahren kam es wenig überraschend, dass sie im Turnier so weit gekommen sind.

Aus Ihrer Sicht als ehemaliger Weltklasse-Verteidiger: Wie wichtig ist ein erfahrenes Abwehrduo wie Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini?

Roberto Mancini hat es geschafft, ein gutes Team zu formen. Bonucci und Chiellini kennen sich aus dem Verein bei Juventus und sind derzeit im zweiten Frühling. Sie sind zwei wichtige Stabilisatoren in dem Teamgefüge und nicht nur als Spieler, sondern auch außerhalb des Platzes bedeutsam.

Zur Person

Jürgen Kohler wurde am 6. Oktober 1965 in Lambsheim geboren. Nach der Ausbildung bei Waldhof Mannheim war der 1. FC Köln seine erste Station. Es folgten Bayern München, Juventus Turin und Borussia Dortmund. Kohler wurde italienischer und deutscher Meister und gewann mit dem BVB 1997 die Champions League. Der 105-fache Nationalspieler wurde 1990 Weltmeister. Nach der aktiven Karriere war er unter anderem deutscher U21-Nationaltrainer, Coach beim MSV Duisburg und Sportdirektor bei Bayer 04 Leverkusen. Zuletzt trainierte er die U19 des FC Viktoria Köln. (dm)

Was ist die Stärke des italienischen Spiels?

Sie sind taktisch sehr gut geschult und ausgereift. Sie haben zudem junge, hungrige Spieler dazubekommen, die sehr gerne für ihr Land spielen.

Sie wurden Weltmeister in Rom, haben vier Jahre in Turin gespielt. Wie ist heutzutage Ihre Bindung nach Italien?

Ich verfolge die italienische Liga noch, ohne aber jedes Wochenende die Spiele anzuschauen. Ich schalte ein, wenn interessante Spiele anstehen.

Was würde ein EM-Titel für das Land bedeuten?

Gerade nach dieser harten Pandemie-Phase würde es den Menschen im Land Fiducia geben, was auf Deutsch so viel wie Selbstvertrauen bedeutet. Ein sportlicher Erfolg würde dem Land guttun, wenn du so gebeutelt worden bist. Es gibt dir ein Stück Hoffnung, dass es nicht nur sportlich, sondern auch allgemein nach vorne geht. Das war in Deutschland genauso, wenn Titel gewonnen wurden.

Wie bewerten Sie den Auftritt der deutschen Mannschaft?

Es war natürlich enttäuschend. Man hat es nicht geschafft, aus dem Portugal-Spiel ausreichend Energie mitzunehmen. Stattdessen hat man sich gegen Ungarn direkt wieder schwergetan und ist glücklich weitergekommen. Das Aus war dann zwangsläufig. Man muss die Spieler dort aufstellen, wo sie ihre beste Leistung bringen. Im Vorfeld war zudem zu viel Unruhe wegen der Nominierungen, insbesondere hinsichtlich der Rückkehrer. Man muss da eine klare Linie haben. Ich denke, Hansi Flick wird auch genau das machen. Er wird sich relativ früh in diesem Jahr festlegen, wer 2022 die Weltmeisterschaft spielen wird.

Wer wird Europameister?

Durch meine Vergangenheit in Italien ist es natürlich klar, dass ich Tifosi bin. Es wird ein spannendes Finale. Ich wünsche mir, dass Italien gewinnt, aber England hätte es genauso verdient.

Wie bewerten Sie die Qualität des Turniers?

Das Niveau war etwas schwächer als in den vergangenen Jahren. Es gab auch ein paar gute Spiele wie Belgien gegen Italien oder Schweiz gegen Spanien und in der Runde davor gegen Frankreich.

Sie waren zuletzt U19-Trainer beim FC Viktoria Köln. Was machen Sie seither?

Ich habe einige Sichtungen gemacht, die während der Pandemiezeit möglich waren. Ich habe mir Spiele der Regionalliga und 3. Liga, aber auch im Nachwuchsbereich angesehen, um zu wissen, was in diesen Bereichen passiert. Zudem bin ich noch Unternehmer. Wenn interessante Angebote kommen, bewerte ich diese. Dies muss nicht zwingend ein Trainerjob sein, da ich in all den Jahren eine breite Palette an Funktionen im Fußball ausgeübt habe.