AboAbonnieren

Handball-WMDie Macht der deutschen Torhüter Wolff und Birlehm

Lesezeit 4 Minuten
15.01.2023, Polen, Kattowitz: Handball: WM, Deutschland - Serbien, Vorrunde, Gruppe E, 2. Spieltag: Deutschlands Torhüter Joel Birlehm (r) und Torhüter Andreas Wolff klatschen sich ab. (zu dpa: «Routinier und Rookie: Torhüter glänzen bei Handball-WM») Foto: Jan Woitas/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ein bislang erfolgreiches Team: Die deutschen Torhüter Joel Birlehm (r) und Torhüter Andreas Wolff klatschen sich ab.

Die Torhüter Joel Birlehm und Andreas Wolff hatten entscheidenden Anteil am deutschen 34:33-Sieg gegen Serbien bei der Handball-WM. Auch, weil sie als Team zusammenarbeiten.

Es ist keine ganz neue Geschichte, dass ein Handball-Torwart der wohl wichtigste Spieler einer Mannschaft ist. Weil der Schlussmann „Macht“ hat, wie es Joel Birlehm einmal sagte. Man ist geneigt, ihm zu glauben. Weil der 25-Jährige vom Fach ist. Und seine „Macht“ gerade erst demonstriert hat. Auf der größten aller Bühnen, der Weltmeisterschaft.

Andreas Wolff ist die nominelle Nummer eins

Beim 34:33-Sieg am Sonntag über Serbien avancierte der Schlussmann von den Rhein-Neckar Löwen mit acht Paraden zum Matchwinner für die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB). Zwei Tage zuvor gegen Katar war es Andreas Wolff, der den Gegner zur Verzweiflung brachte. Mit 15 Paraden, oder anders ausgedrückt: mit einer Machtdemonstration. Dass die Deutschen schon vor dem abschließenden Vorrundenspiel am Dienstag (18 Uhr, ZDF) gegen Algerien den Gruppensieg sicher haben, liegt deshalb nicht nur, aber zumindest zu einem Großteil an den zwei Torhütern.

Sie sind die Garanten des Glücks und kennen ihre Rollen. Wolff ist die Nummer eins. Birlehm sein Vertreter. Als Mann, der liefern muss, wenn der andere nicht liefern kann. So wie gegen Serbien. „Das sind die Momente, auf die ich mich vorbereitet habe“, sagte Birlehm, der gerade sein erstes großes Turnier bestreitet und sich in jeder Trainingseinheit intensiv mit Wolff austauscht: „Ich frage ihn, warum er was macht, ich will seine Gedanken verstehen.“ Sich in ihn hineinversetzen, ihn aber nicht kopieren. Beide haben ihren eigenen Stil, sind unterschiedlich.

Unser Ziel ist es, dass immer einer von uns beiden funktioniert.
Joel Birlehm, Torwart

Das müssen sie auch sein, denn das zeichnet ein gutes Torwartduo aus. Es geht darum, den Gegner vor andere Aufgaben, vor neue Herausforderungen zu stellen und in die Köpfe der Schützen zu gelangen. „Unser Ziel ist es, dass immer einer von uns beiden funktioniert“, erklärte Birlehm, der wie Wolff als ein vom Ehrgeiz Getriebener gilt. Doch beide sehen das große Ganze. „Man möchte immer selbst gut spielen“, gibt Birlehm zu: „Aber essenziell ist, dass einer gut spielt.“ Und der andere den Kollegen von der Bank unterstützt.

Wolff spricht von einem „Dialog“, der sehr wichtig sei: „Sowohl auf als auch neben dem Feld. Wenn ich nicht spiele, teile ich meine Gedanken mit ihm.“ Der Europameister von 2016 redet von „Harmonie“, „gegenseitigem Verständnis“ und einer „offenen Kommunikation“. Alles Dinge, für die die Reizfigur Wolff in ihrer bisherigen Laufbahn noch nicht bekannt war. Weshalb die Geschichte dieses deutschen Torwartduos auch die Geschichte eines Wandels ist. Und zwar von Wolffs Wandel.

Blinder Ehrgeiz führt nicht zum Ziel

Der gebürtige Euskirchener hat einen sicheren Hafen für sein Ego gefunden und gelernt, nicht beleidigt zu sein, wenn der Kollege spielt. Sondern sich mit ihm zu freuen, ihn zu unterstützen. Seine neue Leichtigkeit des Seins ist das Ergebnis eines rasanten Reifeprozesses samt bemerkenswerter Besinnung. Und gleichbedeutend mit dem Ende einer Ich-AG zwischen Pfosten. „Ich habe erkannt, dass dieser blinde Ehrgeiz nicht zielführend ist“, sagt Wolff, der sich lange Zeit maximal unter Druck setzte. Und zwar so sehr, „dass man kaum noch in die Halle kommt“, weil der Ballast so schwer und die Bürde so groß ist. „Weil man die Last der ganzen Welt auf seinen Schultern trägt.“

Eine Last, wie der 31-Jährige vor der WM im Gespräch mit dieser Redaktion anmerkte, die er sich „selbst aufgelegt“ habe. Denn der 31-Jährige wollte immer spielen und der umjubelte Held sein. Entsprechend war es stets ein kleiner Schock für ihn, wenn er mal auf der Bank saß. Das klingt nicht nur kompliziert, sondern das war es eben auch. Denn in diesen Momenten begann beim Keeper stets das Grübeln, das Kopfkino startete mit einem ganzen Bündel an Fragen und Zweifeln. Die Reservistenrolle? Sie war für ihn schlichtweg inakzeptabel und setzte einen Teufelskreis in Gang. Der Schlussmann beschäftigte sich vermehrt mit sich selbst – und weniger mit seiner Mannschaft oder mit seinem Torwartkollegen.

Doch das ist vorbei. Weil Wolff eine gereifte, vielleicht sogar geläuterte Persönlichkeit ist. Vor sieben Jahren ging sein Stern beim sensationellen EM-Triumph in Polen auf. Irgendwann war aber der Rummel größer als seine Leistung. Wolff zog sich deshalb zurück, ging auf Distanz. Nun ist er nicht nur wieder nahbar, sondern auch in Topform.