EM-Finale in WembleyBitteres Ende einer Traumreise
London – Es war 19.32 Uhr Ortszeit in London, als reihenweise die Spielerinnen in den Deutschlandtrikots auf den heiligen Rasen sanken. Torhüterin Merle Frohms war dabei diejenige, die gar nicht mehr aufstehen wollte, aber auch viele ihrer Vorderleute weinten hemmungslos. Letztlich blieb ein großer Kampf der deutschen Fußballerinnen unbelohnt.
Chloe Kelly entschied in der Verlängerung
Im EM-Finale gegen England zogen die DFB-Frauen letztlich unglücklich mit 1:2 (1:1, 0:0) nach Verlängerung den Kürzeren. Im neunten Endspiel war es die erste Niederlage für den Rekordeuropameister. Das deutsche Ensemble kam in einem spannenden Showdon nach dem Rückstand von Ella Toone (56.) noch durch Lina Magull (79.) zurück, um die Verlängerung zu erzwingen. Dort allerdings sorgte die eingewechselte Chloe Kelly für die Entscheidung (111.).
Chance auch ohne Titel – von Susanne Fetter
In England gibt es einen Spruch, den Gary Lineker prägte: Fußball ist ein einfaches Spiel, 22 Spieler jagen 90 Minuten einem Ball nach und am Ende gewinnen immer die Deutschen. Beim Frauenfußball war das lange so – besonders bei Europameisterschaften.
Nach dem ersten Titelgewinn 1989 in Osnabrück feierten die DFB-Frauen sieben weitere Triumphe. Immer, wenn sie ein EM-Endspiel erreichten, gewannen sie es – dieses Mal nicht. Und dennoch war diese Finalteilnahme etwas besonderes.
Denn während der Frauenfußball zuletzt international rasant fortschritt, verpasste man beim DFB zuletzt manche Entwicklung. Auch zu Beginn der Amtszeit von Martina Voss-Tecklenburg war Sand im Getriebe. Die 54-Jährige gilt als nicht gerade einfach, aber auch als Fachfrau mit extremem Ehrgeiz. Sie hat nicht nur die deutsche Auswahl wieder konkurrenzfähig gemacht, sondern auch sich selbst und die Arbeit mit ihrem Trainerteam weiterentwickelt. So formte sie eine Einheit, die eine Fußball-Nation mitriss. Auch, wenn am Ende nicht Titel Nummer neun stand und bei den deutschen Spielerinnen Tränen flossen. Das Turnier war dennoch ein Erfolg - für die DFB-Auswahl und den Sport ansich.
Die Begeisterung, die diese EM nicht nur in Deutschland schuf, ist eine große Chance für diesen Sport. Millionen fieberten vor den Bildschirmen mit, nie strömten so viele Zuschauer in die Stadien. Gelingt es diesen Schub in den Alltag zu übertragen, wäre das weit mehr wert als der Titel. Bei allen Equal-Pay-Debatten, sollte ein Fehler vermieden werden: Sich zu sehr am Männerfußball zu orientieren. Der Frauenfußball muss für seine eigenen Werte stehen und seine eigenen Vorbilder schaffen – von beidem hat er reichlich!
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg versuchte, das Resultat mit Fassung zu tragen – so schwer es ihr ihr auch fiel. „Wir waren nah dran, vor allem nach dem 1:1. Es ist am Ende mega-unglücklich. Aber England hat ein herausragendes Turnier gespielt und im eigenen Land dem Druck standgehalten. Wir können sehr stolz sein.“
England wurde vom Trauma befreit
Eine in London geborene Spielerin befreit England vom Trauma, 56 Jahre keinen großen Titel im Fußball gewinnen zu können. Sofort dröhnte die Hymne „Football“s Coming Home“ gefühlt über die ganze Insel. Bei dem infernalischen Lärm konnten viele deutsche Protagonisten nur schwer ertragen, was sie gerade erlebt hatten.
Voss-Tecklenburg eilte als Erstes zu Frohms, um ihrer Nummer eins aufzuhelfen. Nur schwer schleppte sich die Akteure durch das Spalier der Siegerinnen. In der Kabine und später beim Bankett in der Grafschaft Hertfordshire waren nicht nur von der Bundestrainerin viele aufbauende Worte nötig.
Millionen neuer Fans für das vorbildhafte Ensemble
Die Delegation wird sich damit trösten müssen, dass ein in vielerlei Hinsicht vorbildhaftes Ensemble bei diesem Turnier viel mehr erreicht hatte, als alle erwartet hatten. Dass es jetzt vor der gewaltigen Kulisse auf so unglückliche Art und Weise nicht mehr reichte, muss keinen groß grämen. Die Herzen von Millionen neuer Fans in der Heimat hat diese Gemeinschaft gewonnen. Voss-Tecklenburg wird nicht müde zu betonen, dass für die Zukunft viel Qualität in dieser zusammengewachsenen Gemeinschaft steckt. Bereits im nächsten Sommer steigt die WM in Australien und Neuseeland.
England - Deutschland 2:1 n. V. (1:1, 0:0)
England: Earps - Bronze, Bright, Williamson, Daly (88. Greenwood) - Stanway (89. J. Scott), Walsh - Mead (64. Kelly), Kirby (56. Toone), Hemp (120. Parris) - White (56. Russo).
Deutschland: Frohms - Gwinn, Hegering (103. Doorsoun), Hendrich, Rauch (113. Lattwein) - Oberdorf, Däbritz (73. Lohmann) - Huth, Magull
(91. Dallmann), Brand (46. Waßmuth) - Schüller (67. Anyomi).
Tore: 1:0 Toone (62.), 1:1 Magull (79.), 2:1 Kelly (111.)
Schiedsrichterin: Kateryna Monsul (Ukraine)
Gelb: Stanway (2), White (1), Russo (1), Kelly (1) / Rauch (3), Oberdorf (4), Schüller (1)
Zuschauer: 87192 (ausverkauft).
Ohne die sechsfache EM-Torschützin Alexandra Popp, die mit muskulären Problemen kurzfrtistig passen musste, fand das deutsche Team zunächst schwer in ein umkämpftes Finale. Die Engländerinnen stellten das druckvollere Team, aber abgesehen von einem knapp über die Latte gesetzten Direktschuss seiner Rekordtorjägerin Ellen White (38.) hatte der Gastgeber kaum eine klare Chance.
Die beiden besten Möglichkeiten resultierten auf der Gegenseite aus einem abgeblockten Schuss der präsenten Sara Däbritz (10.) und einem Durcheinander, an dem Abwehrchefin Marina Hegering beteiligt war (25.). Nach der Pause war die DFB-Elf besser drin in diesem Showdown vor der elektrisierenden Kulisse. Englands Trainerin Sarina Wiegman reagierte mit der Hereinnahme von Alessia Russo und Toone, die prompt sechs Minuten später nach einem Traumpass von Keira Walsh erst Kathrin Hendrich enteilte und dann unhaltbar den Ball über Frohms zum 1:0 in die Maschen hob.
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Doch die Gäste gaben sich noch nicht geschlagen: Hatte Magull erst noch das Lattenkreuz getroffen (66.), machte es die Mittelfeldspielerin nach einem tollen Spielzug viel besser und traf mit links zum 1:1. Nach einer Ecke von Lauren Hemp prallte der Ball in der Verlängerung von Lucy Bronze zu Kelly – und die Siegtorschützin riss sich anschließend das Stück Stoff vom Leib. Ein Bild, das im Mutterland des Fußballs für ewig in Erinnerung bleibt.