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Weihnachten 1952Als das Zeitalter des TV-Fußballs begann

Lesezeit 4 Minuten
Keine Paarung mit den größten Namen – aber ein großer Schritt für den Fußball: Die erste Live-Übertragung im deutschen Fernsehen am 26. Dezember 1952.

Die erste Live-Übertragung im deutschen Fernsehen am 26. Dezember 1952.

Weihnachten vor 70 Jahren flimmerte das erste Fußballspiel über die deutschen Fernseh-Bildschirme. Udo Muras erklärt, warum die Geschichte des Fernseh-Fußballs am Hamburger Millerntor begann und was das alles mit dem 1. FC Köln zu tun hat.

Weihnachten vor 70 Jahren flimmerte das erste Fußballspiel über die deutschen Fernseh-Bildschirme: FC St. Pauli gegen Hamborn 07, das hatte nichts von Glamour – und war doch eine Sternstunde des Fußballs, von der seine Vereine bis heute profitieren. Warum aber begann die Geschichte des Fernseh-Fußballs am zweiten Weihnachtstag am Millerntor, das noch kein Kultstadion war? Weil neben dem Stadion ein Flak-Turm stand. Die Geschichte einer Pioniertat.

Erst am 25. Dezember 1952 wurde in der Bundesrepublik Deutschland der regelmäßige TV-Betrieb eingeführt. Es gab nur einen Sender, den NWDR (Nordwestdeutscher Rundfunk); das Programm lief anfangs in den Abendstunden, von 20 bis 22 Uhr. Für das Spiel wurde gleich eine Ausnahme gemacht, in Zeiten fehlender Flutlichtanlagen wurde nachmittags gespielt.

Der NWDR hatte 1952 nur drei Sendeanstalten: in Berlin, Köln und Hamburg. Das Hamburger Studio residierte direkt neben dem Millerntor-Stadion in einem imposanten Bunker, der im Krieg errichtet worden war und als Flak-Turm diente. 1950 sendete der NWDR von dort sein erstes Test-Bild und im September 1952 wurde ein 36 Meter hoher Sendemast installiert.

Längst nicht alles, was die Sportfunker wollten, konnte mit der vielfach noch unzulänglichen, wenig ausgereiften und überdies sehr störungsanfälligen Fernsehtechnik auch umgesetzt werden.
Christoph Hilgert, Medienwissenschaftler

„Längst nicht alles, was die Sportfunker wollten, konnte mit der vielfach noch unzulänglichen, wenig ausgereiften und überdies sehr störungsanfälligen Fernsehtechnik auch umgesetzt werden“, schrieb der Medienwissenschaftler Christoph Hilgert 2005 im Buch über „Die Geschichte des NWDR“ und erklärte: „Eine besondere technische wie organisatorische Herausforderung stellten dabei Außenübertragungen dar. Wie schon im Hörfunk unmittelbar nach dem Krieg erwies sich auch beim frühen NWDR-Fernsehen die räumliche Nähe zwischen Sportstätten und Rundfunk-Produktionsstätten als Vorteil.“

Die räumliche Nähe bot sich also an. Zuschauer im Kölner Raum hätten übrigens ein anderes Spiel sehen sollen, eigentlich war eine doppelte Premiere geplant. Aber das sicher attraktivere Testspiel zwischen dem 1. FC Köln und Roter Stern Belgrad fiel dem Wetter zum Opfer. So also gingen die 90 Minuten von St. Pauli, die nur im Hamburger und Berliner Senderaum zu sehen waren, als Fußball-TV-Premiere in die Geschichte ein. Zuvor gab es allerdings einen Testlauf: am 23. August 1952 wurde das Punktspiel HSV – Altona 93 ebenfalls in voller Länge übertragen.

„Sogar die Zigarettenwölkchen über den Zuschauerrängen wurden auf die Bildfläche der Fernsehapparate übertragen“, schrieb die Berliner „Fußballwoche“ belustigt, „drei Kameras verfolgten den Spielverlauf: Eine für jedes Tor und eine für das Mittelfeld. Im Übertragungswagen schaltete die Regie dann immer auf jene Kamera, die dem Ball am nächsten war. Wahrscheinlich war dies auch am 26. Dezember 1952 der Fall“, sagt Medienwissenschaftler Hilgert.

Obgleich trübes Wetter herrschte, war der Empfang im Norden gut und der Spielverlauf ausgezeichnet zu erkennen.
Bonner Rundschau

Da der Probelauf nur wenigen Auserwählten vergönnt war und es noch keinen Sendebetrieb gab, wurde der Weihnachtskick am Millerntor das erste Live-Spiel für die Öffentlichkeit. Wenn man von einer solchen überhaupt sprechen kann: bei einer Zählung am 1. Juli 1953 hatten erst 2753 Haushalte in der Bundesrepublik Fernsehgeräte. Vermutlich waren an Weihnachten 1952 mehr Zuschauer im Stadion (4000) als vor den Fernsehgeräten.

Immerhin erbrachte die erste Übertragung eine kleine Sensation: Hamborn 07 gewann beim höherklassigen Gegner mit 4:3. Die beiden Reporter der ersten Stunde waren Paul Reymann und Dr. Harry Storz. Die „Bonner Rundschau“ schrieb: „Obgleich trübes Wetter herrschte, war der Empfang im Norden gut und der Spielverlauf ausgezeichnet zu erkennen.“

Das neue Medium stellte den DFB und seine Vereine vor neue Aufgaben. Wer profitiert eigentlich davon, dass Fußball nun im Fernsehen kommt? St.-Pauli-Präsident Wilhelm Koch soll laut Zeugenaussagen in der Verhandlung mit dem Sender gesagt haben: „Mehr als 3000 Mark können wir nicht zahlen.“ Von DFB-Präsident Peco Bauwens ist der Satz verbürgt: „Niemals werden wir vom Fernsehen auch nur eine Mark verlangen.“

DFB rief für Länderspiele 2500 DM ab

Letztlich floss an diesem Tag gar kein Geld und danach natürlich nur noch in die Kassen der Vereine und Verbände, denn das Fernsehen zahlte für die Übertragungsrechte. Im August 1953 legte der DFB die Tarife fest: 1000 D-Mark durften für Punktspiele verlangt werden, 1500 DM für Endrundenspiele, 2000 DM für Repräsentativspiele. Für Länderspiele rief der Verband 2500 DM ab. Zum Vergleich: das Rechtepaket für die Länderspiele von 2022 bis 2028 soll rund 400 Millionen Euro eingebracht haben, das der DFB mit der UEFA teilen muss.

Das erste Länderspiel, das live über die Mattscheibe flimmerte, war das denkwürdige 3:8 gegen die Ungarn in der Vorrunde der WM 1954, die Mehrheit der Deutschen aber hörte Radio. Seit 1966 wurde jedes deutsche WM-Spiel übertragen, seit April 1983 jedes Länderspiel. Seit 1964 ist das Pokalfinale ein Live-TV-Event, am 11. Dezember 1984 lief erstmals ein Bundesligaspiel (Borussia Mönchengladbach – Bayern München). Im März 1991 gab es das Pay-TV-Debüt von „Premiere“ mit dem Spiel Eintracht Frankfurt – 1. FC Kaiserslautern. Seit der Saison 2000/01 können Kunden jedes Bundesligaspiel und mittlerweile auch jedes der 2. und 3. Liga sehen. Wie verwöhnt wir doch sind…