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Interview

Stadionbesuch der Zukunft beim 1. FC Köln
„Man darf nicht nur an Kommerzialisierung, Spaß und Unterhaltung denken“

Lesezeit 9 Minuten
Hx

Präsident Werner Wolf (l.) und Geschäftsführer Philipp Türoff vom 1. FC Köln.

FC-Präsident Werner Wolf und Geschäftsführer Philipp Türoff über den Stadionbesuch der Zukunft und den Spagat, Traditionen zu bewahren und gleichzeitig offen für Neues zu sein.

Herr Wolf, Herr Türoff, im Strategiepapier des Vorstands geht es auch um steigende Einnahmen aus den Spieltagen. Was steckt dahinter?

Werner Wolf: Bei unserem Amtsantritt im Jahr 2019 haben wir uns gefragt, was wir tun können, um langfristig sportlich erfolgreich zu sein. Letztlich hängt sportlicher Erfolg mit dem zur Verfügung stehenden Budget zusammen. Daher haben wir ein Erlössteigerungsprogramm erstellt mit neun Aktivitäten, von denen eine das Thema Stadionerlebnis der Zukunft ist. Wir sind damals mit einem deutlich negativen Ergebnis gestartet. Dann begann Corona, was uns in der damals schon laufenden Saison 2019/20 sechs Millionen Euro on top gekostet hat. In der Summe bedeutete das ein Minus von 25 Millionen Euro – bei einem Umsatz von 140, 150 Millionen Euro gerätst du dann ins Schwimmen. Es hat an allen Ecken und Enden Geld gefehlt. Mittlerweile sind wir auf einem guten Weg und nicht mehr auf Sondereinnahmen angewiesen. Unser gemeinsames Ziel ist es, ein ausgeglichenes Ergebnis zu erzielen. Das hat die aktuelle Geschäftsführung trotz Abstiegs geschafft, und das ist ein Riesenerfolg. Natürlich sollen aus diesem Prozess heraus auch wieder sportlich bessere Zeiten erfolgen, aber dieses Mal nachhaltig.

Ein Stadionausbau ist allerdings gerade nicht das vorrangigste aller Themen. Da haben wir als Zweitligist gerade andere Hausaufgaben zu erledigen.
Philipp Türoff

Welche wirtschaftliche Bedeutung hat das Thema Stadionerlebnis für den FC?

Philipp Türoff: Die Einnahmen rund um unsere Heimspiele sind wichtig für uns. An erster Stelle stehen jedoch die durch TV-Rechte generierten Medieneinnahmen, die man sich vorrangig sportlich über Tabellenplatzierungen verdienen muss. Der zweitgrößte Posten sind die Sponsoringeinnahmen. Danach kommen aber auch schon die am Spieltag im Stadion generierten Erlöse.

Die Heimspiele des FC sind selbst nach dem Abstieg regelmäßig ausverkauft. Könnte der FC auch ein größeres Stadion füllen?

Türoff: Ja, das könnten wir. Ein Stadionausbau ist allerdings gerade nicht das vorrangigste aller Themen. Da haben wir als Zweitligist gerade andere Hausaufgaben zu erledigen. Dennoch können wir uns dem Gedanken nicht verschließen. Wir sind im Fußballgeschäft tätig und wollen alles, was uns in Köln durch den Standort gegenüber den Mitbewerbern einen Vorteil verschafft, in die Waagschale werfen. Das ist aber nichts, was auf unserem Stapel ganz oben liegt. Nicht, weil wir das nicht wollen. Sondern weil es aus städtischer, planungstechnischer und finanzieller Sicht eine riesige Aufgabe wäre, das zu realisieren.

Wolf: Die Stadt hat das Stadion bisher minimal abgeschrieben. Es steht immer noch mit 60 bis 70 Millionen Euro in den Büchern. Das wäre eine der größten Hürden, sollten wir uns vornehmen, das Stadion zu kaufen und auszubauen.

Wie steht der FC-Präsident zum Thema Stadionausbau?

Wolf: Wenn wir heute die Entscheidung für einen Stadionausbau träfen, wäre der Baubeginn frühestens in zehn Jahren. Wie sieht die Welt dann aus? Kommen in zehn Jahren immer noch so viele Zuschauer ins Stadion? Und wie hole ich mir das in einen Stadionausbau investierte Geld zurück? Ich tue mich im Moment schwer mit der Beantwortung dieser Fragen. Mit Blick auf den Bau unseres Leistungszentrums haben wir zunächst ein paar andere Themen, die wir lösen sollten.

Die zentrale Unterhaltung ist das Fußballspiel, entscheidend ist auf dem Platz – das wird auch in Zukunft so bleiben. Das Drumherum darf man als Verein aber nie aus den Augen verlieren.
Werner Wolf

Welche Stadionkapazität wäre in der Mischung eine ökonomisch sinnvolle?

Türoff: Es gibt die Zahl 75.000, die Köln regelmäßig gut füllen könnte. Dahinter liegt dann aber gleich die Überlegung, welche Art Plätze man bräuchte. Das Business- und Logennetzwerk in Köln ist ein ganz besonderes, das gibt es in vielen anderen Stadien nicht. Diese Kapazitäten müsste man einerseits erweitern. Andererseits sind bei uns auch Stehplätze heiß begehrt, die für das Erlebnis extrem relevant sind, da sie vorrangig für die Stimmung sorgen. Außerdem ist uns wichtig, jedem die Teilnahme zu ermöglichen und auch günstige Tickets anzubieten. Wenn man aber von 50.000 Plätzen auf 75.000 nur mit Stehplätzen aufstockt, hat man wirtschaftlich keinen Effekt. Denn an den Stehplätzen verdient man kein Geld, das gehört auch zur Wahrheit. Gleichzeitig ist die Wirkung der Stehplätze auf den FC zentral. Das alles muss man im Auge behalten in der Frage, wie die Spielstätte der Zukunft aussehen soll.

Vor 20 Jahren ist in Köln ein Stadion gebaut worden, das offensichtlich unterdimensioniert ist. Was hat man damals bei der Planung übersehen?

Türoff: Der Fußball ist zunehmend in den Mainstream gerückt. Das Publikum ist zum Beispiel sehr viel weiblicher geworden. Wolf: Wenn ich früher mit meinem Vater ins Stadion gegangen bin, war da überwiegend die Arbeiterklasse vertreten. Und man bekam immer Karten an der Tageskasse. Heute ist der Fußball in die Mitte der Gesellschaft gerückt, das erleben wir auch bei den Spielen unserer Frauenmannschaft, zu denen sehr viele Familien kommen. Das ist ein sehr interessantes Publikum für uns. Der Fußball dominiert im Vergleich zu anderen Sportarten mittlerweile alles.

Eine Bodycam trug FC-Spieler Timo Hübers beim Innovation Game 2022 gegen den AC Mailand.

Wie weit ist die Digitalisierung im Stadion fortgeschritten?

Türoff: Das ist eine kontinuierliche Entwicklung. Es gibt ganz allgemeine Entwicklungen wie den digitalen Zutritt ins Stadion, bargeldloses Zahlen und die Verknüpfung von Daten, um unsere Fans noch besser kennenzulernen. Bei der Übernahme des Public Caterings haben wir das konsequent umgesetzt. Das zeigt sich in den wirtschaftlichen Ergebnissen, die wir erzielen, und in dem Feedback, das wir erhalten.

Welche weiteren Schritte sind geplant?

Türoff: Wir haben das Thema Digital Signage in der Pipeline. Also Bildschirme, die individuell und koordiniert bespielbar sind. Das geht bis hinein in die Kioske. Da geht es nicht nur um die schnellere und bessere Information für unsere Fans, sondern auch um potenzielle Vermarktungsflächen.

Was bedeutet digitale Vermarktung für den FC?

Türoff: Digitale Vermarktung bedeutet für uns, mit unseren Partnern am Spieltag Geschichten zu erzählen – auch über Handys und Apps. Je mehr Elemente wir reinbringen, desto besser können wir ganzheitlich kommunizieren und das Stadionerlebnis für den Gast je nach Altersgruppe und Interesse gestalten. Da ist schon viel passiert, aber es ist auch noch viel mehr möglich, um Wachstum zu generieren.

Wolf: Wir brauchen Besucher, die sich wohlfühlen, die sich sicher fühlen, die sich gut bewirtet fühlen und die sich unterhalten fühlen. Die zentrale Unterhaltung ist das Fußballspiel, entscheidend ist auf dem Platz – das wird auch in Zukunft so bleiben. Das Drumherum darf man als Verein aber nie aus den Augen verlieren. Der Verein muss begeistern und für Gänsehaut-Momente sorgen. Dieses Gefühl müssen wir erhalten und noch weiter intensivieren. Sonst werden wir verlieren.

Ich halte es für ganz zentral, nicht aus den Augen zu verlieren, dass es um Fußball geht. Das ist unsere Identität als FC.
Philipp Türoff

Wie schwierig ist in Köln der Spagat zwischen Modernisierung und Bewahrung von Tradition?

Türoff: Ich weiß nicht, ob das nur in Köln so ist. Ich halte es für ganz zentral, nicht aus den Augen zu verlieren, dass es um Fußball geht. Das ist unsere Identität als FC. Man darf nicht nur an Kommerzialisierung, Spaß und Unterhaltung denken. Dennoch muss man die Ansprüche der unterschiedlichen Fans und Kunden zur Kenntnis nehmen, und die sind relativ vielseitig in den einzelnen Gruppierungen und Generationen. Da müssen wir mit der Zeit gehen und dafür sorgen, dass für jeden etwas dabei ist und dass es in der Gesamtheit stimmig bleibt.

Was macht diese Aufgabe so herausfordernd?

Türoff: Das Interesse an unseren Fußballerlebnissen ist tendenziell gestiegen. Wir haben Dauerkarten-Wartelisten. Das bedeutet, dass kaum neue Dauerkartenkunden nachrücken. Dementsprechend läuft man als Club Gefahr, das Stadion immer voll zu haben mit einer ganz speziellen Generation mit ganz bestimmten Ansprüchen. Was aber würde passieren an dem Tag, an dem – theoretisch angenommen – 75.000 Zuschauer kommen? Wer genau käme und was wollten sie erleben? Wir müssen die Augen offenhalten und uns mit Maß und Mitte darauf einstellen, dass wir den FC in alle Richtungen offenhalten.

Gibt es Gedanken, neue Vermarktungs- und Erlösquellen für das laufende Spiel zu erschließen?

Türoff: Das ist keine Agenda, die wir nur aus unserer Kölner Clubperspektive verfolgen. Wir bringen uns ein, wir sind Gesellschafter der DFL und beteiligt, wenn solche Themen aufkommen. Das war zum Beispiel im Investorenprozess der Fall, in den wir uns intensiv eingebracht haben. Wir werden jedoch nicht die Stimme erheben und fordern, dass aus kommerziellen Gründen etwas am Spiel verändert wird.

Wolf: Diese ständigen Unterbrechungen, die wir aus dem US-Sport kennen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es das in Deutschland geben wird. So sind wir nicht gestrickt.

Uns geht es auch darum, die Menschen zu erreichen, die nicht ins Stadion kommen und den FC trotzdem erleben wollen.
Werner Wolf

Wann wird es möglich sein, das Stadion auch auf der Couch zu erleben, etwa mit VR-Brillen?

Wolf: In den USA funktioniert das heute schon. Es ist ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Denn das meiste, was technisch funktioniert, wird früher oder später umgesetzt und in der Masse ankommen.

Türoff: Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit virtuellen Erlebnissen im Rahmen unserer Stadionführungen. Wenn man im leeren Stadion mithilfe digitaler Möglichkeiten ein Spieltagsgefühl erzeugen kann, ist das für uns interessant. Wir sind in einer Zeit, in der man das dazugehörige Equipment noch zur Verfügung stellen müsste. In zehn Jahren hat aber vielleicht jeder ein eigenes Gerät für VR-Anwendungen. So wie man heute in einem Museum keine Geräte mehr ausgeben muss, weil jeder ein Smartphone hat. Solche Gedanken bedeuten aber nicht, dass wir planen, den Zuschauern im Stadion während des laufenden Spiels Daten in die Brille zu schießen.

Wolf: Uns geht es auch darum, die Menschen zu erreichen, die nicht ins Stadion kommen und den FC trotzdem erleben wollen.

Sehen Sie eine Gefahr, dass Sie mit voranschreitender Technik das Stadion leeren könnten?

Türoff: Schon als man begann, Fußballspiele im Fernsehen zu übertragen, gab es die Sorge, dass dann niemand mehr ins Stadion gehen würde. Das völlige Gegenteil ist eingetreten, darum sind wir da gelassen. Aber ein solches Angebot aus einer einzelnen Klub-Perspektive heraus zu entwickeln, ist nicht sinnvoll. Das sind Themen, die aufseiten der DFL gelebt werden müssen. Da muss der Fußball mittelfristig etwas anbieten, um auch in der Vermarktung der Medienrechte noch interessanter zu werden. Wir als 1. FC Köln sind immer gern vorn dabei und scheuen uns auch nicht, Dinge auszuprobieren.

Das war ein echter Innovationshit, der uns weltweit Reichweite verschafft hat.
Philipp Türoff über Bodycams beim Innovation Game 2022

Sie haben beim Innovation Game gegen den AC Mailand zum Beispiel Bodycams ausprobiert.

Türoff: Das war ein echter Innovationshit, der uns weltweit Reichweite verschafft hat.

Wolf: Sobald das technisch noch besser gelöst ist, wird es das regelmäßig geben, davon bin ich überzeugt. Timo Hübers hat sich damals gestört gefühlt. Aber wenn die Kamera nur noch ein aufgenähter Knopf auf dem Trikot ist, den man gar nicht mehr bemerkt, wird das kommen.

Es gibt auch erste Versuche, die Ansagen der Trainer zu übertragen. Was halten Sie davon?

Türoff: Wenn es meine Aufgabe ist, die Leute noch näher ans Geschehen zu holen und das Erlebnis zu intensivieren, halte ich das für eine gute Sache. Wenn ich aber für die sportliche Leistungsfähigkeit einer Mannschaft verantwortlich bin, werde ich Argumente finden, dass es gewisser Schutzräume bedarf. Das muss austariert werden.

Waren Sie während der Corona-Pandemie in Sorge, die Menschen könnten nicht mehr in die Stadien zurückkehren?

Wolf: Es gab diese Diskussion, aber ich persönlich habe nie daran geglaubt. Das Bedürfnis der Menschen nach Gemeinschaft ist ein grundlegendes. Ich bin eher davon ausgegangen, dass es einen Nachholbedarf geben würde.

Türoff: Die Zahlen zeigen auch international, dass Menschen wieder zusammenströmen.

Wolf: Der Mensch ist ein soziales Wesen, und wir leben glücklicherweise in einem Teil dieses Landes, in dem das besonders ausgeprägt ist.