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Interview

FC-Sportchef Christian Keller
„Das war nicht cool für mich“

Lesezeit 10 Minuten

FC-Sportchef Christian Keller im Trainingslager in Estepona (Spanien).

Christian Keller ist ein langfristig denkender Sportchef. Das gefällt nicht allen Fans des 1. FC Köln. Im Interview spricht der 46-Jährige über die Kritik an seiner Person, die stockenden Wintertransfers und das wegweisende Jahr 2025.

Herr Keller, der 1. FC Köln darf nach einem Jahr Sperre wieder neue Spieler registrieren lassen. Bislang haben Sie mit Jusuf Gazibegovic genau einen Neuzugang vermeldet. Das war sicher anders geplant, oder?

Grundsätzlich sind wir von unserem Kader überzeugt und würden es nicht als richtig erachten, eine Radikalkur vorzunehmen und etliche neue Spieler dazuzuholen. Auch, wenn wir nicht mit jeder bisherigen Leistung einverstanden waren und gerne noch ein paar mehr Punkte geholt hätten. Es soll im Moment nur um eine punktuelle Verstärkung für die Rückrunde gehen.

Aber eine punktuelle Verstärkung auf mehr als nur der Rechtsverteidiger-Position?

Wir hatten die Transferperiode gut vorbereitet, wie das Beispiel Gazibegovic zeigt, den wir sehr früh verpflichten konnten. Wenn es nach mir gegangen wäre, wären von der Liste, auf der noch ein Innenverteidiger und ein Stürmer stehen, alle Spieler zum ersten Training dagewesen. Aber das wäre ein Wunschkonzert und passiert nie. Den zusätzlichen Innenverteidiger wollen wir zwingend verpflichten und den zusätzlichen Stürmer gerne, wenn er uns in der Breite für die Rückrunde noch einmal mehr Optionen gibt. Tim Lemperle und Damion Downs haben sich mit zusammengezählten 22 Torbeteiligungen in der Hinrunde hervorragend entwickelt, das darf man nicht außer Acht lassen.

Was macht es so schwer, Spieler zu verpflichten?

Im Winter liegt die zusätzliche Herausforderung auch an den anderen Clubs, mit denen wir uns einigen müssen. Generell sind die Spieler im Regelfall nicht vertragslos und wenn es eine Ausstiegsklausel gibt, dann gilt die meistens für den Sommer. Nehmen wir das Beispiel von Joël Schmied. Wenn es nach dem Spieler und dem FC ginge, wäre er längst bei uns. Aber es gibt immer noch eine dritte Partei.

Einen Neuzugang haben wir schon da, einen Innenverteidiger wollen und werden wir noch verpflichten und beim Stürmer wäre es besser, einen zu kriegen, aber wir sind nicht zwingend darauf angewiesen.
Christian Keller

Wenn Sie keine Alternative zu den beiden finden, muss es dann Steffen Tigges richten?

Steffen ist der einzige verbliebene Spieler mit annähernd Neunerprofil im Kader. In der Hinrunde konnte er die Erwartungen noch nicht erfüllen. Wenn Steffen zulegt, immerhin hat er in seiner ersten FC-Saison sechs Bundesliga-Tore geschossen, dann kann er auch in der 2. Liga treffen.

Wieso liegt die Priorität auf einem Innenverteidiger und nicht auf einem Neuner?

Weil wir nominell nur drei Innenverteidiger im Kader haben. Auch, wenn Eric Martel zuletzt sehr gut als Innenverteidiger gespielt hat. Er ist aber primär als Sechser eingeplant.

Mit Ivan Prtajin und Gregory Wüthrich haben sich zwei Wunsch-Transfers nicht realisieren lassen. Wie sieht es mit Plan B, C und D aus?

Es ist immer wichtig, Alternativen zu haben. Im Sommer 2023, der unstrittig besser gelöst hätte werden können, waren die ablösefreien Spieler, die wir hätten bekommen können, durch die Transfersperre weg. Für Plan B, C und D hätten wir dann Geld gebraucht, das nicht da war. Es wurden teils absurde Preise aufgerufen. Das konnten und wollten wir nicht mitgehen.

Fürchten Sie nicht erneute, heftige Kritik an Ihrer Person, wenn es am Ende bei Gazibegovic bleibt?

Es ist wie gesagt nicht zielführend, zu viele neue Spieler zu holen, wenn sich eine Gruppe gefunden hat. Wir glauben, dass wir mit bis zu drei Spielern den Kader sinnvoll ergänzen. Einen Neuzugang haben wir schon da, einen Innenverteidiger wollen und werden wir noch verpflichten und beim Stürmer wäre es besser, einen zu kriegen, aber wir sind nicht zwingend darauf angewiesen.

Ist geplant, nach den verliehenen Sargis Adamyan, Florian Dietz und Elias Bakatukanda weitere Spieler abzugeben?

Stand jetzt planen wir keine weiteren Abgänge.

Die Situation ist nicht leicht für Jonas (Urbig), aber er wird sich in seiner Karriere, wenn er hoch hinaus will, immer mit einem anderen guten Torwart messen müssen. Er muss die Situation jetzt für sich weiter mit voller Ambition annehmen.
Christian Keller

In der Hinrunde ist auch viel über die Torhüter diskutiert worden. Marvin Schwäbe hat gesagt, dass für ihn ein Wechsel vom Tisch ist. Wie sieht es bei Jonas Urbig aus, der als Nummer zwei nicht zufrieden sein kann?

Ich möchte erst einmal betonen, dass wir auf der Torwartposition kein Luxusproblem, sondern eine Luxussituation haben. Wir haben zwei tolle Torhüter, die so auch das Duo bei einem Bundesligisten bilden könnten. Die aktuelle Planung sieht so aus, dass wir mit beiden die Saison zu Ende spielen wollen.

Und über die Saison hinaus?

Darüber etwas zu prognostizieren, wäre verfrüht.

Den Wechsel im Tor gab es, um mit Marvin Schwäbe neben Dominique Heintz dem Team in der schwierigen Phase im Herbst mehr Erfahrung zu verleihen. War das der einzige Grund?

Diese Erfahrung kann Jonas als 21-Jähriger noch nicht haben. Ein weiterer Grund war in der damals schwierigen Situation, dass Marvin auf mehr Automatismen zurückgreifen konnte. Er hatte schon über zwei Jahre mit einigen Jungs aus der Abwehrkette gespielt, die Abläufe waren gewohnter. Die Situation ist nicht leicht für Jonas, aber er wird sich in seiner Karriere, wenn er hoch hinaus will, immer mit einem anderen guten Torwart messen müssen. Er muss die Situation jetzt für sich weiter mit voller Ambition annehmen. Für unser Leistungsniveau ist es sehr gut, wenn die beiden miteinander um die Nummer eins wetteifern.

Der Torwartwechsel und die Umstellung auf Dreierkette kamen in einer Situation, in der es extrem harte Kritik an Ihrer Person gab. Was hat diese Situation mit Ihnen gemacht?

Ich wurde in meinem Berufsleben schon einmal ausgepfiffen. Das ist zwar schon lange her, aber ich wusste immer noch, wie es sich anfühlt. Das ist Teil des Jobs und ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht von der Hand weisen, dass wir sportlich über eineinviertel Jahre nicht viel geboten haben. Die Fans waren zu Recht enttäuscht von den Ergebnissen. Ich war eh überrascht, wie lange wir trotz der Abstiegssaison wohlwollend von den Fans begleitet worden sind. Wenn wir dann wieder ein Heimspiel verlieren und auf Platz zwölf in der 2. Liga angekommen sind, ist die Reaktion verständlich. Das war nicht cool für mich, aber ich stehe in der Verantwortung und habe mir zum Glück in der Vergangenheit die nötige Resilienz angeeignet.

Ich bin sehr selbstkritisch und tausche mich ständig mit meinen engen Kollegen aus, die einen tiefen Einblick in meine tägliche Arbeitsweise haben. Sie sind mein Referenzpunkt und nicht das, was anonym in den sozialen Medien geschrieben wird.
Christian Keller

Kommen Ihnen in einer solchen Situation nicht Zweifel?

Ich zweifle nie, weil ich davon überzeugt bin, was ich tue. Was nicht bedeutet, dass ich keine Fehler mache. Ich bin sehr selbstkritisch und tausche mich ständig mit meinen engen Kollegen aus, die einen tiefen Einblick in meine tägliche Arbeitsweise haben. Sie sind mein Referenzpunkt und nicht das, was anonym in den sozialen Medien geschrieben wird. Nur die Leute, die ganz nah dran sind, können genau urteilen. Ich weiß aber, dass es im Fußball Situationen gibt, in denen Personen allein aus emotionaler Perspektive nicht mehr tragbar sind. Hätten wir nach Paderborn (1:2-Niederlage; Anm. d. Red.) nicht temporär die Ergebniskurve bekommen, hätte das irgendwann auch für mich gegolten.

Hat es deshalb auch eine Weile gedauert, dass Sie Ihren Vertrag verlängert haben?

Wir haben schon frühzeitig darüber gesprochen, aber ich habe den Vorstand gebeten, dass wir mit der Verlängerung noch etwas warten, uns die Entwicklung der Saison anschauen und dann bewerten, ob es emotional eine gute Entscheidung für den FC ist, wenn ich weitermache. Unabhängig davon, dass der Vorstand davon überzeugt ist, dass es inhaltlich eine gute Entscheidung ist. Die Verzögerung lag an mir.

Wie beschreiben Sie Ihre Fehlerkultur?

Wenn ich einen Fehler gemacht habe, rege ich mich erstmal sehr über mich auf und stehe dann dazu.

Welcher Fehler ist Ihnen beim FC unterlaufen?

Was ich besser machen muss, ist, in der einen oder anderen Situation mehr Konsequenz walten zu lassen. Wenn Sachen den Erfolg gefährden, muss ich sie direkt ansprechen, den Finger in die Wunde legen und Änderung herbeiführen. Vor und in der Saison 2023/24 gab es Dinge, bei denen ich heute konsequenter wäre. Ich bin grundlegend ein konsequenter Mensch, aber manchmal stehen der Konsequenz Kulturbarrieren im Weg. Deshalb muss man für einen gewissen Zeitraum intern eine negative Stimmung in Kauf nehmen und die Komfortzone bzw. Verhaltensmuster aufbrechen.

Im Moment ist die Stimmung positiv. Der FC steht auf Platz eins und kann aufsteigen. Was muss passieren, damit es am Ende tatsächlich klappt?

Es ist für uns elementar, aus dem Kopf zu bekommen, was im Mai passieren könnte. Dass wir verinnerlichen, dass es aus sportlicher Sicht nur auf das Hier und Jetzt ankommt. Das Hier und Jetzt ist das Trainingslager und die Vorbereitung auf das erste Spiel gegen den HSV. Dann zählt das HSV-Spiel, das eine Botschaft für das Heimspiel gegen Elversberg mitgibt. Wir tun gut daran, uns immer nur die nächste Aufgabe anzusehen und sie erfolgreich zu erledigen. Auch, weil wir wissen, wie kurz der Weg in der FC-Kultur zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt sein kann. Deswegen ist es auch im Innenverhältnis wichtig, kleine Schritte zu machen.

Wir haben uns demnächst wirtschaftlich komplett saniert, sind wieder voll handlungsfähig. Wir haben die Infrastruktur ein gutes Stück verbessert, die Organisation und auch die Kultur. Aber wir sind noch nicht so weit, wie wir sein wollen.
Christian Keller

Wie stellt sich der innere Zirkel den Einflüssen des Umfelds?

Da hilft uns das Beppo-Prinzip aus dem Buch „Momo“. Beppo ist Straßenkehrer und kehrt Schritt für Schritt einen Haufen nach dem anderen weg. Abseits des sportlichen Hier und Jetzt sind wir in unserer Planung aber natürlich auch vorausschauend. Eine Organisation mit fast 1800 Mitarbeitern kann man nicht im Moment führen. Wir wissen, wo wir hinwollen im Mai, aber wir kommen nicht dorthin, wenn wir ständig über den Mai sprechen.

Der Trainer spielt dabei eine wichtige Rolle.

Gerhard Struber kann das gut moderieren. Er ist ein Trainer mit einer mittel- bis langfristigen Perspektive. Er ist nicht nur im Hier und Jetzt, aber weiß, dass die Mannschaft ihn hier und jetzt braucht. Er kann mehrdimensional denken und handeln und ist der richtige Trainer für den FC. Er lässt sich nicht gleich von allen Dingen verhaften, steht ihnen aber trotzdem offen gegenüber.

Auf der Jahreshauptversammlung im Herbst stehen Vorstandswahlen an. Sie haben bisher nur unter dem aktuellen Vorstand gearbeitet. Wie sehen Sie diese Zusammenarbeit?

Grundsätzlich steht es mir als angestellter Geschäftsführer nicht zu, über die Gesellschafter zu urteilen. Was ich aber sagen möchte, ist, dass dieser Vorstand zwei Attribute hat, die im Fußball eine Rarität darstellen. Sie haben keine persönlichen Eitelkeiten, es geht immer nur um die Sache, den FC, nicht um das persönliche Wohlergehen. Und sie sind langfristig orientiert. Sie sind nicht kurzfristig opportun und versuchen, im Hier und Jetzt gut wegzukommen, sondern wissen, dass der FC endlich einen langfristigen Anstrich benötigt. Beides ist nicht sexy und führt zu persönlichen Tiefschlägen, weil Fußball kurzfristig und opportun ist. Trotzdem ziehen sie das konsequent für den FC durch, was Respekt verdient. Auch, wenn der Vorstand die eine oder andere Situation sicher anders hätte lösen können.

Wie fühlen Sie sich mittlerweile beim FC und in der Stadt Köln?

Ich fühle mich wohl und habe mit allen meinen Kollegen zu 100 Prozent das Commitment, die Aufgabe positiv zu lösen. Ich habe richtig Lust dazu, den FC insgesamt auf ein deutlich höheres Leistungsniveau zu bringen.

Wie weit sind Sie seit dem 1. April 2022 auf diesem Weg gekommen?

Wenn es ein Marathonlauf wäre, dann sind wir jetzt knapp vor der Hälfte. Wir sind aber auch mit reichlich Ballast gestartet und konnten nicht allzu schnell loslaufen. Da bin ich auch etwas ungeduldig. Wir haben uns demnächst wirtschaftlich komplett saniert, sind wieder voll handlungsfähig. Wir haben die Infrastruktur ein gutes Stück verbessert, die Organisation und auch die Kultur. Aber wir sind noch nicht so weit, wie wir sein wollen. Das interessiert am Ende aus öffentlich-medialer Perspektive aber erstmal alles nicht. Entscheidend für die Leistungsbewertung ist im Fußball immer primär, wie das Spiel am Wochenende ausgeht. Die genannten Faktoren davor sind aber die Voraussetzung dafür, dass wir die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das Spiel am Wochenende mittel- bis langfristig häufiger positiv für den FC ausgeht.