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„Das andere Gespräch“ mit Thomas Kessler„Sprachen sind für mich ein faszinierendes Thema“

Lesezeit 7 Minuten
Thomas Kessler im Porträt

Thomas Kessler

In unserer Sommer-Interview-Serie „Das andere Gespräch“ widmet sich der ehemalige FC-Keeper und heutige Fußballfunktionär Thomas Kessler dem Thema „Lernen“.

Im „anderen Gespräch“ plaudern Kölner Persönlichkeiten über Themen abseits ihrer Profession. Thomas Kessler, Leiter der Abteilung Lizenzspieler beim 1. FC Köln, spricht mit Tobias Wolff unter anderem über seine Jugend in Brauweiler, den Drang, Dinge zu hinterfragen und den Umgang mit neuen Medien — alles unter dem Überbegriff „Lernen“.

Sind Sie ein neugieriger Mensch?

Definitiv. Während meiner sportlichen Laufbahn war ich immer daran interessiert, über den Tellerrand eines typischen Fußballprofis hinauszublicken. Als Profifußballer lebt man gewissermaßen in einer Blase. Daher war es mir wichtig, auch das Geschehen außerhalb der Kabine wahrzunehmen.

Wie hat sich das geäußert?

Ich habe mich schon immer damit beschäftigt, warum und wie Entscheidungen getroffen werden. Aus einer Managementperspektive betrachtet: Warum wird Spieler A, B oder C gewählt und nicht D? Warum reagieren Führungskräfte auf die eine Situation so und auf die andere anders? Das Thema hat mich schon immer fasziniert.

Sie hinterfragen die Dinge gerne. War das schon immer so?

In der Schule war das für mich kein großes Thema. Man musste Dinge erledigen, und die wurden dann einfach gemacht. Aber mit zunehmendem Alter begann ich mich für Themen zu interessieren, sie zu hinterfragen.

Lernt man in Brauweiler anders als in Köln?

Auf jeden Fall habe ich mich dort sehr wohl gefühlt. Brauweiler war ein wunderbarer Ort zum Aufwachsen. Jeder kannte jeden, man konnte mit dem Fahrrad überall hinfahren und viel Zeit im Freien verbringen. Meinen besten Freund, der bis heute wichtiger Ansprechpartner für mich ist, kenne ich seit dem Kindergarten.

Eine Großstadt tickt anders. Haben Sie manchmal das Gefühl, Sie möchten mehr lernen als möglich ist?

Es ist ein kontinuierlicher Prozess. Es gibt diesen Spruch, dass man glaubt, schon alles erlebt zu haben. Und dann passiert doch wieder etwas völlig Unerwartetes. Das beschreibt den 1. FC Köln ganz gut (lacht). Dennoch habe ich den Anspruch an mich selbst, mich ständig weiterzuentwickeln. Dass das nicht jeden Tag möglich ist, ist natürlich klar. Dennoch treibt mich der Gedanke täglich an.

Wie tun Sie das?

Ich lese gerne Bücher, auch um mich in Sachen Führung weiterzubilden. Es gibt kein spezielles Buch, das ich als meinen persönlichen Leitfaden bezeichnen würde. Daher versuche ich, verschiedene Perspektiven zu gewinnen. Egal, ob von Personen aus der Politik oder der Wirtschaft. Mich interessiert, was ich davon im Alltag anwenden kann.

Was für Bücher lesen Sie sonst?

Kürzlich habe ich zwei Bücher von Sebastian Fitzek gelesen. Eines davon war eine Komödie. Das andere war ein Psychothriller – harte Kost, aber extrem spannend.

Haben Sie gelernt, sich Zeit zu nehmen?

Ich habe einfach gemerkt, wie gut es tut, mal eine Woche abzuschalten und das Handy wegzulegen. Man nimmt sein direktes Umfeld anders wahr, wenn man selbst nicht ständig auf sein Handy schaut.

Gibt es Bereiche, die Sie weiter intensivieren wollen?

Sprachen sind für mich ein faszinierendes Thema. Je länger ich meinen Beruf ausübe, desto mehr führt man auch Gespräche in einem internationalen Kontext. Rückblickend hätte ich in der Schule vielleicht so viele Sprachen wie möglich lernen sollen. Mit Blick auf mein heutiges Leben könnte man sagen: Ein bisschen weniger Physik, ein bisschen weniger Erdkunde und dafür ein bisschen mehr Französisch oder Spanisch.

Ganz abseits vom politischen Farbenspektrum, sehen Sie sich als politisch denkenden Menschen?

Als politisch würde ich mich nicht bezeichnen. Ich würde eher sagen, dass ich ein klares Wertebild habe und versuche, dieses auch mit Nachdruck zu vermitteln. Ich bin Familienvater, habe drei Kinder. Über Social Media wird man mit wahnsinnig vielen Informationen von außen gefüttert. Für junge Menschen ist es unglaublich schwer, diese zu filtern und zu selektieren. Unabhängig davon wollen meine Frau und ich die Werte, die wir aus unseren Elternhäusern mitbekommen haben, auch auf unsere Kinder übertragen.

So etwas weiterzugeben, kann manchmal auch schwierig sein.

Meine Kinder sind jetzt noch klein. Aber das Smartphone wird natürlich kommen, und irgendwo müssen wir ja die Grundlage legen, damit die Kinder sich orientieren können. Auch wenn es schwierig sein kann, sind meine Frau und ich überzeugt, dass unsere Kinder in Zukunft davon profitieren werden.

Sind Sie gerne Vorbild?

Damit, dass man als Profifußballer zwangsläufig in der Öffentlichkeit steht, muss man leben. Daher darf man nicht unterschätzen, dass man mitunter für junge Menschen ein Vorbild ist. Dieser Vorbildfunktion sollte man versuchen, gerecht zu werden und sie zu nutzen, um auf Themen aufmerksam zu machen, die sich in die falsche Richtung entwickeln. Ich musste und ich habe gelernt, damit umzugehen.

Haben Sie das Gefühl, dass unsere Gesellschaft aus Fehlentwicklungen zu wenig lernt?

Das muss ich leider klar bestätigen. Allerdings nehme ich es mir nicht heraus, das zu verallgemeinern. Wir hatten eben das Thema Social Media angesprochen. Diese Welt ist mit allen Algorithmen so konzipiert, dass dir immer genau das angezeigt wird, wofür du dich vermeintlich interessierst. Sie schauen nach einem Pullover und bekommen den gleichen immer und immer wieder gezeigt. Informiert man sich beispielsweise über eine bestimmte politische Richtung, so bewegt man sich schnell nur noch in dieser Bubble. Und bekommt suggeriert, dass es gar keine anderen Meinungen gibt. Das ist ein gefährlicher Trend, mit dem man sich als Eltern natürlich auch auseinandersetzen muss. Es gibt richtig gute Dokus zu dem Thema, die ich nur empfehlen kann.

Was können wir dagegen tun?

Das Thema ist sowohl komplex als auch sensibel und erfordert, dass man sich und andere im Vorfeld darauf vorbereitet. Nach einem schlechten Spiel erfahren unsere Spieler hauptsächlich Kritik. Diese kommt mitunter online auf direktem Weg – und von einer Minderheit, die oft nicht der Meinung der Masse entspricht. Ganz gefährlich finde ich es, wenn diese Stimmen von der Presse ungefiltert verbreitet werden. Ob es um die Erziehung der eigenen Kinder, politische Fragen oder gesellschaftliche Entwicklungen geht: Jeder sollte am Ende des Tages seine eigenen Schlüsse ziehen, aufmerksam bleiben und das beeinflussen, was in seiner Macht steht.

Was haben Sie bis heute nicht gelernt?

Ein bisschen gelassener mit dem einen oder anderen Thema umzugehen in einem derart schnelllebigen Geschäft, in dem sich Entwicklungen manchmal über eine Stunde hinweg wieder komplett verändern.

Sie wirken nicht sonderlich gehetzt.

Wenn die Anforderungen hoch sind, versuche ich, Menschen zur Ruhe zu ermutigen. Ich denke, dass ich ein gewisses Talent dafür habe. Meine Frau sagt oft zu mir: „Es ist schön, dass du so ruhig bleiben kannst.“ Nach all den Jahren im Profi-Fußball habe ich einfach gelernt, dass Menschen unterschiedlich auf Dinge reagieren. Das versuche ich mir immer bewusst zu machen.

Wenn man so in der Öffentlichkeit steht wie Sie, lernt man auch mal „Nein“ zu sagen?

Ja, das geht schon. Aber das ist ein schmaler Grat. Ich weiß, dass ich aufgrund meiner Position, aufgrund meiner Vergangenheit bekannt bin, dass die Menschen mich wahrnehmen und ein bestimmtes Bild von mir haben. Ich versuche, jedem mit Respekt entgegenzutreten. Aber die Menschen müssen auch akzeptieren, dass es Momente gibt, in denen ich in meinem Familienumfeld unterwegs bin und nicht über den 1. FC Köln reden möchte.

Wie reagieren Sie dann?

Ein ganz schönes Beispiel waren die Europawahlen. Ich bin mit meiner Frau und den Kindern auf den letzten Drücker ins Wahllokal gefahren. Dort stand ein Mann, drehte sich um und sagte: Und, Herr Kessler? Was ist denn mit unserem FC? Ich habe zu ihm gesagt, seien Sie mir nicht böse, aber jetzt sorgen wir erstmal für ein gutes Europa. Wenn sich eine andere Gelegenheit ergibt, können wir gerne über den FC sprechen.

Sie sind ein treuer Rheinländer, wenn man von einem kleinen Ausflug ans Millerntor und nach Frankfurt absieht. War da nie der Wunsch, ganz woanders hinzugehen?

Tatsächlich gab es die Absicht, mit meiner Familie ins Ausland zu ziehen. Gegen Ende meiner Karriere war es eine Option, sie im Ausland zu verlängern. Es wäre sicher auch positiv für die Zeit nach meiner aktiven Laufbahn gewesen. Der Gedanke an die USA hat uns sehr gereizt. Unsere Kinder waren noch klein und schulische Belange spielten keine Rolle. Doch dann kam Corona. Die Unsicherheiten, auch in Bezug auf die medizinische Versorgung, waren zu groß. Daher haben wir uns dann entschieden, das Abenteuer nicht anzutreten.

Aber Amerika wäre schon ein Land, was sie reizen würde.

Grundsätzlich finde ich andere Länder, andere Kulturen spannend. Die USA sind ja sehr vielfältig, daher hätte auch der Standort stimmen müssen. Momentan bin ich sehr zufrieden mit meiner Rolle hier im Club. Doch im Fußball und im Leben generell sollte man niemals nie sagen.

Sie sind jeden Tag mit vielen Menschen zusammen. Kann man das Kennenlernen lernen?

Im Laufe meiner Karriere habe ich viele Mitspieler gehabt, viele Trainer gehabt, Manager und Präsidenten. Man ist permanent im Austausch mit anderen. Da entwickelt man ein gewisses Gespür für Menschen. Aber wenn ich jemanden herausheben müsste, die so etwas ganz besonders gut kann, dann ist das meine Frau. Da reicht ein Gespräch auf der Tribüne. Ob man das am Ende final lernen kann, weiß ich nicht. Letztendlich ist dabei Lebenserfahrung ein großer Faktor.

Wen würden Sie gerne mal kennenlernen?

Wenn Sie mir jetzt sagen, Sie haben die Chance, sich eine Stunde mit jemandem auszutauschen – ich glaube, ich würde mich tatsächlich gerne mit Angela Merkel unterhalten. Weil ich es unglaublich spannend finde, über so eine lange Zeit für unser Land verantwortlich zu sein. Mit so vielen Hürden, mit so vielen Themen jeden Tag. Ohne nicht jeden Tag zu denken, dass die ganze Welt über einen hereinstürzen kann, wenn man eine schlechte Entscheidung trifft.